Die AKW-Silhouette bleibt

01.06.2018 | Jan Becker

Die Atomlobby umschreibt das Ende der Atomkraftwerke gern mit einer „grünen Wiese“. Doch die Vorstellung von weidenden Schafen, wo einst Atommüll entstand, trügt. An den Standorten Biblis und Unterweser eskaliert der Streit wegen des AKW-Abrisses.

 

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Die „Grüne Wiese“ verharmlost, was ein ehemaliger AKW-Standort bedeutet: Fast überall dort, wo ein AKW betrieben wurde, werden noch für viele Jahrzehnte Atommüll-Lagerhallen mit strahlenden Abfällen bleiben. Sollten diese Abfälle irgendwann abtransportiert werden, kann zwar am ehemaligen AKW-Standort eine „grüne Wiese“ stehen. Das Problem - der verstrahlte Müll - ist dann aber nicht aus der Welt, sondern nur örtlich verlagert.

Die Silhoutte bleibt - für immer?

Im hessischen Biblis sind die Blöcke A und B seit 2011 vom Netz. Der Abriss startete vor einem Jahr. Unter anderem werden die Brennelemente aus dem Reaktor geräumt, in Castor-Behälter gefüllt und in das nahe Standortzwischenlager gebracht. Der Betreiber plant, dass die Abrissarbeiten noch mindestens 15 Jahre dauern werden. Derzeit entsteht auf dem Gelände ein drittes Lager – das zweite für schwach- und mittelradioaktive Abfälle (LAW II). Ende des Jahres soll es in Betrieb genommen werden.

„Die Kraftwerks-Silhouette wird aber auch in 15 Jahren noch stehen“, so RWE-Werksleiter Horst Kemmeter ein Jahr nach Beginn der Abriss-Arbeiten. „Was mit dem Gelände passiert, muss dann entschieden werden.“

2032 soll das Atomkraftwerk aus dem Atomgesetz entlassen werden - glaubt man den Plänen, die an anderen Orten immer wieder nach oben korrigiert werden mussten. Damit explodieren in der Regel auch die Kosten, die RWE derzeit mit 1,5 Milliarden Euro angibt. „Aus dem Atomgesetz entlassen“ meint, dass alle strahlenden Komponenten ausgebaut sind und „nur noch“ konventioneller Müll übrig ist. Die gesamte äußere Gebäudehülle beispielsweise. Die Strukturteile strahlen dann unterhalb geltender Grenzwerte, die das „Freimessen“ und Umdeklarieren ermöglichen.

Und diese Grenzwerte sind der Hauptgrund, weshalb an den vom Abriss oder dem Abriss-Müll betroffenen Orten der Streit eskaliert. Sie sollen nämlich vorgeben, dass eine künftige Gesundheitsgefahr ausgeschlossen werden kann. Daran zweifeln allerdings internationale Expert*innen und verlangen eine Korrektur der Werte deutlich nach unten. Kritiker*innen werfen den Betreibern und zuständigen Behörden vor, allein aus wirtschaftlichen Bestrebungen die Werte vor fast 20 Jahren heraufgesetzt zu haben. Der Sondermüll-Berg wurde deutlich reduziert - und damit auch die Kosten für den Abriss.

Kommt es zur geforderten Korrektur der Grenzwerte nach unten, dann wird der Abriss deutlich teurer. Alle derzeitigen Pläne würden in Frage gestellt und die AKW-Ruinen dann noch länger - oder für immer? - stehen bleiben. Zugunsten von größerer Sorgfalt und Risiko-Minimierung sollte dieser Kompromiss eingegangen werden.

BUND klagt in Hessen

Der Bund Naturschutz (BUND) klagt vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) gegen den geplanten Abriss von Biblis A. Seit März wird die atomrechtliche Genehmigung des Umweltministeriums zur Stilllegung und zum Abbau von Anlagenteilen angefochten.

„Der Rückbau des AKW Biblis wirft Fragen auf. Denn er ist inklusive dem radioaktiven Material und inklusive der Sorge um die Sicherheit für die Bevölkerung und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des AKW sowie der Sorge um Belastungen der Umwelt“, so der BUND Hessen.

Die Umweltschützer*innen beklagen erhebliche Freisetzungen von Radioaktivität durch „Freigabe“ und damit verbunden ein hohes Risiko für die Bevölkerung wegen Verstoßes gegen Strahlenschutzprinzipien und -vorschriften. Der Betreiber habe zudem unvollständige Unterlagen vorgelegt, Alternativen zum beantragten direkten Abriss seien nicht ausreichend geprüft worden. Der Betrieb des Brennelementelagers, in dem zur Zeit 91 Castoren mit Brennstäben aus beiden Blöcken stehen, berge „erhebliche Unfall- und Störfallrisiken“.

Bis Ende Juni muss das Land Stellung beziehen, ein Entscheidungszeitpunkt ist noch nicht absehbar.

Streit in der Wesermarsch: Niemand will den Müll

Seit Monaten machen Atomkraftgegner*innen und Anwohner*innen mobil gegen eine mögliche Einlagerung von freigemessenen Abfällen aus dem Abriss des niedersächsischen AKW Unterweser. Wenige Auto-Minuten entfernt befindet sich die Deponie Käseburg / Kreis Brake, die laut Betreiberplänen Empfänger großer Schuttmengen werden soll. Der Landkreis Wesermarsch solle dem Beispiel anderer Landkreise folgen und die Deponierung ablehnen, fordern die Kritiker*innen.

Mit einer Klage gegen die bereits erteilte Rückbaugenehmigung wollen sie die gesamten Pläne der Eon-Konzerntochter PreussenElektra stoppen. Vor wenigen Tagen stellte der Physiker Werner Neumann die Begründung der Klage vor. Auch in der Wesermarsch ist die Deponierung freigemessener Abfälle, die noch schwach strahlen, aber als unbedenklich eingestuft werden, im Fokus. Die bei der Berechnung des Grenzwertes zugrunde gelegten Annahmen seien „nicht haltbar“, so Neumann. Das Freigabeverfahren beruhe auf einem System des „akzeptablen Risikos“. „Aber wer entscheidet das?“, fragt Neumann.

Sobald der Müll draußen ist, ist er offiziell nicht mehr radioaktiv. Weil er mit konventionellen Abfällen abgedeckt und somit vermischt wird, ist er dann nicht mehr kontrollierbar. (Physiker Werner Neumann)

Eine Entscheidung über eine Deponierung von freigemessenem Abfall in Käseburg wurde kürzlich vom Kreistag erneut vertagt und dürfte frühestens Ende dieses Jahres fallen. Erst dann will die Kreistagsmehrheit über eine ablehnende Resolution entscheiden.

Ministerium beschwichtigt

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) äußerte vor wenigen Tagen Verständnis für die Sorgen der Anwohner*innen. Es werde „keine Überschreitung von Grenzwerten geben“. Das Land werde keine Entscheidung treffen, „die ein Risiko bedeutet – sei es für die Menschen, die dort wohnen, Touristen oder andere. In der Nahrung oder in der Luft“, so Lies.

Umweltschützer*innen werfen Lies unterdessen mangelnde Kooperation im Umgang mit Informationen zum Abriss des AKW vor. Das Ministerium habe mehrere Dokumente immer noch nicht zur Verfügung gestellt, so Hans-Otto Meyer-Ott vom Arbeitskreis Wesermarsch. Dabei handele es sich um verschiedene Gutachten, die auch in das Genehmigungsverfahren eingeflossen seien.

weiterlesen:

  • AKW-Abriss: Die Rechnung kommt am Schluss
    Nach dem Abriss eines AKW bleiben tausende Tonnen radioaktives Material zurück. Der größte Teil des strahlenden Bauschutts wird per sogenannter "Freimessung" umdeklariert und soll dann kostengünstig auf Hausmülldeponien verscharrt werden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung verkommt dabei zur Farce.

Quellen (Auszug): nwzonline.de, ak-wesermarsch.info, weser-kurier.de, rnf.de, focus.de, heise.de, bund-hessen.de; 29./30.5./1.6.2018

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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