13. Sitzung der Atommüllkommission am 3. Juli: Wer zahlt für den ganzen Müll? Wie geht Beteiligung ohne BürgerInnen? Und was taugt ein „Konsens“, den schon ein einziger Satz zunichte machen kann? Ein Bericht von Armin Simon.
Zu den Vorteilen eines echten Konsens zählt gemeinhin, dass er lange hält – wenn alle wirklich hinter einer Lösung stehen, wird sie anschließend niemand mehr in Frage stellen. Was den sogenannten Atommüll-„Konsens“ angeht, jener Parteienübereinkunft also, die 2013 zum Endlagersuchgesetz und somit auch zur Atommüll-Kommission führte, ist die Lage allerdings gleich in mehreren Punkten verfahren. Das wurde auf der 13. Sitzung der Atommüll-Kommission am 3. Juli 2015 erneut deutlich.
Wer zahlt für den ganzen Müll?
Etwa bei der Frage, wer zahlt, wenn am Ende tatsächlich der Untergrund an Orten jenseits von Gorleben erkundet werden soll. Offiziell stehen die AKW-Betreiber als Verursacher des Strahlenmülls in der Pflicht. Doch ist bereits so gut wie sicher, dass die Rückstellungen, die sie dafür gebildet haben, am Ende nicht ausreichen werden. Unter anderem deswegen fehle der Atommüll-Kommission die „gesellschaftliche Akzeptanz“, klagte etwa Klaus Brunsmeier (BUND).
Die Hoffnung jedoch, dass die neue Kommission zum Thema „Entsorgungsrückstellungen“, die Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) einrichten will, diese Finanzierungsfrage klären könnte, zerstreute Gabriel schnell. Die Rückstellungskommission, erläuterte er bei seinem Besuch in der Atommüll-Kommission, solle lediglich diskutieren, wie die bereits gebildeten Rückstellungen der AKW-Betreiber langfristig gesichert werden könnten. „Es geht nicht um die Höhe.“ Die Frage einer Nachschusspflicht solle zwar auch zur Sprache kommen, man müsse schließlich „drohende Probleme erfassen“. Mehr aber auch nicht: „Ich habe erst mal nur gesagt, wir müssen es thematisieren.“ Der Punkt bleibt also ein Wunder.
Die Axt am Konsens
Demgegenüber hat der Satz, den Gabriel in seiner Funktion als SPD-Parteichef vergangene Woche mit seinen KollegInnen Merkel und Seehofer von der CDU und CSU in die Vereinbarung zu Energiefragen schrieb, gar das Potenzial, eine ganze Wunde wieder aufzureißen. Es geht um Castor-Behälter voller Atommüll, die in den kommenden Jahren aus La Hague und Sellafield nach Deutschland zurückkehren, aber nicht im Gorlebener Zwischenlager landen sollen. Nach jahrelangem Hin und Her hatte Umweltministerin Hendricks sie neulich per „Gesamtkonzept“ auf vier AKW-Standorte verteilt. Gabriel hingegen vereinbarte jetzt mit den ParteichefInnen von CDU und CSU: „Betreffend der Zwischenlagerung von Castor-Behältern werden entsprechend dem Beschluss (…) vom 13.6.2013 Gespräche mit den Ländern geführt und Vereinbarungen getroffen.“ Jener Beschluss vom 13.6.2013 räumt den Ländern in der Castor-Frage allerdings ein Vetorecht ein.
Was denn nun gelte, wollte deshalb der schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne) von Gabriel wissen: Hendricks Verteil-Plan (der auch in Bayern Castoren unterstellen will) oder der von Gabriel mit unterzeichnete Beschluss, wonach die Länder, etwa Bayern, ein Vetorecht gegen die WAA-Castoren haben? Keine ganz triviale Frage, denn die Zusage an Niedersachsen, dass keine weiteren Castoren mehr ins Gorlebener Zwischenlager kommen, war bekanntlich Bedingung für die Zustimmung des Landes zum Endlagersuchgesetz und der Atommüll-Kommission. Mit dem besagten Satz habe Gabriel also „die Axt an die Existenzgrundlage dieser Kommission gelegt“, schlussfolgerte Habeck. Gabriel widersprach nicht wirklich. Ein Veto eines Landes, räumte er vielmehr ein, würde in der Tat „die Aufkündigung des Konsenses“ bedeuten – des schwarz-rot-gelb-grünen Parteien-Konsenses zum Endlagersuchgesetz, zu der Atommüll-Kommission und in Gabriels Interpretation sogar auch zu den AKW-Abschaltdaten im derzeitigen Atomgesetz.
Dass der Satz zu den Castoren vergangene Woche Teil eines „Deals“ gewesen sei, wie Habeck unterstellte, bestritt Gabriel im Übrigen vehement. Das sei gar nicht möglich, denn „alle Tricks und Hintertüren holen Sie beim Thema Atommüll sofort wieder ein“ …
Beteiligung ohne Bürger
Der Castor-Streit ist zugleich ein Beispiel, wie die Atommüll-Kommission und die verantwortlichen PolitikerInnen die vom Atommüll betroffenen BürgerInnen beteiligen beziehungsweise mit ihnen umgehen wollen – nämlich am liebsten gar nicht. Die von Hendricks als Lagerstätten für den WAA-Müll auserkorenen Gemeinden etwa erfuhren aus der Zeitung von ihrem Plan. Seither kochen die Wogen hoch – kein Wunder, der Müll ist schließlich hochgefährlich und viele, die seiner Gefahr jetzt ausgesetzt werden sollen, waren nie für Atomkraft. Zudem, darauf wies Kommissionsvorsitzender Michael Müller (SPD) in der Sitzung hin, werden alle Zwischenlager vermutlich deutlich länger in Betrieb sein als die 40 Jahre, für die sie einst genehmigt wurden. Was fordert die Atommüll-Kommission? Etwa: Dass nicht immer nur die Betroffenen an den Standorten selbst zu Wort kommen sollten, sondern auch mal andere Leute (Ute Vogt, SPD). Gabriel stimmte zu: Eine „politische Zuspitzung“ in der Zwischenlagerfrage müsse unbedingt vermieden werden, „um nicht noch mehr Schwierigkeiten bei der Endlagerung zu haben“.
Offiziell hängt die Beteiligungsfrage ja ganz hoch für die Kommission. Tatsächlich tagte sie über ein Jahr, bevor sie mit einem „Bürgerdialog Standortsuche“ am 20. Juni einen ersten Versuch startete. „Eine sehr gelungene Veranstaltung“ lobte Rechtsanwalt Hartmut Gaßner. Regierungspräsident und Geologe Ulrich Kleemann war etwas verhaltener: „Wir sollten das nicht zu negativ ansehen.“ Die zu Beginn der Veranstaltung eingespielten kurzen Filminterviews mit Leuten aus der Fußgängerzone hätten immerhin gezeigt, dass die Bevölkerung schon eine Meinung zum Thema habe – auch wenn sie nicht zu so einer Veranstaltung komme. So sei die weitaus größte Mehrheit der Befragten dafür gewesen, im eigenen Land einen Platz für den Atommüll zu suchen. „Das ist auch Bürgerbeteiligung“, so Kleemann.
Die Veranstaltung sei kein Bürger-, sondern „überwiegend ein Stakeholder-Dialog“ gewesen, urteilte Jörg Sommer (Deutsche Umwelthilfe). „Die, die da waren, waren von Behörden, Firmen, ganz bestimmte an dem Thema Interessierte oder die, die dafür interessiert wurden – aber nicht die Bürger“, pflichtete Brunsmeier ihm bei: „Das war nicht der Bürgerdialog.“ „Sind Energieversorgungsunternehmens-Mitarbeiter keine Bürger?“, fragte Sylvia Kotting-Uhl (Grüne)? Dieselbe Frage hatte sich auch Bauingenieur Wolfram Kudla schon gestellt und für sich so beantwortet: „Ich sehe diese alle als Bürger.“
Dass .ausgestrahlt und die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg zeitgleich eine eigene Veranstaltung zum Thema abgehalten hätten, das „ärgere“ ihn, unterstrich Müller. Die Bevölkerung könne man auch noch ausführlich beteiligen, wenn der Kommissionsbericht fertig sei, sagte Gaßner. Wenn es aber nicht gelinge, die Anti-Atom-Bewegung bis dahin einzubinden, „dann ist das ein Makel für diesen Prozess hier“.
Laufzeitverlängerung für Kommission
Fast einmütig stimmte die Atommüll-Kommission schließlich einer Laufzeitverlängerung in eigener Sache zu. Nicht bis Ende 2015, sondern bis zum 30. Juni 2016 will sie nun tagen und dann ihren Abschlussbericht vorlegen. Auf einen noch längeren Zeitrahmen, wie ihn Brunsmeier (BUND) forderte, um doch noch eine Bürgerbeteiligung hinzukriegen und um, als Basis aller neuen Empfehlungen, erst einmal die Vergangenheit des Atommüllkonflikts ordentlich aufzuarbeiten, wollte sich außer ihm niemand einlassen. Dann nämlich, da waren sich alle anderen einig, würde das Thema in den Vorwahlkampf rutschen und sich der Bundestag vielleicht erst nach der Wahl mit dem Kommissionsbericht befassen, der in diesem Fall dann schlicht „ohne Wert“ sei. Ein Parteien-„Konsens“, sollte das heißen, hält eben stets nur bis zur nächsten Wahl.