16 Jahre nach 9/11: Weiterhin kein Terrorschutz für Atommüll-Zwischenlager

15.09.2017 | Jan Becker

Nachdem vor 16 Jahren zwei Flugzeuge in die New Yorker Twin-Towers flogen, entbrannte die Diskussion um die Terrorsicherheit der deutschen Atomanlagen. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) forderte im April 2011 die Betreiber der Atommüll-Zwischenlager auf, Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit einzuleiten. Anfang 2012 verkündete das Bundesumweltministerium: „Mit Beginn der Baumaßnahmen ist in diesem Jahr zu rechnen.“ Gebaut wurde an drei Standorten, für die der Bund zuständig ist, bis heute nichts.

Zwischenlager Gorleben, Eingang
Foto: kina@pictonet.de
Zufahrt Zwischenlager Gorleben

Zwischenlagerhallen, in denen hochradioaktiver Atommüll in Castorbehältern gelagert wird, gibt es in Deutschland an zwölf Atomkraftwerks-Standorten. Aktuell sind dafür die Betreiber der AKW verantwortlich. Drei weitere Lagerhallen befinden sich in der Zuständigkeit des Bundes: Lubmin bei Greifswald und seit dem 1. August auch Ahaus und Gorleben. Anfang 2019 übernimmt der Bund alle Zwischenlager.

Sämtliche Hallen sollen künftig von einer zehn Meter hohen Mauer umgeben sein, die vor Terrorangriffen schützen soll. Gegen gezielte Flugzeugabstürze hilft diese Maßnahme nichts. Die Schutzmauer solle vielmehr als „zusätzliche Barriere ein gewaltsames Eindringen ins Lager erschweren“ und damit der Polizei „mehr Zeit zum Eingreifen“ geben, berichtete Burghard Rosen, Pressesprecher der damaligen Betreibergesellschaft des Zwischenlagers im nordrhein-westfälischen Ahaus, im Mai diesen Jahres.

  • In Ahaus fanden zu der Zeit Maßnahmen statt, die „die Tragkraft und Festigkeit des Bodens“ erprobten. Bislang gab es nur Berechnungen, wie die Erde rund um das Gebäude in mehreren Metern Tiefe auf künftigen Mauerdruck reagiert. Bis diese Mauer um das Zwischenlager am Ende ihre Funktion vollständig erfüllen kann, dauert es noch mindestens drei Jahre.
  • In Gorleben hakt es auch bei der Umsetzung dieser Maßnahme. Im März 2016 berichtete die „Elbe Jeetzel Zeitung“: Die „Erkenntnisse über neue Täterprofile und potenzielle Terrorgefahren, mit denen man den Bauantrag gestellt hatte, sind längst veraltet“. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg erinnerte im Juni diesen Jahres, dass bisher „nichts gebaut wurde“.
  • Ausgerechnet Lubmin, der Standort, der sich am längsten in Staatshand befindet, ist Schlusslicht bei der Umsetzung der Maßnahmen. Dort werden derzeit „intensiv die Optionen für die Umsetzung des erforderlichen baulichen Schutzes gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD) (...) geprüft“, heißt es in der Antwort des Bundesumweltministeriums auf eine Anfrage der atompolitischen Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl. Ziel sei es, „möglichst noch dieses Jahr einen Genehmigungsantrag für eine der Optionen zu stellen“.

Bundesregierung: „Ausreichendes Schutzniveau sichergestellt“

Die deutschen Zwischenlager entsprechen den internationalen Sicherheitsstandards, heißt es in einem Ende August von der Bundesregierung vorgelegten Bericht über die „Sicherheit bei der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle“. Auch ohne diese Mauern sei ein „ausreichendes Schutzniveau sichergestellt“. Denn bis zu deren Fertigstellung werde der erforderliche Schutz „mit ausreichenden temporären Maßnahmen gewährleistet“, heißt es in der Antwort der Regierung. Gemeint sind vor allem „zusätzliche personelle Maßnahmen“. Im Zwischenlager Ahaus seien zum Beispiel „zwei Fahrzeuge auf dem Gelände im Einsatz“, man habe das Sicherheitspersonal aufgestockt, berichtete der Betreiber im Mai.

Schwerpunkt Zwischenlagerung von Atommüll:
Das .ausgestrahlt-Magazin Nr. 33 | Winter 2016

 

Umwelt-Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter räumt jedoch ein, dass die temporären Schutz-Maßnahmen nur der „zweitbeste Ansatz“ sind. Es gelte in Deutschland der Grundsatz, dass bauliche und sonstige technische Sicherungsmaßnahmen Vorrang vor personellen Sicherungsmaßnahmen haben. „Mittelfristig“ müssten daher die temporären Maßnahmen durch bauliche oder sonstige technische Sicherungsmaßnahmen abgelöst werden.

Atomkraftgegner*innen fordern Überflugverbot

„Niemand glaubt, dass die Castorbehälter so robust sind, dass sie einem Flugzeug-Absturz stand halten“, bringt es Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, auf den Punkt. Nach wie vor wird behauptet, dass ein Castorbehälter selbst gegen einen gezielten Absturz ausgelegt ist und dass ein Brand die Behälterintegrität nicht gefährden würde.

Im nahen Zwischenlager in Gorleben stehen 113 Castor-Behälter, jeder enthält rund 1000 Mal mehr Radioaktivität als sich im havarierten Atommülllager Asse II befinden. Deshalb kämpfen die Aktivist*innen wenigstens für ein Überflugverbot, denn die Bundeswehr übt regelmäßig in dem Gebiet über den Atomanlagen.

Weiterlesen:

  • Die Jahrhundert-Lager
    Die Zwischenlagerung des hochradioaktiven Atommülls wird sehr viel länger dauern, als ursprünglich behauptet. Die bisherigen Hallen sind nicht weiter tragbar. Doch die Politik nimmt das Problem nicht ernst

  • Gefahr von oben (.ausgestrahlt-Magazin 35, Frühjahr 2017)
    Seit 15 Jahren ist klar, dass kein AKW einen Absturz einer großen Passagiermaschine sicher überstehen würde. Trotzdem sind acht Meiler noch am Netz. Und die Behörden lösen regelmäßig Flugalarm aus.

  • Auch AKW nicht gegen Flugzeugabstürze geschützt
    10. Juli 2013 - Wegen mangelhaften Schutzes gegen Flugzeugabstürze hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig Mitte Juni die Genehmigung des Zwischenlagers Brunsbüttel kassiert. Doch wie ist es um den Schutz der neun noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland bestellt? .ausgestrahlt hat den ehemals höchsten technischen Experten der Bundesatomaufsicht, Dipl.-Ing. Dieter Majer, Ministerialdirigent a.D., beauftragt, die Auswirkungen von Flugzeugunglücken und gezielt herbeigeführten Flugzeugabstürzen auf Atomkraftwerke zu analysieren.

Quellen (Auszug): handelsblatt.com, muensterlandzeitung.de, ndr.de, bi-luechow-dannenberg.de, abendblatt.de, 14.01.12;25.6./8.5./13.09.2017

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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