Laufzeitverlängerung für den Erhalt unseres Wohlstand?

08.05.2019 | Jan Becker

Es sei „Unsinn“, so der Betreiber des Atomkraftwerks Emsland, dass man eine Laufzeitverlängerung über 2022 hinaus plane. Doch die Stimmen aus der Wirtschaft werden lauter, den Atomausstieg umzukehren.

Berlin 2.6.16: Energiewende retten!
Foto: Helge Bauer / .ausgestrahlt

Während einer Rede des RWE-Konzernchefs Rolf Martin Schmitz auf der diesjährigen Hauptversammlung am 3. Mai in Essen wurden Atomkraftgegner*innen misstrauisch, wie ernst es der Konzern mit dem gesetzlich zugesicherten Atomausstieg nimmt. RWE „darf“ das AKW Emsland noch bis maximal Ende 2022 betreiben. Wie Konzernchef Schmitz auf Nachfrage der anwesenden Kritiker*innen darstellte, ist nur wenige Monate vor dem Auslaufen der gesetzlichen Stilllegungsfrist ein letzter Brennelementwechsel vorgesehen. Dafür wird in der Regel ein Meiler für etwa vier Wochen abgeschaltet, frischer Brennstoff geladen und ein umfangreiches Wartungs- und Instandhaltungsprogramm durchgeführt. Dieser sehr späte Termin kurz vor der endgültigen Stilllegung lässt die Vermutung zu, dass RWE die technischen Grundlagen für eine mögliche Laufzeitverlängerung des AKW-Betriebs legen könnte.

„RWE bleibt sowohl bei seinen AKWs Lingen und Gundremmingen wie auch bei der Urananreicherung in Gronau unbeirrt auf Atomkurs“, attestiert Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen. „Die Ankündigung eines weiteren Brennelementewechsels in Lingen für das Stilllegungsjahr 2022 lässt bei uns alle Alarmlampen anspringen. RWE sollte darauf dringend verzichten und stattdessen den Atomausstieg unumkehrbar und sofort umsetzen“, so Eickhoff.

Diese Zweifel am Atomausstieg seien „Unsinn“, heißt es nun aus der Zentrale des Atomunternehmens. Während Konzernchef Schmitz sich auf der Hauptversammlung nicht auf ein Abschaltdatum festlegen wollte, heißt es aus der Presseabteilung jetzt, Emsland würde „planmäßig Ende 2022“ den Betrieb einstellen. Bis dahin würde RWE den Brennstoffeinsatz „im Rahmen der Brennelementwechsel so planen, dass ein sicherer Betrieb der Anlage bis zu dem gesetzlich festgelegten Laufzeitende“ gewährleistet sei.

Forderungen aus der Wirtschaft werden lauter

Der Vorwurf, RWE würde möglicherweise längere Laufzeiten seiner Atomkraftwerke einplanen, wird durch Forderungen aus der Wirtschaft untermauert. Anfang des Jahres verwies die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) auf „drohende Versorgungsengpässe“ im Süden Deutschlands. Die Versorgungssicherheit müsse genau wie bezahlbare Strompreise auch nach 2022 gewährleistet sein, „zur Not mit Atomkraft“, so VBW-Präsident Alfred Gaffal. Die Verlängerung der Laufzeiten der bayerischen Atomkraftwerke dürften „kein Tabu mehr sein“. Das würde RWE mit dem AKW Gundremmingen-C betreffen, der letzte gefährliche Siedewasserreaktor Deutschlands, die endgültige Abschaltung ist Ende 2021 vorgesehen. In Bayern betreibt darüber hinaus Preussen-Elektra den Block Isar-2, wohl noch bis Ende 2022.

Kürzlich forderte auch Wolfgang Reitzle, Aufsichtsratschef des Technologie-Konzerns Linde AG, eine Korrektur des Atomausstiegs. Atomkraft sollte weiter Bestandteil unserer Energiepolitik bleiben, sie sei schließlich „grundlastfähig, billig und CO2-frei“. Unter anderem die „überstürzte“ Abschaltung der letzten Meiler setze unseren Wohlstand aufs Spiel, warnt Reitzle. Der Top-Manager leistete der angeschlagenen Atomlobby schon wenige Wochen nach dem GAU von Fukushima Schützenhilfe: Solche Unfälle könnten in Deutschland nicht passieren, behauptete er damals. Durch die Energiewende wäre die Versorgungssicherheit in Gefahr, der Strom unbezahlbar teuer, der Industriestandort Deutschland unattraktiv und große Konzerne würden abwandern. Acht Jahre später erneuert Reitzle seine Kritik: Der „nationale Alleingang“ habe Deutschland „in eine sündteure Sackgasse geführt“.

Und auch in den Medien hat die Uralttechnik Atomkraft immernoch glühende Verehrer*innen mit Netzwerken in die Wirtschaft. Anders lässt es sich nicht erklären, weshalb längst widerlegte Argumente der Atomlobby („billig“, „co2-neutral“, „sicher“) mantraartig wiederholt werden.

Hintergrund: Die Diskussion um Klimawandel und Kohleausstieg bringt auch diejenigen wieder auf den Plan, die es für eine gute Idee halten, mit Atomkraftwerken das Klima zu retten. Doch das klappt weder durch Neubauten noch durch Laufzeitverlängerungen der alten Reaktoren. Die Atom-Option ist zu langsam, viel zu teuer und mit einem modernen Stromsystem nicht vereinbar. - mehr lesen

Das letzte große Aufbäumen

Die längst abgezahlten Atomkraftwerke werden immer wieder gern als „Gelddruckmaschinen“ bezeichnet. Pro Betriebstag spülen sie den Atomkonzernen nämlich pro Anlage etwa eine Million Euro Gewinn in die Kassen. Ist das Kraftwerk erst einmal abgeschaltet, kostet der Abriss den Konzern nur noch Geld. Ein letztes großes Aufbäumen der dem Untergang geweihten Atomindustrie wundert daher überhaupt nicht. Dass sie Schützenhilfe aus der Wirtschaft bekommt, ebenfalls nicht.

Dass allerdings unser aller „Wohlstand“ vom Fortbestand der letzten sieben Atomkraftwerke abhängen soll, das ist sehr zweifelhaft. In diesem Zusammenhang muss allerdings kurz klargestellt werden, von welchem „Wohlstand“ wir sprechen. Einer intakten Natur? Sauberer Luft? Alternativer, künftige Generationen nicht gefährdende Energietechnologien? Oder dieser andere „Wohlstand“, in dessem Sinne die Gesamtvergütung des Vorstandsvorsitzenden der Linde AG im Jahre 2011 6,8 Millionen Euro betrug?

Die Wirtschaft geht also in Stellung für den letzten großen Kampf. Es bleibt also eine wichtige Aufgabe, die Kritik an der lebensmissachtenden Technologie immer wieder ins Gedächnis zu rufen:

Mit jedem Betriebstag wächst das Risiko eines schweren Unfalls. Je älter der Reaktor, desto größer die Wahrscheinlichkeit von Materialversagen. Ein Unfall mit Freisetzung von Radioaktivität ist auch in deutschen AKW möglich und hätte katastrophale Folgen. Jeder Betriebstag lässt den Berg an Atommüll weiter wachsen. Es gibt weltweit keine „sichere Lösung“ für den Abfall, der mindestens eine Millionen Jahre von der Biosphäre abgeschirmt gelagert werden muss.

„Seit nunmehr einem halben Jahrhundert ist die Bevölkerung im Emsland und weit darüber hinaus den Gefahren der in Lingen ansässigen Atomindustrie unmittelbar ausgesetzt”, kritisiert Alexander Vent vom „Bündnis AgiEL- AtomkraftgegnerInnen im Emsland“. „Das Atomkraftwerk Emsland muss sofort abgeschaltet werden, und zwar endgültig.“

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Quellen (Auszug): noz.de, dpa, energie-und-management.de, tichyseinblick.de, sueddeutsche.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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