Glaub dem Staat

13.03.2021 | Juliane Dickel
Der unzureichende Schutz der AKW gegen Flugzeugabstürze und Angriffe anderer Art soll künftig vor Gericht keine Rolle mehr spielen dürfen
Foto: Foto: Chinnaski, [M] Holger M. Müller
Der unzureichende Schutz der AKW gegen Flugzeugabstürze und Angriffe anderer Art soll künftig vor Gericht keine Rolle mehr spielen dürfen

Mit einer Atomgesetzänderung will das Umweltministerium kritische Anwohner*innen und Richter*innen in Schranken weisen. Kein Gericht soll künftig mehr hinterfragen dürfen, ob Atomkraftwerke ausreichend gegen Angriffe geschützt sind.

Es war ein schmerzhaftes Urteil für Behörden und Betreiber, als das Oberverwaltungsgericht Schleswig vor fast acht Jahren die Genehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel kassierte. Denn das Gericht stellte fest, dass wichtige Sicherheitsnachweise fehlten: Weder Betreiber noch Genehmigungsbehörde konnten einen ausreichenden Schutz der Castor-Halle gegen den Absturz eines A380 oder gegen einen Angriff mit Hohlladungsgeschossen nachweisen. Jedoch haben Anwohner*innen einer Atomanlage das Recht, auch vor den Folgen von SEWD, „Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ auf die Atomanlage, geschützt zu werden. Diesen Rechtsanspruch hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits 2008 klar formuliert.

Nach dem Willen des Bundesumweltministeriums sollen solch unliebsame Urteile künftig nicht mehr vorkommen. Die 17. Atomgesetz-Novelle, deren Entwurf das Ministerium im Dezember vorlegte, soll die Klagerechte von Anwohner*innen an Atomstandorten und ebenso die Stellung der Gerichte in Sachen Atomsicherheit maßgeblich einschränken. Der Schutz insbesondere gegen SEWD-Ereignisse wäre dann faktisch nicht mehr einklagbar.

Der Staat hat immer Recht
Die Behörden, so lässt sich die Argumentation des Ministeriums zusammenfassen, träfen ohnehin stets nur zutreffende Entscheidungen. Das Problem seien allein die Gerichte, die ihnen nicht immer glauben würden.

Dabei sei der Nachweis, dass der erforderliche Schutz gegen SEWD gewährleistet ist, allein Aufgabe der Fachbehörden und ihrer Sachverständigen. Aufgrund von Geheimschutzverpflichtungen könnten diese in Gerichtsverfahren aber nicht alle getroffenen Erwägungen und Maßnahmen vollständig offenlegen. Gerichte, begründet das Ministerium seinen Vorstoß, tendierten dann zu eigenen fachlichen Bewertungen. Dies erschwere den Behörden die Verteidigung ihrer „zutreffenden Genehmigungsentscheidungen“.

Um dies zukünftig zu umgehen, definiert die Novelle nun einen sogenannten „Funktionsvorbehalt der Exekutive“: Deren Einschätzungen in Sachen SEWD soll keine Kläger*in, kein Umweltverband und kein Gericht mehr in Frage stellen dürfen. Der Rechtsanwalt und renommierte Atomrechtler Ulrich Wollenteit, der unter anderem das Brunsbüttel-Urteil mit erstritten hat, hält das schlicht für  „verfassungswidrig“: denn es würde den Schutz der Anwohner*innen vor den Auswirkungen von SEWD auf Atomanlagen der Rechtskontrolle entziehen, und zwar einzig zur Befriedigung der Bedürfnisse der Exekutive. Willkommen im Absolutismus.

Geheimschutz schließt Kontrolle nicht aus
Im Koalitionsvertrag hatten sich CDU, CSU und SPD eigentich darauf geeinigt, für solche Fälle sogenannte In-Camera-Verfahren einzuführen. Diese erlauben, geheime Unterlagen vollumfänglich in einem kleinen ausgewählten Kreis vorzulegen – und nicht öffentlich, wie in normalen Prozessen. Auf diese Weise können auch geheimhaltungsbedürftige Entscheidungen überprüft werden. Dass das Ministerium im Widerspruch dazu stattdessen nun die Gerichtsbarkeit komplett aushebeln will, schürt einmal mehr Zweifel: Nur wer eine Genehmigung auf falscher oder wackeliger Grundlage erteilt oder dabei mauschelt, muss schließlich deren Kontrolle fürchten. Und wenn die Einsicht in die Genehmigungsunterlagen so große Sicherheitslücken offenbaren würde, dass diese aus Behördensicht unter allen Umständen unterbunden werden muss, dann kann es um die tatsächliche Sicherheit der Anlagen nicht allzu gut bestellt sein.

Der geplante „Funktionsvorbehalt“ der Exekutive stellt einen eklatanten Eingriff in die Gewaltenteilung dar. Betroffen wären nicht nur Anwohner*innen von AKW, sondern insbesondere auch der 16 Zwischenlager mit hochradioaktivem Müll. Deren Sicherheits-Situation ist zum Teil hochproblematisch, wie schon das Brunsbüttel-Urteil zeigte und wie eine Studie der Reaktorsicherheitsexpertin Oda Becker im Auftrag des BUND vor wenigen Monaten bestätigte.

Der Gesetzentwurf des Umweltministeriums, fasst Atomjurist Wollenteit zusammen, „stellt den erklärten Versuch dar, durch einen Federstrich des Gesetzgebers den ohnehin bereits schwierigen Rechtsschutz Drittbetroffener und von Umweltverbänden im Bereich des Atomrechts weiter zu erschweren und in Bezug auf den erreichten Stand der Rechtsprechung das Rad der Geschichte zurückzudrehen.“ Die Novelle soll im Frühjahr im Bundestag beraten werden. BUND, Greenpeace und .ausgestrahlt fordern, sie ersatzlos zu streichen.

Stellungnahme

Im Auftrag von BUND und Greenpeace hat Dr. Ulrich Wollenteit eine Stellungnahme zur geplanten 17. Atomgesetz-Novelle verfasst, zu finden unter

bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/atomkraft/atomkraft_atomgesetz_stellungnahme_2020.pdf

weiterlesen:

Gefahr von oben
Seit 15 Jahren ist klar, dass kein AKW einen Absturz einer großen Passagiermaschine sicher überstehen würde. Trotzdem sind sieben Meiler noch am Netz. Und die Behörden lösen regelmäßig Flugalarm aus.

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Juliane Dickel

Juliane Dickel ist BUND-Referentin für Atom- und Energiepolitik

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