Die belgische Regierung hat den gesetzlich verankerten Atomausstieg gekippt. Die Zukunft der vier noch laufenden Atomkraftwerke ist nun ungewiss - der Betreiber selbst will sie abschalten. Die Politik hat den Wunsch nach Neubauten – doch tatsächlich boomen ausschließlich die erneuerbaren Energien.
Belgiens Atompark umfasst aktuell vier aktive Reaktoren an zwei Standorten: Doel bei Antwerpen und Tihange bei Liège/Lüttich. Schon 1999 – also noch vor dem ersten deutschen „Atomausstieg“ – beschloss die damalige belgische Regierung eine Laufzeitbegrenzung für alle belgischen Reaktoren auf 40 Jahre. 2003 wurde der Atomausstieg bis 2025 gesetzlich festgelegt. Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011 bekräftigte die Regierung diesen Ausstiegsplan.
Wegen angeblich „drohendem Strommangel“ wurde dann aber 2014 die Laufzeit der Reaktoren Doel 1 und 2 bis 2025 verlängert, statt sie abzuschalten. Obwohl man 2012 in Tihange 2 und Doel 3 Risse im Reaktordruckbehälter fand, durften die Reaktoren zunächst weiterlaufen. Erst im September 2022 (Doel 3) und im Januar 2023 (Tihange 2) gingen sie vom Netz – gegen den Willen der Politik. Am 14. Februar 2025 wurde dann Doel-1 endgültig abgeschaltet.
Wie in vielen anderen europäischen Ländern lieferten der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen steigenden Energiekosten einen neuen Anlass, um über die Zukunft der Atomkraft zu diskutieren. Die Laufzeit der „neueren“ Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 wurde 2022 um zehn Jahre bis 2035 verlängert.
Seit Februar 2025 regiert in Belgien ein Mitte-Rechts-Bündnis unter Bart De Wever, welches einen „drastischen Wandel in der Energiepolitik“ ankündigte. Beschlossen wurde diese Kehrtwende Mitte Mai mit breiter Mehrheit im Parlament. Diskutiert werden weitere Laufzeitverlängerungen und eine „Reaktivierung“ der bereits abgeschalteten Meiler. Energieminister Mathieu Bihet kündigte an, die Stromproduktion aus Atomkraft mittelfristig verdoppeln zu wollen. Neben den bestehenden vier Reaktoren will die Regierung bis zu 4 Gigawatt zusätzliche Kapazität durch neue Anlagen schaffen.
Für AKW-Betreiber „undenkbar“
Gegen die Pläne, die Laufzeiten der bestehenden Anlagen erneut zu verlängern, gibt es allerdings Widerstand nicht nur von Atomkraftgegner*innen, sondern ausgerechnet auch vom AKW-Betreiber Engie selbst. Unternehmenschef Vincent Verbeke erklärte, man werde nicht mehr in Atomkraft investieren, weil sie nicht mehr Teil der Unternehmensstrategie sei. Engie verfolge weiterhin den Plan, alle Reaktoren bis 2025 oder spätestens 2035 vom Netz zu nehmen und abzubauen. Eine noch längere Laufzeit ist laut Verbeke „undenkbar“. Für einen Weiterbetrieb von Tihange 1 und Doel 2 bräuchte die Regierung also einen neuen Betreiber – oder alternativ die Verstaatlichung der Anlagen. Auch müssten die bereits 50 Jahre alten und vergleichsweise leistungsschwachen Reaktoren eine weitere Zehn-Jahres-Überprüfung überstehen. Ob sie also tatsächlich über die bisherigen Abschaltdaten am 1. Oktober und 1. Dezember 2025 hinaus am Netz bleiben, ist offen.
Die belgischen Neubau-Träume beziehen sich wie in vielen anderen Ländern auf kleine, modulare Reaktoren. Doch nirgends auf der Welt haben diese AKW bisher Serienreife erreichen können, sie sind teuer, unwirtschaftlich und produzieren Atommüll. Wie Belgien seine nuklearen Kapazitäten verdoppeln will, ist völlig unklar. Der dafür wohl nötige Bau großer Atomkraftwerke wäre absurd teuer und gesellschaftlich nicht durchsetzbar.
Nur die erneuerbaren Energien boomen

Auch wenn derzeit unklar ist, welchen Kurs die belgische Energiepolitik künftig nehmen wird, ist eines klar: Wie in den meisten europäischen Ländern boomen auch dort die erneuerbaren Energien. In den vergangenen Jahren wurde die Stromproduktion aus Wind- und Solaranlagen verdoppelt, allein in 2024 wuchs deren Anteil um 17 Prozent und erreichte damit einen neuen Rekord mit 29,8 Prozentanteil am Strommix. Wegen der Abschaltungen nimmt der Anteil der Atomkraft hingegen stetig ab (2024 noch 40 Prozent).
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