Andreas Brand, 49, ist Erzieher und engagiert sich im Erzgebirge als Teil von Parents for Future nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch gegen geplante Minireaktoren im nahen Tschechien – und gegen rechts.
Ich bin, geprägt durch meinen Vater, schon mit dem Gedanken an Umweltschutz groß geworden. Als ich noch keine zehn Jahre alt war, hat mir mein Vater eine Stelle gezeigt, wo die Abwässer eines kleinen Wohngebiets aufs Feld liefen. Manchmal stank es dort oder das Wasser sah grün aus. Er hat mir erklärt, dass zu viel Waschmittel der Umwelt schadet. Und wenn wir im Erzgebirge im Wald waren, haben wir nicht nur neue Eindrücke und manchmal Pilze mit nach Hause genommen, sondern auch unseren Müll. So bin ich aufgewachsen. Der Klimaschutz war die logische Weiterführung. Eindrücklich war für mich der Film The Day After Tomorrow, in dem es um die Folgen der globalen Erwärmung geht. Als der rauskam, 2004, galt das ja eher als Vision einer fernen Zukunft. Das hat sich geändert. Das Engagement von Fridays for Future und den Parents for Future hat mich deswegen sehr angesprochen. Endlich tut jemand was!
Als die tschechische Regierung im Mai bekannt gab, dass sie in Tušimice, 17 Kilometer von der deutschen Grenze, einen Small Modular Reactor (SMR) bauen will, war ich erst mal geschockt. Wie kommt man überhaupt auf die Idee, so eine altmodische Technik noch zu bauen? Außerdem: Wenn das AKW 2038 fertig sein soll, will Tschechien längst aus der Kohleverstromung ausgestiegen sein. Das geplante Kraftwerk soll also ein Problem lösen, das es zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr gibt!
Der Gedanke, dass ein AKW meine Heimat verseuchen könnte, wenn was passiert, hat mich alarmiert. In der Signal-Gruppe der Parents for Future Chemnitz gab es Diskussionen über die AKW-Pläne und was man da machen könnte. Dann schrieb jemand: „Ich habe da schon einen Brief formuliert.“ So kam der Stein ins Rollen. Ich habe dann mit meiner Parents-for-Future-Gruppe im Erzgebirge entschieden, dass wir diesen Brief mit unterschreiben.
„Die Folgen eines Atomunfalls in Tušimice würden ja nicht vor der Grenze haltmachen!“
In dem Brief fordern wir die tschechische Regierung auf, den geplanten SMR nicht zu bauen – wegen der Gefahren für die ganze Region. Denn die Folgen eines Atomunfalls würden ja nicht vor der Grenze haltmachen, sondern auch die Stadt Chemnitz und die grenznahen Landkreise betreffen, mindestens. Also meine Heimat. Auch die ungelöste Frage der Endlagerung des Atommülls und die fehlende Wirtschaftlichkeit haben wir thematisiert. Ich denke, so ein Brief hat mehr Gewicht als eine Onlinepetition, weil hinter jeder einzelnen Unterschrift noch viele weitere Menschen stehen.
Beteiligt waren alle Parents-for-Future-Gruppen in Chemnitz und der Region, also Mittelsachsen, Erzgebirge und Zwickau. Greenpeace Chemnitz war auch dabei und die BUND-Regionalgruppe Chemnitz. Im Klimabündnis Chemnitz und Umgebung stehen relativ weit versprengte Menschen und Gruppen miteinander in Kontakt. WhatsApp oder Signal ist da eine große Hilfe, wenn man gemeinsam was auf die Beine stellen will.
Eine Reaktion auf unseren Brief haben wir nicht erhalten. Damit habe ich auch nicht gerechnet. Er war ein Beitrag zum Vorverfahren zur verpflichtenden grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung. Und er hat es immerhin in die Meldung einer Presseagentur geschafft, die viele Medien aufgegriffen haben, auch überregionale. Er hat damit Millionen Menschen gezeigt, dass die tschechischen Atompläne auf Widerspruch stoßen, und den Argumenten gegen das Reaktorprojekt Aufmerksamkeit verschafft.
Atomkraft kann keine Antwort auf den Klimawandel sein, schon weil das Unfallrisiko zu groß ist. Wenn ein Windrad umfällt, wird im schlimmsten Fall ein Schaf erschlagen, aber von den Überresten geht keine Gefahr mehr aus. Bei der Atomkraft ist das anders. Und: Die Zeitschiene ist für mich nicht stimmig. Wie schnell brauchen wir die Energie? Ziemlich zügig. Wie lange dauert es, bis so ein Atomkraftwerk gebaut ist? Ziemlich lange. Das passt nicht zusammen. Das Argument, dass Atomkraft eine Lösung gegen die Klimakrise sei, ist viel zu kurz gedacht.
„Wir haben Millionen Menschen gezeigt, dass die tschechischen Atompläne auf Widerspruch stoßen.“
In Greifswald hat man zu DDR-Zeiten sechs Reaktoren gebaut. Vier liefen nur wenige Jahre, einer nur wenige Wochen, der sechste ging nicht mehr in Betrieb. Seit Jahrzehnten wird zurückgebaut – enorm aufwendig, weil viele Teile strahlen. Auch da fällt CO2 an, beim Bau und beim Abriss. Wer sagt, bei AKW entstünde kein CO2, meint nur die reine Energiegewinnung im Reaktor. Aber man muss alles bedenken, vom Bau und von der Urangewinnung bis zu Abriss und Lagerung des Atommülls.
Was Strahlung bedeutet, wissen wir im Erzgebirge, schließlich sitzen wir auf Uran. Der Bergbau ist hier Teil der Identität, schon im Kindergarten singt man das Steigerlied. Aber er brachte auch viele Tote durch Lungenkrebs. Manche Bereiche durfte man nicht betreten wegen der Strahlung, radioaktive Halden mussten teuer saniert und abgedeckt werden. In einem Kindergarten der Region hier wurde der Boden ausgetauscht, weil man dafür Abraum des Uranabbaus verwendet hatte. Die Strahlung ist einfach immer da.
In meinem Umfeld stehen zwar andere Themen im Vordergrund, aber wir sind uns einig: Atomkraft ist keine Lösung. Ich selbst habe mich früh damit auseinandergesetzt. Als Tschernobyl hochging, noch zu DDR-Zeiten, war ich zehn. Nur aus dem „Westfernsehen“ haben wir erfahren, dass etwas passiert war. Es war so eine diffuse, nicht greifbare Situation, auch bei meinen Eltern habe ich viel Unsicherheit gespürt. Es war vielleicht so ähnlich wie Ende 2019, Anfang 2020, als es losging mit dem Coronavirus. Am Ende hatten wir Glück, dass wir relativ wenig abbekommen haben vom Tschernobyl-Fallout. Im Vogtland, das ist auch nicht weit weg, sollte man bestimmte Pilze bis heute nicht essen, und Wildschweine müssen mit einem Geigerzähler geprüft werden.
Für viele hier scheint der Klimawandel weit weg. Gerade im Erzgebirge ist vieles besser geworden. Wir haben auf der Südseite das nordböhmische Braunkohlerevier und ganz viel Chemieindustrie. Zu Vorwendezeiten hat man das gerochen und gesehen, und auch der Wald war völlig kaputt. Inzwischen hat er sich erholt. Viele Menschen hier verstehen nicht, dass wir trotzdem handeln müssen. Von der Gemeinde hatten wir sogar schon Vorträge, in denen es hieß, den Klimawandel gibt es doch gar nicht. Dabei spürt man ihn natürlich auch hier: Es gab Dürresommer und der letzte in meinen Augen „richtige“ Winter ist jetzt schon lange her – mein Großer war damals ein Baby, heute ist er 15.
Leider kann man hier nicht mit jedem über alles sprechen. So war es zu DDR-Zeiten, und heute ist es wieder so. Ich muss immer gucken, wie jemand tickt und ob ich was zu befürchten habe. In den 1990er Jahren habe ich erlebt, was passieren kann: Wir quatschten zu dritt auf der Straße, und einer von uns ist einfach zusammengeschlagen worden. Die Täter waren in meinem Alter – heute machen einige von ihnen Politik. Das ist schon gruselig. Wir fahren seit zehn Jahren in den Großraum Hamburg in den Urlaub. Dort kann man selbst mit wildfremden Menschen offen über den Klimawandel und Politik sprechen. Das ist hier undenkbar.
Was mir Hoffnung gibt und die Motivation, weiterzumachen, ist unser Netzwerk, das sich nicht nur gegen den Klimawandel stellt, sondern auch gegen die Verrohung in der Gesellschaft, also den Rechtsruck. Man fühlt, dass sich momentan immer mehr Menschen dagegenstemmen. Wir alle aus den Parents-for-Future-Gruppen hier in der Region versuchen auch, die Demokratie zu schützen. Das ist das Thema Nummer eins, denn ohne Demokratie gibt es auch keinen Klimaschutz.
Interview und Protokoll: Anna Stender
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