Atomkraft in den Vereinigten Arabischen Emiraten

22.11.2020 | Armin Simon
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Atomeinstieg am Persischen Golf – wo Sonnenstrom zehnmal weniger als Atomstrom kostet

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verfügen über die siebtgrößten Ölvorkommen weltweit, die Sonne scheint hier 3.500 Stunden im Jahr, mehr als doppelt so lang wie in Deutschland. Dennoch stellten sie Mitte 2008 ein ambitioniertes Atomprogramm vor. Bis 2020, so der Plan damals, sollten 14 AKW mit einer Gesamtleistung von 20 Gigawatt entstehen. In der Folge gaben sich Reaktorbauer aus aller Welt die Klinke in die Hand. Der französische Präsident Nikolas Sarkozy reiste persönlich nach Abu Dhabi, um für den Bau von französischen Reaktoren vom Typ EPR zu werben, allerdings vergeblich. Den Zuschlag für das erste und bisher einzige Projekt, das AKW Barakah am Persischen Golf, erteilte die Emirates Nuclear Energy Corporation (ENEC) Ende 2009 vielmehr dem südkoreanischen Reaktorbauer und -betreiber KEPCO. Dessen Angebot lag rund 30 Prozent unter dem billigsten Angebot der Konkurrenz. Dafür fehlt den Neubau-Reaktoren allerdings auch ein sogenannter Core-Catcher, eine Art dicke Untertasse aus Keramik, die bei einem Unfall schmelzenden Brennstoff auffangen soll. Der Chef des unterlegenen französischen Konkurrenten Areva soll daraufhin gestänkert haben, dies sei wie „ein Auto ohne Sicherheitsgurte und Airbags“ zu verkaufen. (Das Bauteil fehlt übrigens bei so gut wie allen laufenden AKW weltweit.)

Die vier Reaktoren in Barakah mit je 1,4 Gigawatt Leistung sollten zusammen ursprünglich 20 Milliarden US-Dollar kosten, die Bauzeit war auf je fünf Jahre veranschlagt. Tatsächlich dauerte es vom Guss der Bodenplatte 2012 noch mehr als acht Jahre, bis der erste Reaktor Mitte August 2020 ans Netz ging, drei weitere sind mit jahrelanger Verspätung in Bau. Im Beton der Sicherheitsbehälter aller vier Blöcke fanden sich Risse, ein Problem, das schon beim Bau des koreanischen AKW Hanbit aufgetreten war. Auch die Ausbildung des nötigen Bedienpersonals erweist sich als deutlich schwieriger als gedacht. Und den Sicherheitsventilen für Block 1 verweigerte die Atomaufsicht der Emirate sogar zunächst die Abnahme.

Proteste der Bevölkerung gegen den Bau der Reaktoren sind bisher nicht öffentlich geworden. Einer von ENEC in Auftrag gegebenen Umfrage von 2019 zufolge unterstützen 85 Prozent der Einwohner*innen das Atomprogramm. 96 Prozent seien zudem überzeugt, dass das AKW nach den höchsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards gebaut werde.

Militärische Hintergedanken?
Die Kostenprognosen für das Gesamtprojekt stiegen unterdessen auf mehr als 28 Milliarden US-Dollar an. Bei Baustart 2012 wurde die Kilo-
wattstunde Atomstrom aus Barakah mit für neue AKW extrem günstigen 7,2 Cent kalkuliert, inzwischen dürfte sie zwischen 11 und 20 Cent kosten. Sämtliche in den VAE seither in Bau gegangenen Photovoltaik-Kraftwerke hingegen lagen deutlich unter 7 Cent – und noch dazu mit fallender Tendenz. Der Strom aus den jüngsten Gigawatt-PV-Projekten etwa wird gerade noch um die anderthalb Cent kosten.

Offiziell heißt es, die vier Reaktoren sollten dazu beitragen, den steigenden Energiebedarf des Ölstaats zu decken und zugleich seine CO2-Emissionen zu senken; Sonne allein könne das nicht leisten. Im Raum steht allerdings auch der Verdacht, dass es der autoritär regierten Monarchie in der an Konflikten und Spannungen nicht gerade armen Region auch um den potenziellen Zugriff auf atomwaffenfähige Materialien gehe. Die Emirate weisen dies stets von sich. Gegenüber den USA haben sie sogar zugesagt, weder Urananreicherungs- noch Wiederaufarbeitungsanlagen betreiben zu wollen. Nachbarstaaten wie Saudi-Arabien, die auch in Atomkraft einsteigen wollen, räumen hingegen offen ein, dass die militärische Option für sie durchaus eine Rolle spielt. Andere Atomanwärter wie Jordanien und die Türkei haben nicht einmal den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet. Experten warnen daher bereits vor der Gefahr eines atomaren Aufrüstens am Golf.

Darüber hinaus stellen die Spannungen und kriegerischen Konflikte in der Region eine besondere Gefahr dar. Jemenitische Rebellen haben sich bereits damit gebrüstet, die Baustelle in Barakah mit Raketen beschossen zu haben. Die VAE bestreiten das, verweisen aber auf Luft-Boden-Abwehrraketen, mit denen sie die Reaktoren vor Angriffen schützen wollen. Ein Unfall oder Angriff auf einen Atomtransport im Persischen Golf könnte zudem die Trinkwasserversorgung der gesamten Region bedrohen, die auf Meerwasserentsalzungsanlagen fußt.

Dieser Text erschien im.ausgestrahlt-Magazin Nr. 49 (November 2020).

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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