castor anlieferung biblis 2019
Foto: C. Mick / BGZ
Probeanlieferung eines Castor-Behälters im Zwischenlager in Biblis im November 2019

Castortransport nach Biblis

Anfang November 2020 rollte trotz Corona-Lockdown ein Castor-Transport aus dem britischen Sellafield ins hessische Biblis – der erste Rücktransport aus den Plutonium-Fabriken im Ausland seit neun Jahren. Begleitet wurde er von einem Großaufgebot der Polizei, von Protesten und von einer Kontroverse in den (sozialen) Medien.

Was gegen den Castortransport spricht:

Im Frühjahr 2020 sollten sechs Castoren aus dem britischen Sellafield per Schiff und Zug ins hessische Biblis transportiert werden. Natürlich muss Atommüll, der in Deutschland produziert wurde und nun im Ausland lagert, wieder zurückgeholt werden. Doch dieser und auch der laufende Castortransport sind wegen verschiedener Sicherheitsmängel nicht zu verantworten:

  • Zwischenlager unzureichend gesichert

Die Zwischenlagerhallen, auch in Biblis, sind nicht genügend gegen Flugzeugabstürze und Beschuss mit panzerbrechenden Waffen gesichert.

  • Fehlende Reparaturmöglichkeiten für Castorbehälter

Sollte der innere der beiden Castordeckel während der Lagerung undicht werden, gibt es in Biblis keine Möglichkeit ihn auszutauschen. Ein Abtransport zu einem Ort, an dem diese Reparatur möglich wäre, ist aber bei nur einem funktionstüchtigen Deckel verkehrsrechtlich untersagt. Der Physiker Wolfgang Neumann benennt in einem offenen Brief an die Behörden anlässlich der nun erteilten Genehmigung zur Einlagerung der Castoren noch weitere Mängel.

  • Dauerhafter Verbleib? - ungeklärt

Jeder Castortransport stellt ein besonderes Risiko durch z.B. die Unfallgefahr dar. Umso wichtiger ist es, den hochradioaktiven Abfall nur noch einmal zu transportieren, nämlich dann, wenn klar ist, wo er dauerhaft gelagert werden soll. Doch dieser Ort ist noch nicht gefunden, und es ist unklar, wie lange die Suche dauern wird. Nur eins ist jetzt schon absehbar: die derzeit existierenden Zwischenlager haben nur begrenzte Genehmigungszeiträume, die alle vorher ablaufen. Ein Konzept dafür, wo der Atommüll dann verbleiben soll, gibt es nicht.

.ausgestrahlt fordert daher:

Weitere Transporte dürfen nur noch zu einem Ort stattfinden, an dem die dauerhafte, sichere Lagerung des radioaktiven Abfalls möglich ist.

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Hintergrund

Vier Transporte, 25 Castoren

Die noch in den Plutonium-Fabriken in Sellafield (Großbritannien) und La Hague (Frankreich) lagernden Abfälle aus der Verarbeitung von abgebrannten Brennelementen aus deutschen Atomkraftwerken sollen in den kommenden Jahren in die Bundesrepublik gebracht werden. Es handelt sich um insgesamt 25 Castoren, fünf aus La Hague und 20 aus Sellafield. Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, diesen Atommüll auf vier Standorte zu verteilen, nämlich die Zwischenlager-Hallen an den AKW Ohu/Isar (Bayern), Philippsburg (Baden-Württemberg), Biblis (Hessen) und Brokdorf (Schleswig-Holstein).

Der erste dieser Transporte ist im November 2020 von Sellafield nach Biblis gerollt. Für Herbst 2021 planen die Betreiber dann den Transport von La Hague nach Philippsburg. Ohu und Brokdorf sind frühestens 2023 dran.

Es ist richtig, Atommüll aus deutschen AKW nicht zu exportieren und den, der in anderen Ländern lagert, wieder zurückzunehmen. Doch das sollte erst dann passieren, wenn klar ist, wo er dauerhaft gelagert wird. Denn sonst verdoppelt sich die Zahl der gefährlichen Castor-Transporte – erst zum Zwischenlager und danach wieder weiter.

Außerdem sind die Zwischenlager-Hallen an den Kraftwerken nicht sicher gegen Flugzeugabsturz und Beschuss mit panzerbrechenden Waffen. Das Bundesverwaltungsgericht hat deswegen der Halle in Brunsbüttel 2015 die Genehmigung entzogen. Die anderen Lager sind baugleich oder sogar weniger stabil gebaut. Dass sie noch genehmigt sind, hat keine sachlichen, sondern nur formaljuristische Gründe: Der Klageweg dort war bereits abgeschlossen, bevor das Bundesverwaltungsgericht ein entscheidendes Urteil zur Frage der Flugzeugabsturzsicherheit gefällt hatte.

Völkerrechtliche Verpflichtungen

Die bis 2011 fast jedes Jahr rollenden Atommüll-Züge ins Wendland begründete die Bundesregierung regelmäßig mit dem Verweis auf angebliche völkerrechtliche Verpflichtungen, die einen längeren Verbleib des Mülls im Ausland nicht zuließen. Nun jedoch ist seit mehr als acht Jahren kein Castor mehr zurückgenommen worden – offensichtlich ohne dass es deshalb Ärger mit den Vertragspartnern gab. Das spricht dafür, dass auch eine längere Lagerung in Sellafield und La Hague weder ein völkerrechtliches noch ein diplomatisches Problem darstellt.

Das Atommüll-Bundesamt hat am 23. Dezember die Einlagerungsgenehmigung für die Sellafield-Castoren in Biblis erteilt. Nun fehlt nur noch die Transportgenehmigung. Atomkraftgegner*innen haben Proteste und Aktionen angekündigt, um gegen den Weiterbetrieb der AKW und die ungeklärten Zwischenlagerprobleme zu demonstrieren.

Hintergrund

2011 rollte der vorerst letzte Castor-Transport aus dem französischen La Hague nach Gorleben. Es war seit 1995 der dreizehnte Atommüll-Zug ins Wendland. Insgesamt 113 Behälter stehen im oberirdischen Zwischenlager. Da der massenhafte Widerstand dazu führte, dass die Transporte von Mal zu Mal länger dauerten und der polizeiliche Aufwand immer größer wurde, zog die Politik schließlich die Notbremse.

Gleichzeitig mit dem gesetzlichen Neustart der Standortsuche für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager im Jahr 2013 verbot der Bundestag weitere Castor-Lieferungen nach Gorleben – zumindest so lange, bis der Ort für die dauerhafte Verwahrung der hochradioaktiven Abfälle bestimmt ist. Sollte Gorleben dieser Ort werden, würden in einigen Jahrzehnten noch etwa 1.800 weitere Behälter ins Wendland rollen.

Chronik

04. November 2020: Mit der Ankunft der Castoren in Biblis fangen die Probleme erst an. Welche Risiken die Zwischenlager und Castor-Behälter mit sich bringen findet ihr hier.

12. März 2020: Meldung von Spiegel-Online, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer den Atommülltransport aus England abgesagt hat. Die Lieferung sei für die erste Aprilwoche geplant gewesen und sei nun „mit sofortiger Wirkung suspendiert“, heißt es in einem Schreiben von Bundespolizeichef Dieter Romann. Der Einsatz sei wegen der aktuellen Ausbreitung des Corona-Virus „nicht zu verantworten“.

18. Februar 2020: BUND Hessen widerspricht der Einlagerung von Castoren aus Sellafied in das Zwischenlager Biblis

14. Februar 2020: Atommüll-Bundesamt BASE erteilt Transport-Genehmigung für 6 Castoren von Sellafield nach Biblis, trotz fehlender Reparatur-Möglichkeiten. Castor-Experte Wolfgang Neumann kritisiert die Genehmigung in einem Offenen Brief und benennt zahlreiche weitere Mängel.

23. Dezember 2019: Atommüll-Bundesamt erteilt Einlagerungs-Genehmigung für Castoren aus Sellafield in Biblis.

Weiterführende Informationen