Der Bundestag entscheidet – wie er will

Ein Kernelement des Standortauswahlgesetzes (StandAG) ist die sogenannte Legalplanung. Sie ermöglicht es dem Bundestag, geologischen Erkenntnisse zur Standortsuche zugunsten politischer Erwägungen in den Wind zu schießen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Politik Wissenschaft sticht.

Die Bäuerliche Notgemeinschaft aus dem Wendland erklärt Legalplanung hier folgendermaßen: „Ein juristischer Gewaltakt, der eigentlich ersonnen wurde, um besonders eilbedürftige Projekte – etwa eine Umgehungsstraße – ohne die eigentlich vorgeschriebenen Planungsschritte durchziehen zu können. Per Legalplanung kann der Bundestag jeden Verfahrensschritt in ein Bundesgesetz gießen und damit praktisch unangreifbar machen.“

Im StandAG ist festgelegt, dass der Bundestag am Ende jeder Phase der Suche auf Vorschlag der Behörden entscheidet, welche Standorte im Rennen bleiben und welche ausscheiden. Er muss sich dabei nicht an die Ergebnisse der geologischen Abwägung halten, sondern kann aus politischen Gründen Standorte rauswerfen, die die Behörden für geeignet halten und umgekehrt Standorte im Topf lassen, welche die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) und das Atommüll-Bundesamt (BASE) als ungeeignet ansehen.

Wenn der Bundestag  – und nicht wie sonst üblich eine Behörde – die Auswahl per Gesetz trifft, können die Betroffenen dagegen nicht vor dem Verwaltungsgericht klagen, sondern nur noch vor dem Bundesverfassungsgericht. Das ist aber nur dann erfolgversprechend, wenn ihre Grundrechte eingeschränkt wurden.

Bei einer Infoveranstaltung des Bundesamtes im Mai 2019 in Schwerin stellte ein Besucher die Frage, ob bei der Standortsuche am Ende doch eher politische Interessen und Mehrheiten den Ausschlag geben – auch angesichts der Tatsache, dass im Bundestag 16 Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern sitzen, aus NRW aber beispielsweise 142. Der Präsident des Bundesamtes, Wolfram König, entgegnete daraufhin sinngemäß, dass er es für richtig halte, dass der Bundestag entscheide und auch, dass dieser völlig frei in seiner Entscheidung sei.

Man kann natürlich demokratietheoretisch die Ansicht vertreten, dass das Parlament der richtige Ort für so eine weitreichende Entscheidung ist, schließlich ist es das höchste durch Wahlen legitimierte Gremium. Allerdings zeigt der Umgang mit dem Atommüll in den letzten fünf Jahrzehnten, dass der Bundestag bisher nicht in der Lage war, das Problem zu lösen, sondern stattdessen immer wieder Entscheidungen getroffen hat, die in Sackgassen führten. Auch die Entstehung des StandAG war alles andere als eine Sternstunde des Parlaments. So gesehen macht es wenig Hoffnung, wenn König betont, dass die Abgeordneten bei der Festlegung des Standortes völlig frei in ihrer Entscheidung sind. Mit dem Anspruch eines fairen und wissenschaftsbasierten Verfahrens hat das dann nichts mehr zu tun. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass am Ende die politischen Kräfteverhältnisse entscheidend sein werden – und nicht Sicherheitsüberlegungen.

Erinnert sei an die Brüder Remmers aus dem Emsland, die 1977 in der niedersächsischen CDU verhindert haben, dass der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht den Salzstock Wahn in ihrer Region als Standort für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager benannte – weil der Regierungschef im Landtag auf ihre Stimmen angewiesen war. Albrecht entschied sich stattdessen für Gorleben.

Noch einmal die Bäuerliche Notgemeinschaft: „Das zentrale Argument der Parteien für die Legalplanung war immer die angebliche St-Florians-Haltung in der Bevölkerung: Keine Region wolle ein Atommülllager, deswegen müsse das Heft des Handels beim Bundestag und der Regierung bleiben. Die Realität zeigt bislang allerdings, dass in erster Linie die Parteien und ihre FunktionsträgerInnen das St-Florians-Problem aufführen, von Kommunalräten über die Landespolitiker bis zu den Bundestagsabgeordneten. Sie werden alle Möglichkeiten, die das StandAG für politische Deals bietet, zu nutzen versuchen – und nutzen sie bereits. (…) Am Ende steht nicht ein wissenschaftsbasiertes Ergebnis, sondern ein von politischen Funktionsträgern ausgehandelter Standort.“

StandAG macht Schule: Legalplanung jetzt auch bei Verkehrsprojekten

Auch in der Verkehrspolitik sollen jetzt mit Hilfe der Legalplanung Infrastrukturprojekte im Eilverfahren umgesetzt werden: Auf Grundlage des umstrittenen „Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes“ von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CDU), das am 1. April 2020 in Kraft getreten ist, soll zunächst bei ausgewählten Großprojekten eine Genehmigung per Bundestagsbeschluss erprobt werden.

Während sich die Bundesregierung eine erhöhte Akzeptanz der Bevölkerung und eine beschleunigte Umsetzung von umweltfreundlichen Infrastrukturprojekten erhofft, kritisieren gerade die Umweltverbände das Gesetz als verfassungswidrig und ungeeignet, Planungs- und Genehmigungsprozesse wirksam zu beschleunigen.

Prof. Dr. Thomas Groß, Osnabrücker Professor für öffentliches Recht, kritisierte am Gesetzesentwurf im November 2019, dass „betroffene Bürgerinnen und Bürger, die zum Beispiel enteignet werden, keine Möglichkeit haben, vor einem Verwaltungsgericht zu klagen. Die einzige Möglichkeit bestünde in einer Verfassungsbeschwerde. Aber das ist kein effektiver Rechtsschutz, weil das Verfassungsgericht gar nicht Umweltrecht überprüfen kann.“ Darüber hinaus sieht er eine Verletzung europäischen Rechts, das die Beteiligung der Zivilgesellschaft schützt.

Legalplanung ist eine Beschneidung der Klagerechte und damit des Rechtsschutzes der Betroffenen. Genau das sagt .ausgestrahlt bei seiner Kritik am StandAG.

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