Vom Gefühl, gehört zu werden

05.02.2020 | Silke Freitag

Von wirksamer Mitbestimmung der Betroffenen wollen die am Standortsuchverfahren beteiligten Institutionen nichts wissen. Sie planen stattdessen ihren „D-Day“ – und versuchen Kritiker*innen so einzubinden, dass dies ihren Entscheidungen Akzeptanz verschafft.

Protest in Berlin 2015: Schon die Atommüll-Kommission redete von Beteiligung, wollte von wirksamer Mitbestimmung aber nichts wissen
Foto: publiXviewing
2015: Schon die Atommüll-Kommission redete von Beteiligung, wollte von wirksamer Mitbestimmung aber nichts wissen

Till Steffen, der Hamburger Justizsenator, brachte es beim 6. Hamburger Mediationstag „Politik – m(M)acht – Mediation“ im Juni treffend auf den Punkt: Vor zwanzig Jahren, schilderte er, sei den Behörden vermittelt worden, dass sie Bürger*innen überhaupt zu Wort kommen lassen müssten. Vor zehn Jahren hätten die Behörden dann lernen müssen, dass sie auch noch verstehen müssten, was die Bürger*innen ihnen denn sagen wollten, und heute ginge es nun darum, dass „Schön, dass wir darüber geredet haben!“ eben zu wenig sei. Ergebnisse von Bürger*innen-Beteiligung müssten vielmehr auch wirksam werden.

Von dieser Haltung sind Politik und die am Standortauswahlverfahren für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager beteiligten Institutionen, das Bundesumweltministerium (BMU), das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) [seit 1.1.: Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), d. Red.] sowie die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), noch weit entfernt. Ergebniswirksamkeit von Beteiligung ist in diesem Verfahren leider Fehlanzeige. Statt mit den Betroffenen gemeinsam nach der am wenigsten schlechten Lagerstätte für den Atommüll zu suchen, arbeiten die Behörden vielmehr daran, Akzeptanz für ihren Weg zu beschaffen – gegen die zu erwartenden Widerstände der Bevölkerung.

Planung für den „D-Day“

In der derzeit laufenden ersten Phase der Standortsuche versuchen die Behörden deshalb, möglichst viele Pflöcke einzuschlagen, bevor sie erstmals Regionen („Teilgebiete“) benennen und damit reale Betroffenheit schaffen. So legen sie beispielweise die Sicherheitsanforderungen bereits unverrückbar fest.

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nennt den Tag der Verkündung der konkreten Suchregionen („Teilgebiete“) intern „D-Day“ – ein militärischer Begriff und Synonym für eine der größten Operationen des 2. Weltkriegs, den Tag der Landung der Alliierten in der Normandie. Dieser Kampf- statt Kooperationsmodus der Behörden ist höchst problematisch. Er stellt Kritiker*innen des Verfahrens insbesondere in der Kombination mit einer veränderten Kommunikationsstrategie der Institutionen vor deutliche Herausforderungen.

Strategien der Einbindung

Berater*innen für Krisenkommunikation bringen Unternehmen und Behörden heutzutage bei, wie sie Bürger*innen bestmöglich das Gefühl geben, gehört zu werden. Das „aktive Zuhören“ gehört mittlerweile zum kommunikativen Standardrepertoire in der sogenannten Beteiligung. Dies jedoch macht es Betroffenen umso schwerer, zeitnah zu merken, dass sie mitnichten ergebniswirksam beteiligt, sondern vielmehr strategisch eingebunden werden, weil sie sich beteiligt fühlen statt beteiligt zu werden.

Diese Einbindungsstrategie hat im Standortauswahl-Verfahren für ein Atommüll-Lager unterschiedliche Facetten:

  1. Betroffene dürfen durchaus Stellungnahmen abgeben und im Rahmen von Veranstaltungen wird ihnen auch verdeutlicht, dass ihre Kritik gehört und verstanden wurde. Im weiteren Verlauf jedoch wird diese Kritik geflissentlich ignoriert und nicht weiter berücksichtigt.
  2. In ihrer Öffentlichkeitsarbeit, auf ihrer Webseite und ihren Social-Media-Kanälen, machen die beteiligten Institutionen dagegen deutlich, dass der Umweltverband X oder die Initiative Y Raum bekommen hätte, um ihre Kritik vorzustellen. Auf Fotos von Veranstaltungen sind bevorzugt die wenigen anwesenden Kritiker*innen sichtbar.
  3. Im weiteren Verlauf wird nur noch die Teilnahme an der Veranstaltung thematisiert und die Kritik nicht mehr benannt. Hierbei wird häufig generalisiert, wie zum Beispiel bei der Arbeit der Atommüll-Kommission: Aus „Der BUND hat sich als einziger Umweltverband beteiligt und beim Kommissionsergebnis mit NEIN gestimmt.“ wird so ein „Die Umweltverbände haben das Ergebnis der Kommission mit erarbeitet.“
  4. Zu irrelevanten Fragen wird tatsächlich ergebniswirksame Mitgestaltung zugelassen, wie beispielsweise die Einladung der Umweltverbände und Initiativen zur Frage, wie der Zwischenbericht Teilgebiete gegliedert werden solle oder Vertreter*innen der jungen Generation zur Frage nach der besten Social-Media-Strategie.
  5. Bei der Nachbesetzung der Zufallsbürger*innen für das Nationale Begleitgremium (NBG) wird entgegen der gesetzlichen Möglichkeiten versucht, neue Zufallsbürger*innen zu gewinnen anstatt die in die Materie eingearbeiteten, mittlerweile kritischen Personen weiter im Gremium zu halten.
  6. Wenn Kritiker*innen Elemente fordern, welche die beteiligten Institutionen sowieso planen, besteht die Gefahr, dass die Behörden diese strategisch als substantielles Aufgreifen von Vorschlägen und somit ungerechtfertigter Weise als Zeichen der Ergebniswirksamkeit des Beteiligungsverfahrens verkaufen.

Beteiligungs-Simulation erkennen

Als Politik und Behörden im letzten Jahrtausend schlicht jegliche Beteiligung rundheraus ablehnten, war allen Betroffenen klar, dass es sich hier um eine Durchsetzungsstrategie handelte und Widerstand die einzig passende Antwort darauf sei.

Heutzutage jedoch tun Institutionen immer gekonnter so, als ob sie die Betroffenen beteiligen würden. Deshalb ist es für Menschen schwer, diese Beteiligungssimulationen als solche zu erkennen, wenn sie nicht über die „Beteiligungs“-Erfahrungen der letzten Jahrzehnte verfügen. Dies gilt für junge Menschen gleichermaßen wie für Betroffene potenzieller Standorte, die erstmalig mit diesem Behördenhandeln in Kontakt kommen.

Es ist deshalb wichtig, das konkrete Handeln der Institutionen als Beteiligungssimulation zu erkennen und öffentlich als Versuch der strategischen Einbindung zu benennen. Eine zentrale Frage für Umweltverbände, Initiativen und Betroffene aus den konkreten Such-Regionen („Teilgebiete“) wird es in den kommenden Jahren sein, Wege zu finden, sich unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen im Verfahren kritisch einzubringen, ohne sich strategisch einbinden zu lassen und als Akzeptanzbeschaffer*innen für ein verfehltes Suchverfahren zu dienen.

Dieser Artikel erschien zuerst im .ausgestrahlt-Magazin Ausg. 46 (Anfang 2020)


weiterlesen:

  • Der Haltungsschaden im Suchverfahren
    18.12.2019 - Bereits in der Startphase des Suchverfahrens für ein dauerhaftes Atommüll-Lager zeigt sich der altbekannte Dreiklang der Institutionen im Umgang mit Kritiker*innen: ignorieren, diffamieren und verklagen. So kann und wird die Bürger*innen-Beteiligung bei der Standortsuche nicht gelingen.

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Silke Freitag

Silke Freitag ist Psychologin und Mediatorin. Ihr Schwerpunkt sind identitätsbasierte Konflikte in und zwischen Organisationen sowie im öffentlichen Bereich, u.a. als Moderatorin der Rückbaudialoge der Forschungsreaktoren in Geesthacht (seit 2012) und Berlin (seit 2017). Sie lehrt Mediation u.a. an der Universität Hamburg und ist Autorin diverser Fachbücher und Artikel zu Mediation und Bürger*innen-Beteiligung.

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