Kreuzweg 2021: Anti-Atom meets Anti-Braunkohle

28.06.2021 | Jan Becker
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"Kreuzweg für die Schöpfung" 1988 vor dem Zwischenlager Gorleben
Foto: Michael Meyborg/Gorleben Archiv

1985 und 1988 trugen Anti-Atom-Aktivist*innen große Kreuze aus Holz bis nach Gorleben. Start des ersten „Kreuzwegs für die Schöpfung“ war damals das Atomkraftwerk Krümmel, der zweite begann an der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf (Bayern). Alle drei Standorte sind geprägt worden von erfolgreichem Anti-Atom-Widerstand. Anfang Juli beginnt ein weiterer „Kreuzweg“, der 30 Etappen lang über 470 Km von Gorleben ins Rheinische Braunkohlerevier führen wird.

Mit dem Kreuzweg 2021 stellen sich die Aktivist*innen somit in die Tradition der langjährigen Proteste der Anti-AKW-Bewegung. Die Aktionsformen waren und sind bekanntlich sehr unterschiedlich, sie reichen vom Engagement in politischen Gremien bis zu direkten Aktionen auf Straßen und Schienen. Der Kreuzweg soll dabei „die Kontinuität der Kämpfe und den inneren Zusammenhang der Proteste wie auch die Solidarität der Umweltaktivist*innen an den verschiedenen Schauplätzen – ob im Widerstand gegen Braunkohle, Gas, Atom – oder gegen neue Autobahnen, ausdrücken“, heißt es im Aufruf. Der Kreuzweg ist offen für alle, für Anti-Atom- und Klimainitiativen und -aktivist*innen, für christliche Gruppen und Kirchengemeinden, für alle, die sich in unterschiedlicher Weise beteiligen möchten.

Erster Kreuzweg 1985

Als zur Fastenzeit im Frühjahr 1985 der erste „Kreuzweg“ gegenüber des Atomkraftwerks Krümmel startete, war der Meiler an der Elbe erst wenige Monate in Betrieb. Das Ziel der Aktion war Gorleben. Dessen Standortbenennung zum Endlager für Atommüll war keine 10 Jahre her, eine Halle für die Castorbehälter kürzlich fertiggestellt worden. Das Wendland erwartete die erste Fuhre hochaktiven Atommülls. Erhebliche Proteste begleiteten einen ersten leerer Probe-Castor. Gerollt ist der Müll aber erst zehn Jahre später. Der Kreuzweg wurde 1985 begleitet von heftigen Auseinandersetzungen mit der offiziellen Kirche. Den beteiligten Pastoren wurde zum Teil Predigtverbot angedroht, wenn das große Holzkreuz nahe der Atomanlagen in Gorleben aufgestellt würde. Mit der Ankunft im März feierten auf der Waldbrandfläche bei Gorleben 300 Menschen einen Gottesdienst. Das Kreuz steht noch heute im Wald bei den Atomanlagen. Das AKW Krümmel ist seit 2011 abgeschaltet. Der Meiler muss aber noch abgebaut werden, der Umgang mit Atommüll wird dort noch viele Jahrzehnte Thema sein.

Zweiter Kreuzweg 1988

Noch spektakulärer war der zweite „Kreuzweg für die Schöpfung“ drei Jahre später. Über 6.000 Menschen beteiligten sich daran, ein weiteres, schweres Holzkreuz über mehr als 1.000km von Wackersdorf, dem damals geplanten Standort für eine Wiederaufarbeitungsanlage, nach Gorleben zu tragen. Die Standortentscheidung für eine WAA in Wackersdorf war im Frühjahr 1988 bekannt geworden, erhebliche Proteste folgten. Das Endlager in Gorleben sollte nach damaligen Plänen 2008 in Betrieb genommen werden, der Ausbau lief auf Hochtouren. Die Aktion dauerte 63 Tage und erreichte Gorleben an Pfingsten. Seitdem findet jeden Sonntag unweit der Atomanlagen das Gorlebener Gebet statt. Und Wackersdorf? Die Pläne, in Deutschland eine eigene Plutoniumfabrik zu bauen, sind seit 1989 beerdigt, nachdem Verträge zur „Aufarbeitung“ des verbrauchten AKW-Brennstoffs mit dem Ausland geschlossen wurden.

In Gorleben geht der Protest auch nach dem Aus für ein Endlager, das Ende September 2020 verkündet wurde, weiter: „Denn unser Motto ist ja: Spiritualität und politische Verantwortung im Widerstand. Das gilt nicht nur für einen Standort, das ist auf die Bewahrung der Schöpfung insgesamt bezogen“, so Christa Kuhl, die lange Jahre die Gorlebener Gebete koordiniert hat. Die Auseinandersetzungen um Gorleben sind nach dem Verbot der Castor-Transporte und dem Aus für die Endlagerpläne deutlich entschärft, dennoch befinden sich 113 Castor-Behälter in einer mangelhaft gesicherten Lagerhalle, deren zukünftiger Verbleib völlig unklar ist. 

Kreuzweg 2021

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Nach diesen erfolgreichen Anti-Atom-Protesten führt jetzt ein „Kreuzweg für die Schöpfung“ von Gorleben ins rheinische Braunkohlerevier, um den Protest für einen schnellen Kohleausstieg zu unterstützen. Während der Startpunkt im Wendland den erfolgreichen Kampf gegen das Endlagerprojekt ausdrückt, ist der Zielort Lützerath an der Tagebaukante von Garzweiler im Rheinischen Braunkohlerevier akut bedroht, für den Kohleabbau abgerissen zu werden.

Auch Kohlekraftwerke sollen in Deutschland keine Zukunft haben, denn sie sind die absoluten Klimakiller. Ein Ende für diese CO2-Schleudern ist zwar gesetzlich vereinbart worden, mit dem Jahr 2038 aber viel zu spät. Bei aller politischen Bekenntnis zum „Klimaschutz“ würde das Rheinische Braunkohlerevier noch jahrelang der größte CO2-Emmitent in Europa bleiben. Noch heute verlieren Menschen wegen des Kohleabbaus ihre Heimat, Häuser und Kirchen werden abgerissen, Bäume gefällt, fruchtbarstes Ackerland kommt „unter den Bagger“.

„Mit dem Kreuzweg wollen wir auch der vielen Menschen gedenken, die infolge der globalen Klimaerhitzung ihre Heimat oder gar ihr Leben verloren haben - und zugleich deutlich machen, dass wir eine Wirtschaftsweise nicht mehr akzeptieren, die solche Opfer als scheinbar unausweichlich hinnimmt“, so Michael Friedrich von der Mahnwache Lützerath.

Ein breites Bündnis aus Klima- und Umweltinitiativen, christlichen Gruppen und kirchlichen Institutionen ruft zu dem nächsten „Kreuzweg für die Schöpfung“ auf. Der Weg führt vorbei am AKW Grohnde, den Fleischfabriken von Tönnies bei Rheda-Wiedenbrück, dem neuen Kohlekraftwerk Datteln 4, der RWE-Zentrale in Essen und der Landesregierung in Düsseldorf. Überall sollen Aktionen stattfinden. In Hannover ist der Empfang bei Landesbischof Ralf Meister angekündigt. Am Sonntag, den 1. August endet der Kreuzweg mit einem Gottesdienst „An der Kante“ zur Braunkohlegrube in Lützerath.

weiterlesen:

22.02.2021 - „Salz fördern ist besser als Atommüll lagern“: Unter diesem Motto gründeten Atomkraftgegner*innen 1996 die Salinas Salzgut GmbH. Mit dem Ausschluss Gorlebens aus dem Suchverfahren nach einem Atommüll-Lager wurde „das zentrale Anliegen erreicht“, doch Salz fördern wollen sie trotzdem nicht.

05.11.2019 - Die Anti-Atom-Bewegung lebt vom langen Atem. Nur so wurden in den letzten Jahrzehnten Projekte verhindert, verzögert, verändert. Zwei sehr schöne Beispiele sind Brokdorf und Gronau.

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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