Atompropaganda im Sommerloch

28.08.2023 | Julian Bothe
Gilamoss, Afnang September 2022 - Atomkraftgenger*innen empfangen Söder mit einem Banner "Söder, i glaab dei Huat brennt!"
Foto: Heinrich Inkoferer

Die letzten deutschen Atomkraftwerke sind aus – doch Union, Bild-Zeitung und FDP machen weiter Stimmung für Atomenergie. Unbeirrt durch die Fakten ringen sie um Deutungshoheit.

Am 15. September ruft Fridays for Future wieder zum globale Klimastreik auf. Sei dabei und zeige den Pro-Atomis, dass sie mit ihren Kampagnen nicht durchkommen werden. Atomkraft? Nein danke!

Mehr Informationen: https://www.klima-streik.org/

Als Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Sommerinterview Anfang August 2023 erneut von einer Reaktivierung der Atomkraftwerke fabuliert, wird es dem Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft zu viel. Zwei Tage später stellt der Verband klar, dass es schlicht keine Alternative zum Ausbau der Erneuerbaren gibt: „Ganz egal wie man zur Kernkraft stehen mag, sie steht uns in Deutschland bis 2040 nicht zur Verfügung, von der Kernfusion mal ganz zu schweigen.“ Noch mehr: Der mangelnde Ausbau der Erneuerbaren sei bereits jetzt ein „gravierender Standortnachteil für Bayern“.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nach dem Abschalten der deutschen Atomkraftwerke sinken sowohl der Verbrauch an fossilen Energieträgern als auch der Strompreis. Mittlerweile ist er so niedrig wie zuletzt im Sommer 2021 – und wird dank des Ausbaus der Erneuerbaren tendenziell weiter sinken. Gleichzeitig erreichen die Erneuerbaren neue Rekordanteile an der Stromerzeugung. Zahlreiche fossile Kraftwerke stehen still, weil die Stromproduktion mit Erneuerbaren günstiger ist – nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern in ganz Europa.

Doch die Aussage von Söder war kein Einzelfall. Ende August bläst CDU-Vorsitzender Friedrich Merz in der Bild-Zeitung ins gleiche Horn. Er behauptet, dass er im  Fall eines Wahlsieges 2025 „sofort die stillgelegten Kernkraftwerke wieder ans Netz nehmen“ würde. Erläutert er dann, wie er dieses wahnwitzige Vorhaben realisieren würde? Natürlich nicht: Seine Forderungen dienen vor allem zum Stimmenfang am rechten Rand. Er appelliert an Gefühle, dass die „da oben“ alles falsch machen. Fragen nach der Umsetzbarkeit stören dabei nur.

Pro-Atom-Kampagnen von Söder, Bild und Co

Auch Söder und Merz dürfte klar sein, dass es kein Wiederanfahren der alten Meiler geben wird. Doch ungeachtet der Fakten stellen Konservative und Liberale den Atomausstieg weiter als Fehler dar. Sie sehen darin eine Möglichkeit, Ängste zu schüren, Stimmung gegen die Energiewende zu machen und letztlich Wählerstimmen zu gewinnen.

Ganz vorne mit dabei: die Bild-Zeitung. Sie liefert sich in immer neuen Artikeln ein Zitate-Pingpong mit FDP- und Unions-Politiker*innen. Dabei scheut sie auch vor Falschdarstellungen und Lügen nicht zurück. Ein Ansatzpunkt ihrer Kampagne: Wie so oft im Sommer importiert Deutschland auch in diesem Jahr Strom aus dem Ausland. Nicht zuletzt wegen der guten Bedingungen für Erneuerbare und der im Sommer generell niedrigen Nachfrage ist dort aktuell viel günstige Energie auf dem Markt. Aus diesem im europäischen Strommarkt völlig normalen Vorgang konstruiert die Bild-Zeitung einen Skandal, erfindet neue Maßzahlen und fantasiert vom „Strom-Bettler“ Deutschland. Selbst FDP-Politiker, die ja ansonsten immer für den freien Markt argumentieren, sehen in diesem Handel plötzlich ein Problem – obwohl er für sinkende Stromkosten sorgt. Dabei unterschlagen die Atomfreunde, dass Deutschland noch immer mehr als genügend gesicherte Leistung hat, unterm Strich auch 2023 voraussichtlich mehr Strom exportieren wird, als es importiert, und gleichzeitig immer weniger fossile Rohstoffe verbraucht.

Fusionsträume à la FDP

Währenddessen wird auch die Kernfusion mal wieder durchs Land getrieben. Nicht nur in Bayern und Hessen, wo im Herbst gewählt wird, versuchen Union und FDP mit der Hoffnung auf ein irgendwann mögliches Demonstrationskraftwerk zu punkten. Bereits Ende Juni 2023 veröffentlichte das FDP-geführte Bundesministerium für Wirtschaft und Forschung ein „Positionspapier Fusionsforschung“. Darin behauptete das Ministerium „Fusionsenergie ist bezahlbar“ – und gab erst auf Nachfrage an, dass die einzige Quelle für diese Aussage eine 18 Jahre alte Studie ist. Wenn man deren Annahmen auf den heutigen Stand und das heutige Preisniveau überträgt, stützt diese Studie eher die gegenteilige Aussage. Selbst falls sie irgendwann technisch möglich sein sollte, dürfte Kernfusion eher zu den teuersten Möglichkeiten der Energieerzeugung gehören.

Die FDP stören solche Rechenfehler indessen nicht. Auch weiterhin will sie die Fusion fördern. Zunehmend wird sichtbar, dass dies zu Lasten einer wirklich zukunftsfähigen Transformation geht. So will die FDP in Nordrhein-Westfalen von den 14,8 Milliarden Euro, die als Strukturförderung zum Umbau des Rheinischen Kohlereviers bereitstehen, mindestens eine Milliarde in die Förderung der Kernfusion stecken. Und auch auf kommunaler Ebene sollen Gelder fließen. Der Rhein-Kreis Neuss hat bereits Mittel eingeplant. Nach dem Willen der dominierenden Parteien CDU, FDP, UWG/Freie Wähler und Zentrum soll die Kreisverwaltung zudem zusätzliche eigene Machbarkeitsstudien in Auftrag geben.

Erneuerbare? Ja bitte! Atomkraft? Nein danke!

Ob Atomkraft oder Kernfusion – die Kampagnen machen sich überlieferte Ängste und Hoffnungen zunutze. Die Angst vor dem „Blackout“ oder der „Stromlücke“ war von Anfang an fester Bestandteil des Atomlobbyismus. Gleichzeitig haftet der Kernfusion noch immer der Nimbus von Fortschritt und großtechnischer Machbarkeit an. Dabei geht es doch gerade bei den Erneuerbaren technisch stetig voran – während der Durchbruch bei der Fusion seit Jahrzehnten auf sich warten lässt.

Letztlich geht es um Deutungshoheit: Indem Union und FDP auf Atomkraft und Kernfusion beharren, schreiben sie die Geschichte um, stellen den weltweiten Siegeszug der erneuerbaren Energien infrage und behindern den Kampf gegen die Klimakrise. Auch nach dem Abschalten der deutschen Atomkraftwerke ist es deshalb wichtig, der Atompropaganda immer und immer wieder entgegen zu treten. Atomausstieg, Klimaschutz und die Energiewende gehören zusammen.

 

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Julian Bothe

Julian Bothe arbeitet bei .ausgestrahlt zum Thema Klimakrise und Atomkraft. Er ist ausgebildeter Geograph und beschäftigt sich seit langem mit Energiefragen. Seit seiner Jugend ist er aktiv in sozialen Bewegungen – für Bewegungsfreiheit, Energiedemokratie und Klimagerechtigkeit.

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