Atomkraft, Kriegsspielzeug und Klima-Blabla

04.05.2021 | Eva Stegen
„Seawolf“-Atom-U-Boot der US-Marine
„Seawolf“-Atom-U-Boot der US-Marine
„Seawolf“-Atom-U-Boot der US-Marine
Foto: U.S. Departement of Defense - wikimedia

Hinter zahlreichen Projekten für den Bau neuer AKW und die Entwicklung neuer Reaktoren stehen handfeste militärische Interessen. Die Verquickung zwischen zivilem und militärischem Sektor zieht sich bis auf die Personalebene. Ein Blick nach Großbritannien, Frankreich und in die USA.

Das Vereinigte Königreich ist derzeit nicht in der Lage, es hat weder die finanziellen noch die personellen Ressourcen, um beide Programme isoliert zu entwickeln.“ Die Rede ist von der Ausbildung von Nuklearfachkräften – für die Atomstromproduktion einerseits und die Atomstreitkräfte andererseits. Das brisante Zitat stammt aus einer Anhörung im britischen Unterhaus 2008. Die geladenen Vertreter*innen von Reaktorbauern, Ingenieursvertretungen, Rüstungskonzernen und Ausbildungsinstituten waren zuvor aufgemuntert worden: „Sprechen Sie ruhig ganz offen, es hört uns niemand zu.“ Ihre Expertise wurde gebraucht, um die Erneuerung des AKW-Parks zu organisieren – als Infrastrukturgarant und Kostendämpfer für die nukleare Abschreckung der Atommacht.

Das offenherzige Statement stammt vom Vertreter des Dalton Nuclear Institutes, einer großen kerntechnischen Forschungs- und Ausbildungsstätte. Der hatte zuvor erklärt: „In der Vergangenheit wurde das militärische Programm weitgehend isoliert vom zivilen Programm entwickelt. Aus Rücksicht auf Geheim-Informationen.“ Die Ausbildung jedoch war de facto dual, er beschrieb das Prinzip wie ein System kommunizierender Röhren, in dem die jeweiligen Fachkräfte zwischen dem zivilen und dem militärischen Bereich hin- und herwechseln können, und betonte: „Diese Verbindung muss allerdings mit Vorsicht behandelt werden, um die Wahrnehmung zu vermeiden, dass das zivile und das militärische Atomprogramm ein und dasselbe sind.“

Das teuerste Atomkraftwerk der Welt

Inzwischen ist hinlänglich bekannt, dass die britische Regierung bar jeder energiewirtschaftlichen Vernunft den Bau des teuersten Atomkraftwerks der Welt angezettelt hat: Hinkley Point C. Wer allerdings weiß, dass das Militär ansonsten nicht in der Lage wäre, die Atomreaktoren zu erneuern, die die nuklearen U-Boote und Flugzeugträger antreiben, dem erschließt sich die Logik: Die britische Fridays-for-Future-Generation wird noch bis zum Rentenalter mit ihrem Stromgeld das Atom-U-Boot-Programm quersubventionieren. Nur aus Sicht der Militärs ist das ein guter Deal.

Um die Rolle der nuklearen Ausbildungsinfrastruktur besser zu verstehen, hilft eine gemeinsame Stellungnahme der Institution of Nuclear Engineers (INucE) und der British Nuclear Energy Society (BNES): „Die Frage der Überschneidung zwischen Zivilem und Militärischen kann in zwei Bereiche unterteilt werden: Waffen und Atom-U-Boot-Antrieb.“ Ein wichtiger Punkt, denn die Glaubwürdigkeit ihrer nuklearen Abschreckung, auf die die Briten allergrößten Wert legen, steht und fällt mit dem nuklearen Antrieb ihrer mit Atomraketen bestückten U-Boote. Nur dank diesem sind sie in der Lage, unbemerkt die Weltmeere zu durchkreuzen. „Es gibt ein größeres Maß an Gemeinsamkeit zwischen Ingenieuren, die in der zivilen Atomkraft arbeiten, und denen, die an Antriebssystemen für U-Boote beteiligt sind.“ Im Unterschied dazu haben diejenigen, die an Atomwaffen arbeiten, „mehr mit Atomphysik zu tun als mit Energietechnik.“

Praktische Beispiele für die Durchlässigkeit in der zivil-militärischen Ausbildungsinfrastruktur gibt es reichlich bei Atommächten. So hatte beispielsweise der damalige Chef des Reaktorbauers Areva UK, Robert Davis, als er in einem Gastbeitrag für den „Guardian“ die Leser*innenschaft mit Falschinformationen zu den Kosten seines AKW-Neubauprojektes vom Typ „EPR“ in Hinkley Point fütterte, bereits eine 25-jährige Navy-Karriere als Kriegsschiff-Kommandant hinter sich. Danach war er im Verteidigungsministerium für die Budgetplanung zuständig. Einer, der so genau weiß, wo der Schuh drückt, erklärte den „Guardian“-Leser*innen frech, es ginge um Energieversorgung und es würden keine staatlichen Subventionen benötigt.

Nun ist die Idee des EPR, die Kosten pro Kilowattstunde durch die zunehmende Größe des Reaktors zu senken, schon andernorts krachend gescheitert, auch in Frankreich, dem EPR-Mutterland. Dennoch will die freundliche Atommacht von nebenan ab 2025 sechs neue EPR bauen, weil dies „ein Anliegen für zivile Tätigkeiten, aber auch für die Verteidigung – mit dem Atomantrieb von U-Booten und Flugzeugträgern“ sei, wie ein militärisches Geheimdokument belegte, das 2018 an die Zeitung „Les Echos“ durchgestochen wurde. Die beiden Verfasser des Dokuments haben jeweils beeindruckende zivil-militärische Drehtür-Karrieren hinter sich, mit Stationen unter anderem beim staatlichen Stromversorger EdF, im Rüstungsbeschaffungsbüro des Verteidigungsministeriums und beim Hersteller von nuklearen U-Boot-Antrieben TechnicAtome. Beim zivilen Reaktorbauer hat man das Kostenfiasko offenbar auch erkannt. Es gibt Pläne, statt auf die gescheiterten „Größenvorteile“ nun doch auf vermeintliche Replikationsvorteile zu setzen. Mit dem sogenannten „EPR New Model (NM)“-Konzept, also vielen kleinen EPR NM.

Frankreich hat 2019 sogar stolz verkündet, man wolle jetzt auch mitmischen beim Small Modular Reactor (SMR) Business, die Grande Nation entwickelt einen eigenen Atomzwerg. Bei der Bekanntgabe der Konsortialpartner unterschlug das Umweltministerium, dass der Atomantriebs-Bauer TechnicAtome sowie die Naval Group, die auf ihren Werften Atom-U-Boote baut, beteiligt sind.

Die kleinen modularen Reaktoren, deren Heilsbringer-Geschichten derzeit wie Pilze aus dem Medien-Boden sprießen, liefern ebenfalls Anlass, einmal auf zivil-militärische Ambivalenz zu schauen.

Atommächte – ganz schön ähnlich

Wie bei den beiden europäischen Atommächten Frankreich und Großbritannien werden auch beim SMR-Hype in den USA fürs Publikum Geschichten vom Klimaschutz erzählt, obwohl hinter der nächsten Ecke gleich eine Militärverbindung zu finden ist. Sowohl bei NuScale als auch bei Terrapower findet man in den oberen Konzern-Etagen Personal mit Nuklear-Marine-Expertise. Das mediale Gesicht von Terrapower jedoch ist Gründer und Investor Bill Gates, den es auf die Bühnen drängt, wo er den postfaktischen Dreiklang der „neuen Atomkraft“ zu Kosten, Klimagasen und Verlässlichkeit besingt – ohne auf das Finanzierungs- und Lobby-Netzwerk einzugehen, das seine Flüssigsalz- und Laufwellen-Reaktor-Konzepte dereinst materialisieren soll. TerraPower wird teilweise vom US-Energieministerium DOE und dem Los Alamos National Laboratory finanziert, der ältesten US-Forschungsstätte für Atomwaffen. Das DOE ist u.a. zuständig für den Bau von atomaren Kriegsschiffs-Antriebsreaktoren, Energieforschung und „Entsorgung“ radioaktiver Abfälle. Dazu kommt Unterstützung durch die „Breakthrough Energy Coalition“, eine von Gates gegründete Milliardärs-Clique, deren Klimakiller-Lifestyle Zweifel aufkommen lässt am ausgegebenen Ziel, „saubere“ Energie voranzubringen. Als einer der Hauptinvestoren von Terrapower organisiert er mit der familieneigenen Stiftung Geldflüsse in Richtung reichweitenstarker Unterstützer: Über den Geldsegen freuen sich große Medienhäuser, eine Animations-Agentur, die bunte Filmchen macht, und Bills geschätzter Statistik-Freak Max Roser, dessen Plattform „Our World in Data“ anhand von ausgewählten Daten die Harmlosigkeit der Atomkraft belegen will.

Militär-Veteranen im Energiesektor

Ein Blick unters Klima-Deckmäntelchen zeigt, dass der Weg vom „Weltklimaretter“ zur Nuklear-Marine bemerkenswert kurz ist. Auf seiner Website veröffentlicht Terrapower ein „Happy Veteran’s Day“-Grußwort von CEO Chris Levesque. „Ich bin stolz darauf, dass mein Unternehmen talentierte Veteranen beschäftigt“, erklärt der und verweist auf eine Initiative namens „Veterans in Energy“. In den Streitkräften werde seit langem Atomenergie zum Antrieb von Schiffen und U-Booten eingesetzt. Dies habe „eine gut ausgebildete militärische Belegschaft parallel zur zivilen Industrie“ und einen zivil-militärischen Austausch geschaffen.

Levesque begann seine 30-jährige Nuklear-Karriere als Offizier auf verschiedenen U-Booten. Auf einem atomgetriebenen Jagd-U-Boot mit nicht-atomaren Waffen überwachte er als Chefingenieur dessen erste Kritikalitäts- und Reaktor-Start-Tests. Von der Navy wechselte er zum zivilen Reaktorbauer Westinghouse. Schiffsbau, Rüstung, Nuklear-Großkomponenten-Bau und mehrere Managementpositionen an zwei nuklearfähigen Werften waren weitere Karrierestationen. Levesque ist Vorstandsmitglied der US-Atom-Lobbyorganisation Nuclear Energy Institute (NEI), die im Weißen Haus und im Kongress mächtig Einfluss nimmt.

Klima, Klima, Klima? Nationale Sicherheit!

Während Gates Geld und Reichweite nutzt, um das Hohelied des angeblichen nuklearen Klimaschutzes zu singen, offenbart eine Terrapower-Stellungnahme zur globalen nuklearen Führerschaft der USA völlig andere Motive: „Amerikas Verzicht auf kerntechnische Chancen im Ausland gefährdet auch seine nationale Sicherheit, indem es den Schwund der nuklearen Expertise und Qualifikation ermöglicht. Diese ist für den Erhalt von zweierlei erforderlich: seiner bestehenden AKW sowie seiner reaktorgetriebenen Marine.“ Gates’ Atom-Start-up verweist auf den Atlantic Council-Bericht „Der Wert des US-Atomkraftkomplexes für die nationale Sicherheit der USA“. Dieser beziffert den Beitrag der zivilen US-Atomstrom-Industrie zur Kostenentlastung des militärischen Nuklearkomplexes auf jährlich 42,4 Milliarden US-Dollar.

Terrapower findet, der Kongress solle unter anderem Mittel für Forschung und Entwicklung seines Reaktors bereitstellen. Das könne über das Gesetz zur nuklearen Führerschaft (NELA) geschehen oder das Genehmigungsgesetz zur nationalen Verteidigung (NDAA), welches den US-Militärhaushalt festlegt. Zur Begründung, nämlich „wegen des zivilen, militärischen und geopolitischen Wertes der US-Führerschaft in der Atom-Technologie“, hat Terrapower ein Dokument verlinkt, das es in sich hat. Das Who is Who von über 40 Interessenvertreter*innen aus dem gesamten zivil-militärischen Atomspektrum fand sich dort zusammen, um dem Verteidigungsausschuss beizubiegen, dass die „neuen Atomenergie-Produkte“ wichtige Bestandteile für den Verteidigungsbedarf bieten und auch „für ein modernes, sauberes, resilientes Energie-System“.

Was atomare Klimakrisen-Trittbrettfahrer*innen sonst vehement bestreiten, haben hier alle unterzeichnet: „In der Geschichte unseres Landes haben sich militärische und zivile Anwendungen synergistisch entwickelt. Durchbrüche bei der zivilen Atomkraft kommen dem Militär zugute und militärische Durchbrüche kommen der zivilen Energie-Erzeugung zugute.“ Auch im folgenden Satz geht’s nicht ums Klima: „Da China und Russland ‚fortschrittliche Reaktoren‘ entwickeln und in strategisch wichtige Länder in der ganzen Welt exportieren, ist es entscheidend, dass die USA ihre Führungsrolle in diesem geopolitisch wichtigen Bereich wieder behaupten.“ Sehenswert ist die Liste der Unterzeichner, vom Advanced Nuclear Weapons Alliance Deterrence Center über Atomkraft-Start-ups und alte Reaktorbauer, hippe „Nuclear-Pride-Coaliton“-Mitglieder wie „Energy for Humanity“ oder „Generation Atomic“ bis zu Brennstoff-Lieferanten, die entweder im stärker angereicherten -Uran (HALEU) oder Thorium die Zukunft sehen.

Klare militärische Interessen beim EU-Lobbying verschwiegen

Die klaren militärischen Interessen der Terrapower-Konzepte werden indes mit dem Mantel des Schweigens bedeckt, wenn Gates als Klimakrisen-Trittbrettfahrer mit Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) über die internationale Energiewende diskutiert und dessen Ministerium „in enger Abstimmung mit den EU-Partnern eine Zusammenarbeit mit der ‚Breakthrough Energy Coalition‘“ plant. Oder die Breakthrough-Kumpel mit EU-Forschungs-Kommissar Carlos Moedas in illustrer Runde arbeitsfrühstücken – kurz nachdem jener mit einem Papier, das ambitionierte Ziele für Mini-AKW nannte, 2016 für Schlagzeilen sorgte. Und natürlich ging es weder ums Militär noch um Geostrategie, als EU-Forschungskommissar Moedas und EU-Kommissions-Vize Šefcovic im Mai 2019 gemeinsam mit Gates die Gründung des 100-Millionen-Euro-Risikofonds „Breakthrough Energy Ventures Europe“ besiegelten. Mit „Breakthrough“-Milliardärs-Kapital und EU-Steuergeld wolle man „Europäischen Firmen helfen, ‚saubere Energie-Technologien‘ zu entwickeln“. Wobei „sauber“ hier als Kryptonym zu verstehen ist: für „Atomkraft und mehr“.

weiterlesen:

  • Bombenrisiko Atomkraft
    Zivile und militärische Nutzung der Atomenergie lassen sich nicht eindeutig trennen. Atomkraftwerke, Forschungsreaktoren, Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen sind immer auch ein Weg, an die zum Bau einer Atombombe nötigen Materialien zu gelangen und militärische Atomprogramme zu kaschieren.
  • Proliferationsrisiken „neuer“ Reaktoren
    6.5.2021: „Neue“ Reaktorkonzepte, etwa der „Generation IV“, oder kleine modulare Reaktoren vergrößern die Gefahr der Weiterverbreitung von radioaktivem Material.
  • Atomstrom fürs Schlachtfeld
    5.5.2021: Kleine, modulare Reaktoren sind vor allem fürs Militär interessant. Das nutzt sie seit Jahrzehnten als U-Boot-Antrieb – und träumt zum wiederholten Mal von mobilen Mini-AKW. Diese sollen nicht nur Stützpunkte und Militärlager versorgen, sondern auch Strom für neuartige Waffen liefern.
  • Auf dem Weg in den Krieg: Urenco expandiert
    7.3.2019: Bislang galt der Anreicherungsgrad von 5 Prozent als Beleg dafür, dass die Urananreicherungsanlagen für „rein zivile Nutzung“ produzieren. In den USA will Urenco den Anreicherungsgrad vervierfachen - und durchbricht damit eine „sicherheitspolitische Barriere“, warnen Atomkraftgegner*innen.
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Eva Stegen

Eva Stegen engagiert sich für die Energiewende, privat als Bloggerin und beruflich als Energiereferentin der EWS Schönau. Sie ist Co-Autorin der Informationsschrift „Das Desaster der europäischen Atomwirtschaft“ Mitglied der Nuclear Consulting Group.

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