„Neue“ Reaktorkonzepte, etwa der „Generation IV“, oder kleine modulare Reaktoren vergrößern die Gefahr der Weiterverbreitung von radioaktivem Material.
Die Weitergabe von spaltbarem Material sowie den für Atomwaffen benötigten Technologien und dem erforderlichen Know-how ist eines der großen Probleme im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomenergie zur Stromgewinnung. Viele Materialien und Technologien, die dabei zum Einsatz kommen, sind auch für das Militär interessant. Atomkraft-Befürworter*innen behaupten, dass neue Reaktormodelle, etwa der sogenannten „Generation IV“, die Verbreitung von zivil-militärisch ambivalenten „Dual-Use“-Gütern und -Technologien reduziere. Aber stimmt das?
Entscheidende Voraussetzung für den Bau einer Atomwaffe ist der Zugang zu waffenfähigem Spaltmaterial in ausreichender Menge. Diese Stoffe kommen in der Natur nicht vor, sie entstehen entweder im Reaktor – Beispiel: Plutonium – oder werden in aufwändigen Verfahren erst hergestellt, um als Brennstoff Verwendung zu finden, etwa hoch angereichertes Uran. Wie wahrscheinlich die Abzweigung oder Entwendung von waffenfähigem Material aus einem Reaktor ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab: dem Brennstoff, dem Reaktordesign, Hürden wie starker Strahlung oder hohem Behältergewicht, bauliche, technische und administrative Schutzmaßnahmen sowie den sogenannten „Safeguards“ – Überwachungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Als besonders kritische Technologien sind die Urananreicherung und die Wiederaufarbeitung zu sehen: erstere macht Uran erst waffenfähig, zweitere ermöglicht die Abtrennung von Plutonium und anderen waffenfähigen Spaltmaterialien aus dem Strahlencocktail abgebrannter Brennstoffe.
Zwei im März erschienene Gutachten, erstellt im Auftrag des Atommüll-Bundesamtes (BaSE), analysieren den aktuellen Stand und mögliche Auswirkungen bei der Entwicklung neuer Reaktorkonzepte und beleuchten dabei neben anderen Aspekten auch die Proliferationsgefahren dieser Technologien.
Generation IV
Vor allem zwei Reaktortechnologien der Generation IV sind diesbezüglich relevant: „schnelle“ Brutreaktoren und Flüssigsalzreaktoren. Sogenannte schnelle Reaktoren arbeiten mit ungebremsten Neutronen, die andere Kernreaktionen auslösen als die abgebremsten Neutronen in herkömmlichen Modellen. Sind sie als Brutreaktor konzipiert, kann ein Teil der schnellen Neutronen in einem „Brutmantel“ um den Reaktorkern deponiertes nicht spaltbares Material in spaltbares umwandeln, etwa Uran-238 in Plutonium-239. Dieses kann dann nach Abtrennung in einer Wiederaufarbeitungsanlage wiederum als Brennstoff Verwendung finden, womit die ursprüngliche Brennstoffladung besser ausgenutzt wird. Allerdings ist damit auch eine hohe Proliferationsgefahr verbunden, denn das spaltbare Material, in diesem Beispiel Plutonium, wird in der Wiederaufarbeitung von den hoch radioaktiven Spaltprodukten separiert, deren starke Strahlung einen recht effektiven Schutz gegen unautorisierten Zugriff darstellt. Nach Einschätzung von Expert*innen kann diese Gefahr auch durch „Safeguards“ nicht ausreichend reduziert werden, unter anderem, weil das Plutonium bei der Wiederaufarbeitung und der anschließenden Herstellung neuer Brennelemente in loser Form, etwa als Pulver, verarbeitet wird, was zu Ungenauigkeiten bei der Überwachung und Bilanzierung führt.
Im Flüssigsalzreaktor wird flüssiger Brennstoff durch eine Salzschmelze gekühlt. Befürworter*innen solcher Reaktorkonzepte sind der Meinung, dass die hohe Strahlenbelastung der Salzschmelze eine verdeckte Abtrennung waffenfähiger Stoffe, die im Reaktorbetrieb entstehen, erschwere. Doch gleichzeitig macht die Tatsache, dass Spaltmaterial und Spaltprodukte im Betrieb in der Salzschmelze gelöst sind, die genaue Überwachung der Materialflüsse sehr schwierig. Voraussetzung für den Betrieb von Flüssigsalzreaktoren ist außerdem eine integrierte Wiederaufarbeitungseinheit, mit der sich im Reaktor entstandene waffenfähige Stoffe direkt separieren lassen. Kommt Thorium als Brennstoff zum Einsatz, würde im Betrieb zudem Uran-233 entstehen, das besonders einfach waffenfähig ist.
Ein grundsätzliches Problem bei den „Generation IV“-Entwicklungen sind widersprüchliche Entwicklungsziele. So wird eine erhöhte Proliferationsresistenz zwar als ein wesentliches Ziel genannt (weswegen manche sogar dafür plädieren, bei schnellen Reaktoren auf einen Brutmantel zu verzichten). Das steht aber im Widerspruch zu dem ebenfalls postulierten Ziel einer hohen Ressourcenausnutzung, die mit einem Brutmantel optimiert werden kann.
Transmutation
Schnelle Reaktoren, Flüssigsalzreaktoren und andere Reaktoren werden auch für die sogenannte Transmutation von Atommüll gehandelt. Das Konzept – fachsprachlich: „Partitionierung & Transmutation“ (P&T) – besteht darin, Atommüll fein säuberlich in seine verschiedenen Bestandteile aufzuteilen („partitionieren“) und die besonders gefährlichen Bestandteile dann in weniger gefährliche umzuwandeln („transmutieren“). Dabei ist die Partitionierung letztlich eine erweiterte Wiederaufarbeitung und daher mit ähnlichen Risiken verbunden. Würde man sich in Deutschland entscheiden, den angefallenen Atommüll aus rund sechs Jahrzehnten Atomenergienutzung per P&T zu bearbeiten, müssten unter anderem 129 Tonnen waffenfähiges Plutonium abgetrennt werden, mit denen dann über lange Zeiträume hantiert würde. Selbst nach Abschluss eines solchen P&T-Programms würde je nach Szenario eine gewisse Menge Plutonium übrigbleiben. Letztlich kann P&T nicht nur den Atommüll nicht vollständig beseitigen, sondern schafft durch die Wiederaufarbeitung und den jahrzehntelangen Einsatz neuer Reaktoren sogar jede Menge neue Proliferationsrisiken.
Eine Welt voller Mini-Reaktoren
Auch bei den verschiedenen Konzepten sogenannter kleiner modularer Reaktoren (SMR), der Idee nach in Serie zu fertigenden Mini-Reaktoren, an denen einige Firmen und Konsortien arbeiten, sehen Expert*innen unterm Strich keine relevanten Vorteile hinsichtlich der Proliferationsresistenz gegenüber heute eingesetzter Reaktortechnik. Das ist kein Wunder, handelt es sich bei den konkreteren dieser Reaktor-Projekte doch letztlich vor allem um herkömmliche Druckwasserreaktoren. Bestimmte Eigenschaften einzelner Konzepte sowie die mit den SMR angestrebte weite Verteilung der Reaktoren wirken sich sogar negativ darauf aus.
Einige SMR-Konzepte sollen Uran mit einem Anreicherungsgrad von bis zu 20 Prozent nutzen, wohingegen der Anreicherungsgrad des in heutigen Reaktoren eingesetzten Urans bei nur 3 bis 5 Prozent liegt. Uran gilt ab einem Uran-235-Anteil von etwa 90 Prozent als waffentauglich, allerdings ist der Aufwand für die erste Anreicherung auf bis zu 5 Prozent am höchsten. Zumindest für Länder, die über die erforderliche Anreicherungs-Technologie wie Ultrazentrifugen verfügen, ist die weitere Anreicherung dann relativ unaufwändig. Andere Reaktor-Designs sehen gar Plutonium als Brennstoff oder Wiederaufarbeitungsschritte vor.
Hinzu kommt: Eine deutlich höhere Anzahl (kleinerer) Reaktoren bietet grundsätzlich mehr Möglichkeiten, brisante Stoffe abzuzweigen, und erhöht den Aufwand für Überwachungsmaßnahmen. Das gilt ganz besonders beim geplanten Einsatz in entlegenen Gebieten, wo bei einem Angriff auch eine schnelle Reaktion erschwert sein könnte. Nicht zuletzt wegen der vergleichsweise geringeren Anfangsinvestitionen könnten Mini-Reaktoren, die quasi schlüsselfertig geliefert werden, unterm Strich zu einer besonders schnellen weltweiten Verbreitung von dual-use-fähigem Material und Know-how führen.
Fazit
Konzepte für neue Reaktoren gibt es viele, was eine pauschale Aussage über das Proliferationsrisiko erschwert. Die Proliferationsresistenz ist oft von Details der Auslegung und geeigneten Safeguards abhängig, die in vielen Fällen erst entwickelt werden müssten. Klar ist aber: Konzepte mit Wiederaufarbeitungsanlagen, mit höher angereichertem Uran oder mit Thorium als Brennstoff bergen unter Proliferationsaspekten besondere Gefahren. Und Safeguards können prinzipiell nicht verhindern, dass signifikante Mengen abgezweigt oder entwendet werden, sondern dies lediglich im Nachhinein aufdecken. Insgesamt steigt die Gefahr der Proliferation mit der Zahl der Reaktoren und ihrer Verbreitung. Mehr Proliferationssicherheit ist daher nicht mit neuen Reaktorkonzepten, sondern nur durch die konsequente Abkehr von der Atomenergie zu erreichen.
Download
Die vom Atommüll-Bundesamt (BaSE) in Auftrag gegebenen Gutachten „Sicherheitstechnische Analyse und Risikobewertung einer Anwendung von SMR-Konzepten (Small Modular Reactors)“ sowie „Sicherheitstechnische Analyse und Risikobewertung von Konzepten zu Partitionierungs- und Transmutationsanlagen für hochradioaktive Abfälle“ findest Du hier:
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