Der Elefant im Raum

12.02.2024 | Armin Simon
Demonstration am 20. Januar vor der Brennelementefabrik
Demonstration am 20. Januar vor der Brennelementefabrik
Foto: Lars Hoff

Die Brennelemente-Fabrik Lingen will ihre Produktion erweitern, die Unterlagen dazu liegen bis März öffentlich aus. Doch über die Kooperation mit Rosatom, Anlass der Expansion, und die Rolle des Kreml-Konzerns bei dem Projekt verlieren sie kein Wort.

Im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren für den beantragten Ausbau der Brennelementefabrik Lingen liegen seit Januar die Antragsunterlagen öffentlich aus. Der französische Staatskonzern Framatome will dort in Lizenz und unter Mitwirkung des russischen Staatskonzerns Rosatom künftig auch Brennelemente für Reaktoren russischer Bauart produzieren. Eigens dafür hat er mit der Rosatom-Tochter TVEL ein Joint Venture gegründet.

Der Einstieg des russischen Staatskonzerns, der direkt dem Kreml unterstellt ist, in die Brennelementefertigung in Lingen sorgt seit Monaten für Kritik. Reaktorsicherheitsexpert*innen warnen vor einem möglichen Zugang zu sensiblen Informationen über Atomkraftwerke in ganz Europa. Atomkraftgegner*innen kritisieren, dass der weltgrößte Atomkonzern, der im Auftrag des Kreml daran arbeitet, AKW in der ganzen Welt zu bauen und damit geopolitische Abhängigkeiten für Jahrzehnte zu schaffen, in Lingen Fuß fassen will. Und sehr viele halten es für äußert unklug, mit einem Staatskonzern zu kollaborieren, der aktiv am Krieg Russlands gegen die Ukraine beteiligt ist und dessen Chef sich mit Putin persönlich am kleinen Teetisch bespricht.

Genehmigung verweigert

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Foto: Lars Hoff

Umso erstaunlicher ist, dass in den Antragsunterlagen die Rolle Rosatoms und die gravierenden Sicherheitsprobleme, die aus dem Einstieg des kremlnahen Konzerns in Lingen resultieren, mit keinem Wort erwähnt werden. Auch die Erkenntnisse der Bundesregierung, die in der Zusammenarbeit mit Rosatom eine Gefährdung der Sicherheitsinteressen Deutschlands und seiner Verbündeten sieht, kommen in den Unterlagen nicht vor. 2022 hatte diese, gestützt auf das Außenwirtschaftsrecht, die Genehmigung für das zunächst in Deutschland geplante Gemeinschafts­unternehmen von Framatome und Rosatom verweigert. Die Gründe dafür hält sie bis heute geheim. Für ein sachgerechtes Verfahren müssen die Ergebnisse der 2022 durchgeführten Investitionsprüfung offengelegt und zwingend in das atomrechtliche Genehmigungsverfahren einbezogen werden.

Rosatom ist der Elefant im Raum, über den keiner spricht, kritisiert Julian Bothe, Rosatom-Experte von .ausgestrahlt: „Nur wenn alle sicherheits­relevanten Informationen für alle zugänglich auf dem Tisch liegen, ist eine ernsthafte Diskussion des Vorhabens möglich. Die Bundesregierung darf ihre Erkenntnisse deshalb nicht länger unter Verschluss halten.“

„Rosatom ist die rechte Hand des Kreml und versucht mit jeder Handlung, den Einfluss Putins zu vergrößern“, sagt Wladimir Sliwjak, Co-Vorsitzender der russischen Umweltorganisation Ecodefense! und Träger des Alternativen Nobelpreises 2021. „Die Bundesregierung darf nicht zulassen, dass ein solcher Konzern Zugang zu einer Atomfabrik bekommt. Sie muss vielmehr alles dafür tun, dass jegliche Zusammenarbeit mit Rosatom unverzüglich unterbunden wird.“

Dem Umweltministerium in Hannover gegenüber hat Framatome längst eingeräumt, dass auch Mitarbeiter*innen von Rosatom in Lingen tätig werden sollen. Die neuen Maschinen müssen eingerichtet, das Personal eingelernt, die Herstellung der sechseckigen Brennelemente und die Einhaltung der spezifischen Spezifikationen überwacht werden. Framatome alleine ist nach eigener Aussage nicht in der Lage, diese Art Brennelemente eigenständig zu fertigen. Rosatom wird zudem spezielle vorgefertigte Uran-Pellets liefern, die in den Brennelementen für die Reaktoren russischen Typs eingebaut werden müssen.

Uran für militärische Verwendung?

Bereits heute bezieht die Brennelementefabrik in Lingen regelmäßig Uran von Rosatom. Alle paar Wochen erreicht eine neue Lieferung aus Russland das Werkstor. Künftig will Framatome auch Atom-Brennstoff von Lingen aus nach Russland exportieren. Empfänger der Uran-Pellets soll die Rosatom-Tochtergesellschaft MSZ Machinery Manufacturing Plant JSC in Elektrostal sein. Die warb noch vor Kurzem öffentlich damit, dass sie auch Reaktoren für die Atom-U-Boot-Flotte der russischen Marine baut und mit Brennstoff beliefert.

Nicht ausgeschlossen also, dass der aus Lingen gelieferte Stoff am Ende sogar militärisch genutzt wird. Das allerdings wäre eindeutig illegal: Die EU-Sanktionsverordnung Nr. 833/2014, erlassen 2014 als Reaktion auf den russischen Einmarsch auf die Krim, verbietet den Export von Dual-Use-Gütern – dazu zählt angereichertes Uran –, wenn nicht zweifelsfrei feststeht, dass eine militärische Verwendung ausgeschlossen ist.

Über den Exportantrag von Framatome hat das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) noch nicht entschieden. Man prüfe noch.

Einwendung jetzt!

Noch bis Anfang März kannst Du Einwendungen gegen den Ausbau der Brennelementefabrik Lingen und den Einstieg von Rosatom erheben.

Eine Sammeleinwendung kannst Du hier herunterladen oder kostenlos bestellen. Bitte auch Freund*innen, Bekannte, Nachbar*innen, Kolleg*innen und deine Familie, zu unterschreiben. Je mehr Einwendungen eingehen, desto größer der Druck, sich damit auseinanderzusetzen. Du kannst deine Einwände auch individuell formulieren.

Einwendungen bitte bis 20. Februar 2024 schicken an: .ausgestrahlt, Große Bergstraße 189, 22767 Hamburg.

.ausgestrahlt übergibt alle Einwendungen Ende Februar öffentlichkeitswirksam und fristgerecht dem niedersächsischen Umweltministerium.

Mehr Informationen zur Atomfabrik Lingen

Dieser Text erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 60 (Feb./März/Apr. 2024)

weiterlesen:

  • Im Sicherheitsbereich
    5.1.2024: Berührt der Einstieg von Rosatom in die Brennelemente-Fertigung in Lingen bundesdeutsche Sicherheitsinteressen? Das legen Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums nahe. Und auch Reaktorsicherheitsexpert*innen warnen: Ein derartiger Partner in einem solchen Betrieb sei keine gute Idee.
  • Kein Ausbau der Brennelementefabrik in Lingen – Sicherheitsgefahren nicht verheimlichen
    26.10.2023: Das Bundeswirtschaftsministerium sieht im Zusammenhang mit dem Einstieg Russlands in die Brennelementefertigung in Lingen die Möglichkeit einer „Beeinträchtigung der Sicherheitsinteressen“ Deutschlands und die Gefahr von „Sabotageakten“ – bis heute.
  • Der Atom-Riese
    3.8.2023: Der russische Staatskonzern Rosatom ist der größte Player im weltweiten Atomgeschäft. Im Auftrag des Kreml verbreitet er Atomkraft in alle Welt – und ist auch am Angriff auf die Ukraine beteiligt. Ein Überblick
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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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