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Infomail Standortsuche 043

13. Juni 2019

Jochen Stay

Liebe Freundin, lieber Freund,

wir freuen uns, dass mehr und mehr Menschen die Infomail Standortsuche kostenlos abonnieren. .ausgestrahlt ist es ein großes Anliegen, möglichst viele potenziell Betroffene, aber auch andere Interessierte über den Suchprozess und seine Kapriolen aufzuklären.


Der Bundestag entscheidet – wie er will

Kernelement des Standortauswahlgesetzes (StandAG) ist die sogenannte Legalplanung. Die „Bäuerliche Notgemeinschaft“ aus dem Wendland erklärt Legalplanung hier folgendermaßen: „Ein juristischer Gewaltakt, der eigentlich ersonnen wurde, um besonders eilbedürftige Projekte – etwa eine Umgehungsstraße – ohne die eigentlich vorgeschriebenen Planungsschritte durchziehen zu können. Per Legalplanung kann der Bundestag jeden Verfahrensschritt in ein Bundesgesetz gießen und damit praktisch unangreifbar machen.“

Denn im StandAG ist festgelegt, dass am Ende jeder Phase der Suche der Bundestag auf Vorschlag der Behörden entscheidet, welche Standorte im Rennen bleiben und welche ausscheiden. Er muss sich dabei nicht an die Ergebnisse der geologischen Abwägung halten, sondern kann aus politischen Gründen Standorte rauswerfen, die die Behörden für geeignet halten und umgekehrt Standorte im Topf lassen, die von BGE und BfE als ungeeignet angesehen werden. Legalplanung bedeutet auch, dass die Betroffenen gegen diese Entscheidungen nicht vor dem Verwaltungsgericht klagen können, sondern nur noch vor dem Bundesverfassungsgericht – aber das ja nur dann, wenn ihre Grundrechte eingeschränkt wurden.

Bei der Infoveranstaltung des BfE Ende Mai in Schwerin stellte ein Besucher die Frage, ob bei der Standortsuche am Ende doch eher politische Interessen und Mehrheiten den Ausschlag geben – auch angesichts der Tatsache, dass aus Mecklenburg-Vorpommern 16 Abgeordnete im Bundestag sitzen, aber beispielsweise aus NRW 142. Der Präsident des Atommüll-Bundesamtes, Wolfram König, entgegnete daraufhin sinngemäß, dass er es für richtig halte, dass der Bundestag entscheide und auch, dass dieser völlig frei in seiner Entscheidung sei.

Nun kann man natürlich demokratietheoretisch die Ansicht vertreten, dass das Parlament als höchstes durch Wahlen legitimiertes Gremium der richtige Ort für so eine weitreichende Entscheidung ist. Allerdings zeigt die atommüllpolitische Praxis der letzten fünf Jahrzehnte, dass der Bundestag bisher nicht in der Lage war, das Problem zu lösen, sondern stattdessen immer wieder Entscheidungen getroffen hat, die in Sackgassen führten. Auch die Entstehung des Standortauswahlgesetzes war alles andere als eine Sternstunde des Parlaments. So gesehen macht es wenig Hoffnung, wenn König betont, dass die Abgeordneten bei der Festlegung des Standortes völlig frei in ihrer Entscheidung sind. Mit dem Anspruch eines fairen und wissenschaftsbasierten Verfahrens hat das dann nichts mehr zu tun. Da ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass am Ende anhand politischer Kräfteverhältnisse entschieden wird – und nicht anhand von Sicherheitsüberlegungen.

Erinnert sei an die Brüder Remmers aus dem Emsland, die 1977 in der niedersächsischen CDU verhindert haben, dass der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht den Salzstock Wahn in ihrer Region als Standort für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager benannte – schlicht und einfach, weil der Regierungschef im Landtag auf ihre Stimmen angewiesen war. Albrecht entschied sich stattdessen für Gorleben.

Noch einmal die „Bäuerliche Notgemeinschaft“: „Das zentrale Argument der Parteien für die Legalplanung war immer die angebliche St-Florians-Haltung in der Bevölkerung: Keine Region wolle ein Atommülllager, deswegen müsse das Heft des Handels beim Bundestag und der Regierung bleiben. Die Realität zeigt bislang allerdings, dass in erster Linie die Parteien und ihre FunktionsträgerInnen das St-Florians-Problem aufführen, von Kommunalräten über die Landespolitiker bis zu den Bundestagsabgeordneten. Sie werden alle Möglichkeiten, die das StandAG für politische Deals bietet, zu nutzen versuchen – und nutzen sie bereits. (…) Am Ende steht nicht ein wissenschaftsbasiertes Ergebnis, sondern ein von politischen Funktionsträgern ausgehandelter Standort.“


Web-Portal StandAG

Bisher waren die kritischen Informationen zur Standortsuche auf der .ausgestrahlt-Website an unterschiedlichen Stellen untergebracht, und deshalb war manches nicht leicht zu finden. Darum haben wir gründlich aufgeräumt. Nun gibt es ein übersichtliches Portal, von dem aus alle Infos leicht zugänglich sind. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten weiter daran arbeiten und dort ergänzen, wo noch Wesentliches fehlt. Ein Besuch lohnt also immer wieder neu. Wir freuen uns darüber, wenn der Link zu dieser Seite auch auf anderen Websites zum Thema aufgenommen oder über die sozialen Medien verbreitet wird: www.ausgestrahlt.de/standortsuche


Granit-Debatte über (finnische) Bande

Ende Mai besuchte eine Delegation aus Niedersachsen, angeführt von SPD-Umweltminister Olaf Lies (SPD), das Atommüll-Lager-Projekt Onkalo auf der westfinnischen Insel Olkiluoto. Die Insel ist hierzulande bekannt als Standort des desaströsen Neubaus eines Europäischen Druckwasserreaktors (EPR), dessen Baukosten von ursprünglich geplanten drei auf über zehn Milliarden Euro angestiegen sind und dessen Inbetriebnahme für 2011 vorgesehen war, nun aber frühestens 2020 erfolgen wird.

Finnland möchte seinen hochradioaktiven Atommüll im Granitgestein lagern. Deshalb war die Reise von Lies auch insofern ein Politikum, da der Minister diese Lageroption promoten wollte. Schließlich gibt es in Niedersachsen hauptsächlich Salz und Ton als mögliche Wirtsgesteine. Granit dagegen kommt etwa in Bayern und Sachsen vor. Daraus lässt sich schließen, dass auch Lies kein Vertrauen in die „Wissenschaftlichkeit“ des Suchverfahrens hat, sondern bemüht ist, die öffentliche Debatte in seinem Sinne zu beeinflussen. Entsprechend überschwänglich lobte er das finnische Projekt nach seinem Besuch.

Die erste Einlagerung ist im Laufe der 20er Jahre geplant. Die mitgereiste Landtagsabgeordnete Miriam Staudte (Grüne) sieht das Projekt kritisch: „Die finnische Betreiberfirma hat ihre Projekte natürlich überaus positiv dargestellt. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in Finnland erhebliche Probleme mit Wasserzuläufen und Korrosion der Behälter gibt.“ Derzeit laufen 35 Liter in der Minute in das Bergwerk, also täglich über 50.000 Liter. „Wasser ist als Transportmedium für Radioaktivität und wegen der Behälterkorrosion natürlich immer eine Gefahrenquelle“, so Staudte. Und weiter: „Was in Finnland fehlt, ist eine starke kritische Öffentlichkeit, um solche Probleme zu diskutieren. Die finnische Regierung steht wegen des Neubaus des Reaktorblocks in Olkiluoto unter erheblichem Erfolgsdruck. Das wird die staatliche Aufsicht sicher beeinflussen.“

Interessant in diesem Zusammenhang: Den ebenfalls anwesenden atomkritischen Fachleuten Marcos Buser aus der Schweiz und Johan Swahn aus Schweden wurde der Besuch der Anlage verweigert. Swahn hat in Schweden die Korrosion der Kupfer-Behälter, die eingesetzt werden sollen, problematisiert, was dazu führte, dass ein Gericht eine erneute Überprüfung angeordnet hat.


Herzliche Grüße

Jochen Stay
und das ganze .ausgestrahlt-Team