Atomdeals mit Russland beenden

21.02.2023 | Wladimir Sliwjak
Protest gegen Rosatom
Protest gegen Rosatom
Foto: atomstadt-lingen

Der Krieg gegen die Ukraine sollte für Europa Anlass sein, die Geschäfte mit Putins Atomkonzern Rosatom endlich einzustellen. Gründe dafür gibt es viele. Ein Gastkommentar.

Während nur noch wenige Länder auf Atomkraft setzen, propagiert die russische Regierung den Ausbau der Atomenergie im In- und Ausland – mit nahezu unbegrenzten staatlichen Mitteln. Und der dafür zuständige Staatskonzern Rosatom ist pikanterweise nicht nur für die zivilen Atomprogramme, sondern auch für die Bereitstellung von Atomwaffen zuständig.

Angesichts dieser Tatsache und im Lichte des verbrecherischen Ukraine-Kriegs stellt sich die Frage, warum Länder wie Frankreich wegen der Geschäfte ihrer Öl- und Gaskonzerne mit Russland zwar weltweit in der Kritik stehen, eine Beendigung des internationalen Atomgeschäfts mit Moskau aber nicht einmal zur Diskussion gestellt zu werden scheint.

Ich halte diesen Schritt für dringend geboten – zumal die russische Regierung derzeit vor nichts zurückschreckt: So griff das russische Militär in der Ukraine das stillgelegte AKW Tschernobyl an. Der Sarkophag der Ruine und das Kühlsystem wurden beschädigt, was das Risiko von Strahlungslecks erhöhte. Auch Europas größte Nuklearanlage, das AKW Saporischschja, wurde beschossen und ging teilweise in Flammen auf. Reaktoren und Atommülllager gerieten in unmittelbare Gefahr, eine nukleare Katastrophe drohte. Was soll noch geschehen?

Wozu Putin die Atomkraft benötigt

In den 1990er-Jahren steckte die russische Atomindustrie in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Zwar wurden alle paar Jahre neue Entwicklungsprogramme aufgelegt, diese waren aber chronisch unterfinanziert und wurden nie in nennenswertem Umfang abgeschlossen. Die Situation änderte sich, nachdem Wladimir Putin im Jahr 2000 Präsident geworden war: Er half der Atomindustrie, indem er im Parlament eine neue Gesetzgebung durchsetzte, die den Atommüllimport nach Russland erlaubte. Und er stellte uneingeschränkte Mittel für die zivilen und militärischen Programme von Rosatom bereit.

Putins Motiv bestand darin, durch den Bau neuer Atomreaktoren in verschiedenen Ländern den russischen Einfluss global auszuweiten. Mit der Finanzierung zahlreicher weiterer Rosatom-Geschäfte im Ausland wollte und will er weiterhin andere Länder von Brennstofflieferungen und Technologien aus Russland abhängig machen.

Und doch ist die wirtschaftliche Perspektive von Rosatoms internationalen Projekten eher mau. Laut Rosatom wurden vor dem Einmarsch in die Ukraine zwar weltweit 35 neue Reaktoren gebaut, auch in der EU, in Ungarn und in Finnland. Unabhängige Zahlen sehen jedoch anders aus: Rosatom habe nur für etwa 25 Reaktoren Verträge abgeschlossen, der Rest befinde sich noch in der Schwebe. Und Anfang 2020 wurde gerade einmal an acht Reaktoren gebaut.

Allerdings ist Rosatom auch ein zentraler Akteur bei der internationalen Uranversorgung und bedient etwa 35 Prozent des Weltmarkts. Da jeder Kraftwerkstyp eine bestimmte Art von Brennstoff erfordert, bedeutet dies, dass Rosatom, wenn es einen Reaktor baut, in der Regel auch den Brennstoff dafür liefert. In Europa sind russische Reaktoren in Finnland, Ungarn, Bulgarien, Tschechien und der Slowakei in Betrieb. Im Jahr 2020 lieferte Russland über 2.500 Tonnen Uran in die EU. Es besteht also eine enge Zusammenarbeit zwischen Rosatom und europäischen Unternehmen – nicht ausschließlich, aber hauptsächlich aus Frankreich. Das mag ein Grund dafür sein, dass Russland zwar seit der Annexion der Krim 2014 unter verschiedenen weltweiten Sanktionen stand, die russische Atomindustrie davon aber immer ausgenommen war.

In Russland werden derzeit rund 20 Prozent des Stroms in 37 Atomreaktoren erzeugt. Putin will den Anteil heimischen Atomstroms zwar auf 25 Prozent erhöhen, es wird aber schwierig sein, dieses Ziel zu erreichen: Überkapazitäten in Russland – der Energieverbrauch stagnierte dort bereits vor der Pandemie –, eine geringe Anzahl im Bau befindlicher Reaktoren sowie generell begrenzte Baukapazitäten stehen einem schnellen Ausbau im Wege. Und zudem sollen in den nächsten zehn Jahren bis zu 15 alte Atomkraftwerke für immer abgeschaltet werden.

Das allerdings liegt nicht am Widerstand der Bevölkerung. Die Anti-Atom-Protestbewegung war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 zwar sehr aktiv und verhinderte Ende des 20. Jahrhunderts erfolgreich eine schnelle Entwicklung der russischen Atomindustrie. Doch Mitte der 2000er-Jahre begann Putin damit, die demokratische Grundordnung auszuhebeln, und verstärkte den Druck auf die Zivilgesellschaft.

Zusammenarbeit aufkündigen

Nach den Massenprotesten aufgrund gefälschter Ergebnisse der Parlamentswahlen 2011 nahm dieser Druck auf die Zivilgesellschaft in Russland drastisch zu. Ein „Gesetz über ausländische Agenten“ wurde verabschiedet – und die Regierung begann, Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen auf eine Liste zu setzen. Nahezu jede Initiative, die sich kritisch mit der Atomenergie auseinandersetzte, wurde als „ausländischer Agent“ eingestuft und staatlich registriert. Die erste Umweltschutzorganisation, die in Russland auf einer solchen Liste ausländischer Agenten auftauchte, war Ecodefense im Jahr 2014. Das Justizministerium begründete dies mit deren Protest gegen den Bau eines AKW in der Nähe von Kaliningrad. Nachdem der Bau gestoppt werden konnte, leitete das Justizministerium fast 20 Gerichtsverfahren gegen Ecodefense ein, die zu Geldstrafen und auch zur Strafverfolgung führten.

Putins Regime gewann in Russland derweil mehr und mehr an Stärke – und Rosatom stand dabei immer eng an seiner Seite. Der Konzern entwickelt und unterhält Atomwaffen, die garantieren, dass niemand Putin angreift – selbst dann nicht, wenn er einen ausgewachsenen Krieg beginnt. Und mit den zivilen internationalen Expansionsplänen von Rosatom will Putin sicherstellen, dass von russischen Lieferungen abhängige Länder im Kriegsfall nicht ihre Stimme erheben werden. Das hat gut funktioniert, als Putin 2008 Georgien angriff, und mehr oder weniger im Jahr 2014, als er die Krim annektierte. Glücklicherweise ist der Plan aber 2022 nicht mehr aufgegangen.

Jetzt ist es an der Zeit, eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen: Die europäischen Länder und Unternehmen müssen die Zusammenarbeit mit Rosatom umgehend aufkündigen! Denn durch die Fortsetzung der wirtschaftlichen Beziehungen mit der russischen Atom-industrie finanziert die EU indirekt auch Putins Krieg in der Ukraine – und kooperiert zudem mit Kräften, die nicht davor zurückschrecken, Kritiker*innen im Inland mit Zwang mundtot zu machen oder während Kriegshandlungen durch Angriffe auf ausländische AKW die Gesundheit von Millionen von Menschen zu gefährden. Wir müssen alldem ein schnelles Ende setzen – und die Finanzierung von Putins kriegerischen Expansionsplänen endlich unterbinden.

Der Gastkommentar erschien zunächst im EWS-Energiewende-Magazin

weiterlesen:

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Wladimir Sliwjak

Wladimir Sliwjak, 1973 in Kaliningrad geboren, ist einer der renommiertesten Umweltschützer Russlands. Als Ko-Vorsitzender der russischen Umweltorganisation Ecodefense organisierte er Aktionen gegen die russische Atom- und Kohleindustrie. 2021 erhielt er den „Right Livelihood Award“. Die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) kürten ihn 2022 wie zuvor bereits .ausgestrahlt-Mitgründer Jochen Stay zum „Schönauer Stromrebellen“. In Deutschland, wo Sliwjak derzeit lebt, unterstützt er die Proteste gegen die Framatome-Brennelementefabrik in Lingen und deren Zusammenarbeit mit Rosatom. Mehr über Sliwjak und seinen langjährigen Kampf gegen den russischen Atomkonzern im ausführlichen Portät auf ews-schoenau.de/energiewende-magazin/zum-glueck

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