Erster Erfolg

16.02.2024 | Armin Simon
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Für den Fall, dass trotz der geplanten Geländeaufschüttung doch Hochwasser durch die Atommüll-Halle fließen sollte, könne die Atomaufsicht auch vorschreiben, die Atommüll-Container am Hallenboden festzuschrauben, erklärte die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ). Dann würden sie nicht weggespült
Foto: Axel Hasselmann, Nuekkes Fotoschmiede

Das Atommüll-Zentrum Würgassen, das die Einlagerung in „Schacht Konrad“ beschleunigen sollte, wird nicht gebaut: ein Erfolg des jahrelangen Protests. An „Konrad“ selbst hält die Politik weiter fest – noch.

Das gelbe W gewinnt. Wegen „zu vieler rechtlicher und planerischer Risiken“, vulgo: zu großem Widerstand, kippt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) Mitte Dezember das geplante gigantische Atommüll-Logistikzentrum in Würgassen. Der gesamte schwach- und mittelradioaktive Abfall aus Deutschland, das war der Plan, sollte hier im Dreiländereck zwischen Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen in eine gigantische Atommüll-Halle verfrachtet und dort kontrolliert, gegebenenfalls konditioniert, und vor allem neu sortiert werden: ein strahlendes Atommüll-Tetris. Weitere abertausend Atomtransporte über Dorfstraßen und die eingleisige Bahnstrecke sollten ihn dann, in passenden Chargen, zum ehemaligen Eisenerzbergwerk „Schacht Konrad“ nach Salzgitter bringen.

Von Anfang an ist dieser Plan auf großen Widerstand gestoßen, vor Ort im Dreiländereck, in der Landespolitik, aber auch in der Anti-Atom-Bewegung und bei den Gegner*innen des geplanten Atommülllagers „Schacht Konrad“. Zu offensichtlich waren nicht fachliche, sondern juristische und politische Erwägungen für die Standortwahl des Atommüll-Zentrums ausschlaggebend, und selbstverständlich fiel die Emntscheidung für Würgassen ohne Beteiligung der Betroffenen. Das Gelände ist von Erdsenkungen bedroht. Direkt in einer Flussbiegung der Weser gelegen, ist zudem die Gefahr von Überflutungen offensichtlich. Die Verkehrsanbindung ist für ein solches Projekt miserabel.

Das Atommüll-Logistikzentrum in Würgassen sollte eben in erster Linie das Projekt „Schacht Konrad“ retten: technisch, weil mit optimal gepackten Chargen höhere Radioaktivitätsmengen nach „Konrad“ verbracht werden könnten bzw. dürften; finanziell, weil die Einlagerung so schneller vonstatten gehen sollte; und juristisch, weil jeder Standort in räumlicher Nähe zu „Schacht Konrad“ die Genehmigung des „Endlagers“ selbst in Frage gestellt hätte. Dann nämlich wären auch für „Konrad“ die aktuellen Strahlenschutzanforderungen maßgeblich geworden, was ziemlich sicher das Aus für die geplante Atommüll-Einlagerung dort bedeutet hätte.

Das Umweltministerium versichert, dass „Schacht Konrad“ auch ohne das zuvor für zwingend erachtete Logistikzentrum mit Atommüll befüllt werden könne. Doch der Erfolg des hartnäckigen, vielfältigen Protests in Würgassen könnte sich auch noch als Etappensieg im Streit um „Konrad“ erweisen. Zwar hat der niedersächsische Umweltminister zwei Anträge für einen Stopp der Arbeiten in „Schacht Konrad“ gerade erst zurückgewiesen. Das Aus für das Logistikzentrum rückt die Mängel des „Konrad“-Projekts allerdings noch ein Stückchen weiter ins Licht. Mehr dazu im Interview.

„Mengenmäßig reicht ‚Konrad‘ sowieso nicht aus“

Der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer hat den Antrag auf Rücknahme beziehungsweise Widerruf der Baugenehmigung für „Schacht Konrad“ vorläufig zurückgewiesen. Ist das Atommüll-Lager unter Salzgitter noch aufzuhalten?
Ursula Schönberger: Auf jeden Fall! Wenn der endgültige Bescheid kommt, werden wir die juristischen Schritte prüfen. Der Weg dafür ist schon bereitet. Parallel dazu muss die politische Auseinandersetzung weitergehen: Atomprozesse werden nie gewonnen, bloß weil man recht hat. In die Hände spielt uns, dass immer deutlicher wird, dass sich „Konrad“ als „Endlager“ nicht eignet.

Woran ist das festzumachen?
Zum einen an den ständigen Verzögerungen. Die Genehmigung von 2002 ist aus der Zeit gefallen. Gerade erst hat die BGE eingeräumt, dass es doch wesentlich schwieriger wird, die heutigen Anforderungen an die Erdbebensicherheit nachzuweisen – und das ist nur einer von Hunderten Punkten. Zum anderen ist inzwischen klar, dass „Konrad“ gar nicht ausreicht für den gesamten schwach- und mittelaktiven Müll: Es gibt weit mehr als die genehmigten 303.000 Kubikmeter.

Welche Rolle spielte das Atommüll-Logistikzentrum, das in Würgassen entstehen sollte?
Schacht Konrad wurde ohne Logistikzentrum geplant. Inzwischen jedoch soll in jede Kammer so viel Radioaktivität gepackt werden, wie nur irgendwie zulässig. Um das hinzukriegen, brauchten sie das Logistikzentrum. Es war so wichtig, dass es nicht nur in einem Gesetz drinsteht, sondern auch in zwei Koalitionsvereinbarungen der Bundesregierung.

Dennoch hat die Bundesumweltministerin das Projekt in Würgassen jetzt gekippt.
Ein Erfolg des jahrelangen Protests! Aber ich denke, sie hat auch realisiert, dass der Plan einer schnelleren Einlagerung des Mülls in „Schacht Konrad“ sowieso nicht funktioniert – weil die Abfälle gar nicht schnell genug dokumentiert und konditioniert werden können.

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Foto: privat

Ursula Schönberger

ist Politikwissenschaftlerin und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad. Sie leitet u.a. das Projekt atommuellreport.de

 

 

Welche Folgen hat das für die Lager, in denen der Müll derzeit liegt?
Die Vorstellung von Kommunal- und Landes-politiker*innen, „Konrad“ werde ihnen den schwach- und mittelradioaktiven Müll bald abnehmen, ist absurd. Die Abfälle werden noch Jahrzehnte bleiben, wo sie sind – und es ist dringend notwendig, sich darum zu kümmern. Zumal selbst dann, wenn „Konrad“ jemals in Betrieb gehen sollte, nicht klar ist, welcher Müll dort wirklich eingelagert werden darf. Zwar gelten dort beim Strahlenschutz bis heute nur die Sicherheitsanforderungen von 1983. Aber bei anderen Punkten, etwa der Einlagerung grundwassergefährdender Stoffe, muss sich die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) an die heute geltenden Regelungen und Grenzwerte halten. Das wird zunehmend schwierig.

Mengenmäßig aber …
… reicht „Konrad“ sowieso nicht aus. Man braucht in jedem Fall einen weiteren Standort. Wie lange also will die Regierung noch an einem Projekt festhalten, das gar nicht abdeckt, was es soll? Das unter Sicherheitsaspekten absolut unakzeptabel ist? Das alleine bis zur Inbetriebnahme noch weitere 2,7 Milliarden Euro kosten soll, plus Betriebskosten, kalkuliert mit 3,6 Milliarden Euro, plus die Kosten der Schließung, für die es nicht mal ein fertiges Konzept gibt? Anstatt zu sagen: Wir suchen gleich einen neuen Standort, wo alles reinpasst, und bauen dort ein Endlagerbergwerk, das genau darauf ausgerichtet ist, diese Abfälle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglichst sicher zu verwahren – und geben „Konrad“ auf.

Das wäre die rein politische Lösung. Der eingereichte Antrag hingegen zielt darauf, die 2002 erteilte Genehmigung für „Konrad“ zu kippen. Der Umweltminister hat ihn aus formalen Gründen abgelehnt: Für eine Rücknahme sei die Frist abgelaufen, …
Dazu gibt es unterschiedliche juristische Auffassungen.

… und für einen Widerruf mangele es an neuen Tatsachen.
Auch darum werden wir uns juristisch streiten: Was sind neue Tatsachen – die gegebenenfalls einen Widerruf der Genehmigung begründen können – und was nur neue Bewertungen? Etwa bei der Frage, ob man ein tiefengeologisches Atommülllager in einem alten Bergwerk errichten darf, wie bei „Schacht Konrad“. Aus heutiger Sicht ist das ein No-Go, das bestreitet niemand mehr. Das Ministerium stuft es dennoch nicht als neue Tatsache ein – weil es keine entsprechende Verordnung gibt.

Gibt es nicht?
Nein. Die Politik weigert sich bis heute, die Strahlenschutz-Anforderungen, die für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle gelten, auch für die Lagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle vorzuschreiben. Das ist wissenschaftlich nicht haltbar. Die Vorschriften auch für diesen Müll müssen endlich an den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik angepasst werden, den das Atomgesetz fordert.

Meyer hat auf die zweite Phase der ÜsiKo verwiesen, der „Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen des Endlagers für radioaktive Abfälle Konrad“, deren Ergebnisse demnächst vorliegen sollen. Eröffnet das einen Weg, aus dem Vorhaben auszusteigen?
Bis jetzt sehe ich das nicht. Federführend ist die BGE – und das ist die letzte, die aus „Konrad“ aussteigen will. Deshalb wird da nichts rauskommen, was automatisch zur Aufgabe des Projekt führt. Andererseits sind in der ÜsiKo bereits Abweichungen von heutigen Sicherheitsanforderungen identifiziert worden, etwa die Gasbildung unter Tage, und da erhoffe ich mir schon, dass die zweite Phase ein paar Ansatzpunkte untermauert. Nur: Der politische Wille, „Konrad“ zu kippen, bleibt auch dann unabdingbar. Da müssen wir weiter Druck machen.

Interview: Armin Simon

Dieser Text erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 60 (Feb./März/Apr. 2024)

weiterlesen:

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    20.12.2023: Widerstand wirkt: Auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerk Würgassen wird kein zentrales Umschlaglager für Atommüll entstehen. Eine „rechtzeitige Realisierbarkeit“ sei weder dort noch anderswo gegeben, so das Bundesumweltministerium – und zog nun einen Schlussstrich.
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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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