„Klima interessiert die Atomlobby nicht“

22.05.2024 | Anna Stender
Atomgipfel in Brüssel: Ihnen geht es um Geld für Atomkraft, nicht ums Klima
Atomgipfel in Brüssel: Ihnen geht es um Geld für Atomkraft, nicht ums Klima
Foto: ZUMA Press / Alamy Stock Photo

Jan Haverkamp, EU-Atom-Experte, über den Atom-Streit der EU und den Kampf der europäischen Atomlobby um die Klimaschutzmilliarden.

In Brüssel tobt ein Streit um Atomkraft. Wie ist es dazu gekommen?
Jan Haverkamp: Vorstöße kamen zuerst aus Frankreich. 2017 lief es mit dem EPR, dem französischen Neubau-Reaktor, sehr schlecht. Der war eigentlich als Exportschlager geplant. Dem staatlichen Nuklearkonzern EDF war es auch nicht wie geplant gelungen, ins Geschäft mit den Erneuerbaren einzusteigen. In dieser Situation hat Macron zur Rettung von EDF die Flucht nach vorn angetreten. Der ganze französische Staat trieb plötzlich die Renuklearisierung von EDF und den Neubau von Reaktoren in Frankreich voran, auch auf EU-Ebene.

Zuletzt hat die EU einige Entscheidungen getroffen, die Atomkraft begünstigen – zum Beispiel die Taxonomie und die Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Was ist die aktuelle Stoßrichtung der Atomlobby?
Die Atomindustrie braucht Geld. Frankreich und seine Verbündeten wollen durchsetzen, dass die Europäische Investitionsbank (EIB) künftig Atomprojekte finanziert. Frankreich hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass Nadia Calviño neue EIB-Chefin wird, weil diese versprochen hat, das zu unterstützen. Im Rat der Gouverneure aber ist das letzte Wort dazu noch nicht gesprochen.

Geht es nur um die EIB?
Im Moment sagt die EIB ebenso wie die Weltbank, dass die Risiken bei Atomprojekten zu groß sind. Daran orientieren sich auch kommerzielle Banken. Ändert die EIB ihre Politik, könnten andere Banken mitziehen.

Kommt die Lobbyarbeit für Atomkraft vor allem aus der Politik?
Die EU-Mitgliedstaaten und Politiker*innen, die für Atomkraft sind, spielen eine zentrale Rolle. Der französische Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton etwa spricht sich vehement für Atomenergie aus, dabei ist das gar nicht sein Bereich. Auch Kadri Simson, die Kommissarin für Energie, spricht immer positiver über Atomenergie. Natürlich lobbyiert auch die Atomindustrie selbst. Dazu gehören EDF, Westinghouse und KEPCO/KHNP und andere ebenso wie Startups, die an sogenannten small modular reactors (SMR) basteln und die Breakthrough Foundation von Bill Gates, die viele Gespräche mit Kommissionsmitgliedern und von der Leyen geführt hat. Auch Beratungsfirmen, die Geld mit Studien verdienen, mischen mit. Die neulich ins Leben gerufene „SMR-Allianz“ zeigt, dass die Kommission dem Druck nachgibt – obwohl längst nicht alle in der Generaldirektion Energie glauben, dass aus den SMR etwas wird.

Welche Rolle spielen Pro-Atom-Organisationen?
Da gibt es einmal sogenannte Astroturf-Gruppen, also solche, die als Bürgerinitiative auftreten, aber von der Industrie finanziert sind. Daneben gibt es sogenannte ökomodernistische Organisationen, die für Atomkraft und Gentechnik eintreten. Wirklich erfolgreich sind die eigentlich nicht. Aber sie versuchen, einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Welche Interessen stehen hinter den Aktivitäten der Atomlobby?
Frankreich geht es ganz klar um die Rettung von EDF. Bei der SMR-Entwicklung machen sie vor allem mit, weil die Diskussion über SMR auch den herkömmlichen großen AKW politisch nutzt. Das französische Militär braucht zudem erfahrenes Personal aus der zivilen Nuklearindustrie. Daneben geht es um Geld und Aufträge für die Nuklearindustrie und für Beratungsfirmen. Ideologie spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Und konkret will man etwa Vorschriften innerhalb der EU harmonisieren, um Genehmigungsverfahren abzukürzen.

Welche Rolle spielt das stets vorgetragene Klima-Argument?
Der Klimaschutz dient nur zu Marketing-Zwecken. Mit der Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Für eine Verdoppelung der Atomkraft müssten zwischen 2040 und 2050 jedes Jahr 80 bis 90 neue große Reaktoren ans Netz, bei einer Verdreifachung sogar 110. Die Treibhausgasemissionen würde das nur um wenige Prozent verringern. Mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien ließe fürs gleiche Geld viel schneller viel mehr CO2 einsparen. Das Klima interessiert die Atomlobby nicht.

Wird es eine Renaissance der Atomkraft geben in Europa?
Nein – auch wenn noch so viele davon reden. In den Niederlanden wird es mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit kein neues AKW geben. In Schweden auch nicht. In Frankreich werden vielleicht noch zwei neue Großreaktoren gebaut. Möglicherweise gehen auch ein paar SMR ans Netz. Aber letztlich wird es am Geld scheitern. Erneuerbare müssen 2050 über 80 Prozent der Energie liefern. Ob Atomenergie dann noch eine relevante Rolle spielen wird, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wird sie einfach auslaufen.

Warum sind die Lobby-Bemühungen trotzdem gefährlich?
Es wird viel zu viel über Atomenergie geredet und viel zu viel Geld reingesteckt. Das bremst den Klimaschutz aus. Ein Beispiel: In den Niederlanden gibt es einen Klimafonds von 35 Milliarden Euro bis 2030. Fünf Milliarden davon fließen nun in Vorbereitungen für einen Ausbau der Atomenergie. Eigentlich müssen wir jetzt knallharte Maßnahmen für den Klimaschutz ergreifen, aber sie kommen überall zu langsam, weil man sich durch Atomkraft von anderen Themen ablenken lässt.

Was ist mit dem ungelösten Atommüll-Problem?
Die Atom-Diskussionen sind so ideologisch, dass das keine Rolle spielt. Zukünftigen Generationen gegenüber ist das ungerecht. Wir als Bewegung müssen viel deutlicher machen, dass das ein ungelöstes Problem ist.

Gibt es in Brüssel auch Akteure, die sich deutlich gegen Atomkraft aussprechen?
Da hat sich in den letzten zwei Jahren zum Glück einiges bewegt. Der Streit um die EU-Taxonomie hat da eine Schlüsselrolle gespielt. Da wurde klar, welches Greenwashing mit Atomenergie betrieben wird.

Wie kann die Bundesregierung Einfluss nehmen?
Deutschland sollte verlässlich auf der Seite der atomkritischen Staaten stehen. Ständig die Fakten benennen. Und dafür sorgen, dass Atomenergie keine Ausnahmestellung bekommt. Deutschland hat elf Staaten an seiner Seite. Gemeinsam können sie Mehrheiten schaffen. Dafür muss sich die Bundesregierung einsetzen.

Was können wir der Atomlobby in der EU noch entgegensetzen?
Nach dem Abschalten der deutschen AKW hat das Interesse an der Brüsseler Atompolitik in Deutschland gefühlt deutlich abgenommen. Das macht mir Sorgen. Wir brauchen die kritische Stimme und Analyse der Anti-AKW-Bewegung, auch in Deutschland. Es ist sehr wichtig, dass die Leute zur Wahl gehen. Ansonsten geht die eigene Stimme verloren. Und wir müssen dem Newspeak entgegentreten, Fakten verbreiten, auch in den sozialen Medien. Facts matter. Wie viel Geld und Zeit wir noch an die Atomenergie verschwenden, hängt davon ab, wie sehr der Desinformation der Atomlobby geglaubt wird.

Im Juni ist Europawahl. Was wird sich verändern?
Es ist zu befürchten, dass es eine Mehrheit für die Atomenergie geben wird, vor allem von rechts. Hoffentlich bleiben kritische Stimmen innerhalb der EVP aktiv, aus der CDU und aus der ÖVP zum Beispiel. Die Lobby-Bemühungen werden intensiver und unter Umständen auch erfolgreicher werden. Wenn die atomkritischen Parteien kleiner werden, besteht die Gefahr, dass das Thema bei ihnen geringere Priorität bekommt und sie weniger Mitarbeiter*innen drauf ansetzen. Das haben wir in letzter Zeit schon gesehen. Es ist wichtig, dass das nicht weiter abnimmt. Dann schaffen wir es auch, diese Desinformation zu stoppen und die Ablenkung nicht zu groß werden zu lassen. Darum geht’s.

Interview: Anna Stender

Jan Haverkamp
Foto: Greenpeace

Jan Haverkamp ist Experte für Atom- und Energiepolitik bei Greenpeace und WISE und beschäftigt sich seit Langem mit der europäischen Atomlobby.

 

 

Dieser Text erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 61 (Juni-September 2024)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt im .ausgestrahlt-Magazin 61 "Atom-Streit in Europa"

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Anna Stender

Anna Stender kommt aus Münster und hat bereits in den Neunzigerjahren gegen Castortransporte nach Ahaus und Gorleben demonstriert. Sie ist studierte Fachübersetzerin und hat sich nach Stationen in Berlin, Köln, Bangalore, Newcastle-upon-Tyne und Jülich entschieden, in Hamburg zu bleiben. Seit 2020 ist sie als Redakteurin bei .ausgestrahlt, wo sie vor allem für den Print-Bereich schreibt.

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