Kernfusion wird als Heilsbringer für die Energiezukunft gepriesen – dabei ist die Technologie keine Antwort auf die Klimakrise. Warum der Hype um die „Energie der Zukunft“ gefährlich ist und was wirklich hinter den Schlagzeilen steckt.
Dass die Menschheit seit etwa 70 Jahren versucht, die Energiequelle der Sonne auf die Erde zu holen, überrascht angesichts der enormen Faszination kaum: Die Kernfusion mutet futuristisch an, verspricht vermeintlich saubere, unerschöpfliche und klimafreundliche Energie und ist zugleich so etwas wie die ultimative wissenschaftliche Herausforderung. Überschwängliche Berichte über „Durchbrüche“ und „Meilensteine“ in den letzten Jahren nähren die Illusion, der Traum vom Fusionsstrom sei realistisch und schon bald umsetzbar. Auch die neue Regierung schlägt in diese Kerbe: „Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen“, fordern CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag im selben Absatz, in dem sie auch den Ausbau der Forschung im Bereich erneuerbare Energien fordern. [1]
Enorme Hürden
Dabei ist es mehr als irreführend, die Vision eines Kernfusionsreaktors auf eine Stufe mit den längst etablierten erneuerbaren Energien zu stellen. Ein aktueller Bericht [2] des Büros für Technikfolgen-Abschätzung (TAS) beim Deutschen Bundestag zeigt, dass schon die technischen Herausforderungen der Kernfusion so groß sind, dass fraglich ist, ob überhaupt jemals ein Fusionskraftwerk ans Netz gehen wird – von einem weltweiten Einsatz zur kommerziellen Stromerzeugung ganz zu schweigen.
Zu den ungelösten Problemen der Fusionstechnologie gehören unter anderem:
- Plasmaeinschluss: Bei der Laserfusion, der am weitesten entwickelten Fusionstechnologie, muss man ein viele Millionen Grad heißes Plasma stabil einschließen. Da kein Material der Erde dieser Hitze standhält, sollen starke Magnetfelder es bändigen. Das gelingt bis heute nur für sehr kurze Zeiträume.
- Brennstoffversorgung: Die meisten Konzepte setzen auf Deuterium und Tritium. Doch Tritium ist sehr knapp. Die weltweiten Vorräte reichen nicht einmal für den Dauerbetrieb eines einzigen Kraftwerks. Forschende wollen Tritium im Reaktorbetrieb selbst erzeugen, doch das Verfahren dafür muss erst noch entwickelt werden.
- Nettoenergiegewinn: Vereinzelt wurde bei Experimenten, etwa am Lawrence Livermore National Laboratory in den USA, mehr Fusionsenergie erzeugt, als an direkter Heizenergie in das Plasma floss. Allerdings konnte diese Heizenergie nur mit einem um ein Vielfaches höheren Energieeinsatz bereitgestellt werden. In einem Kraftwerk muss aber die gesamte Anlage deutlich mehr Energie liefern, als sie verbraucht. Davon sind die Experimente noch sehr weit entfernt.
- Radioaktivität: Beim regelmäßig notwendigen Austausch der inneren Wand eines Kernfusionsreaktors läge die radioaktive Strahlung bei etwa 10.000 Sievert pro Stunde. Zum Vergleich: Die ferngesteuerten Roboter, die in Fukushima Kernbrennstoff-Proben entnehmen, vertragen nur etwa 1/5 davon. [3] Für Menschen ist bereits eine effektive Strahlendosis von 6 Sievert absolut tödlich.
- Proliferationsgefahr: Tritium kann abgezweigt und für den Bau von Nuklearwaffen verwendet werden. Außerdem können Fusionsneutronen im Prinzip auch verwendet werden, um aus Uran Plutonium zu erbrüten.
- Integration ins Energiesystem: Kernfusionskraftwerke werden teuer und unflexibel sein – und damit inkompatibel mit einem Energiesystem, das bis dahin längst maßgeblich auf erneuerbaren Energien fußen wird.
Ein erstes Kernfusionskraftwerk wird es laut Expert*innen frühestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geben – wenn überhaupt. Ob die Kernfusion aber jemals zuverlässig funktionieren und zudem wirtschaftlich Strom erzeugen kann, steht in den Sternen.
Sicher ist: In den nächsten Jahrzehnten wird die Kernfusion keine Rolle in der Energieversorgung spielen. Sie kann deshalb nicht dazu beitragen, die Klimakatastrophe zu verhindern.
PR-Nebel
In den Medien wird nicht selten ein realitätsfernes Bild der Kernfusion gezeichnet. So behauptete die damalige FDP-Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger 2022 im ZDF, schon in zehn Jahren könne man mit Fusionsenergie rechnen. [4] Auch bei Standortankündigungen wie in Biblis im März 2025 erwecken Schlagzeilen wie „Grundstein für laserbasierte Kernfusion in Hessen gelegt“ [5] oder „So soll das Laser-Fusionskraftwerk funktionieren“ [6] den falschen Eindruck, hier werde bald Fusionsstrom produziert.
Die überzogen optimistische Darstellung der Kernfusion und ihrer Machbarkeit ist kein Zufall: Dahinter stehen oft politische und wirtschaftliche Interessen. Politiker*innen profilieren sich gerne mit visionären Projekten, Forschungseinrichtungen und Start-ups sichern sich Aufmerksamkeit und Fördermittel. Da wird die Kernfusion perfekt als ein dramatisches Rennen gegen die Zeit inszeniert, in dem die Klimakrise im letzten Moment abgewendet wird und auf einen Schlag sämtliche Energieprobleme gelöst sind. Zahlreiche Medienberichte über vermeintliche Durchbrüche verschweigen, wie weit die Technik vom Bau eines Kraftwerks entfernt ist. All das trifft auf eine weit verbreitete Sehnsucht nach einfachen Lösungen für ein „Weiter-so“, zumal wenn diese suggerieren, es müsse sich nichts ändern. Damit erhält die Kernfusion viel mehr Aufmerksamkeit, als es ihrem Entwicklungsstand und ihrer Bedeutung entspricht.
Schon heute fließen erhebliche Summen in diese ungewisse Zukunftswette. Der Bund stellt im Programm „Fusion 2040“ bis 2029 mehr als eine Milliarde Euro bereit [7] – unter der neuen Bundesregierung könnte es noch mehr werden. Auch einzelne Bundesländer investieren gezielt, Bayern beispielsweise etwa 100 Millionen Euro bis 2028 für ein eigenes Fusionscluster. [8] Das europäische Konsortium Eurofusion erhält zwischen 2021 und 2025 549,4 Mio. Euro von EURATOM und etwa 450 Mio. Euro von den Mitgliedsstaaten. [9] Für das internationale Fusionsexperiment ITER gibt alleine die EU zwischen 2021 und 2027 5,6 Milliarden Euro aus. [10]
Zukunftsversprechen?
Forschung darf und muss langfristig denken. Doch unabhängig davon, wie man die Erfolgsaussichten der Kernfusion bewertet, muss klar kommuniziert werden: Als Alternative zur Energiewende taugt sie nicht. Sonst wächst die Gefahr, dass die Politik sie als Vorwand nutzt, um Klimaschutz und Energiewende zu verschleppen.
Statt auf Strom aus der Science-Fiction-Steckdose zu hoffen, muss die öffentliche Debatte die Kernfusion wieder klar als Forschungsvorhaben begreifen. Wie weit der Weg zu einem Fusionskraftwerk ist, zeigt das Großprojekt ITER: Dort wird es frühestens 2034 erste Experimente geben – Strom wird die Anlage keinen liefern. Selbst das Nachfolgeprojekt DEMO soll noch kein Prototyp sein, sondern lediglich zeigen, ob ein Fusionskraftwerk kontinuierlich Strom liefern könnte. Wollen wir die Klimaziele erreichen, müssen wir bei der Energiewende Vollgas geben. Immerhin nutzen sowohl Solar- als auch Windenergie so wie Wasserkraftwerke und Biogasanlagen schon heute die Kraft der größten Kernfusionsquelle unseres Planetensystems: der Sonne.
Quellen
1 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2025.
2 Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, 2024.
3 Stephan Worsack u.a., 2025.
4 Riffreporter, 2023.
5 Hessische Staatskanzlei, 2025.
6 FAZ, 19.03.2025.
7 Förderprogramm Fusion 2040, 2024.
8 BR24, 28.09.2023.
9 Webseite Eurofusion, 2025.
10 Der Standard, 22.02.2021.
weiterlesen:
- Fusionskraftwerke? Wenn sie denn kommen, kommen sie viel zu spät
15.12.2022: Die USA meldet kürzlich eine Durchbruch bei der Atomfusion, erstmals sei mehr Energie gewonnen worden als in den Fusionsprozess gesteckt wurde, berichten Medien. Expert*innen sind sich zwar einig, dass es sich um einen wissenschaftlichen Meilenstein handelt. Doch diese Rechnung ist unvollständig. Hinzukommend wird es noch Jahrzehnte dauern, bis die Technik konventionell nutzbar sein könnte.