Per Abkürzung zum „Endlager“?

08.09.2025 | Redaktion
Eine Illustration zeigt eine Karte des Endlager-Navigators der BGE mit dem aktuellen Arbeitsstand bei der Endlagersuche
Schon heute keine weiße Landkarte mehr: Der Endlager-Navigator der BGE zeigt den aktuellen Arbeitsstand bei der Endlagersuche. Weiße Gebiete sind schon rausgeflogen. Orange gilt als „ungeeignet“, gelb als „geringe Eignung“. Graue Gebiete sind noch nicht bewertet.
Foto: Illustration: navigator.bge.de

Politik und Behörden wollen die Suche nach einem Standort für ein „Endlager“ für hochradioaktiven Atommüll beschleunigen. Doch die vorgeschlagenen Änderungen könnten sich am Ende als Umweg oder Sackgasse erweisen.

Schneller ans Ziel – wer will das nicht? Auch die Entsorgungskommission (ESK) [1], das Atommüll-Bundesamt (BASE) [2] und die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) [3] wollen Tempo machen: Sie haben in den letzten Monaten Vorschläge präsentiert, wie sich die Suche nach einem sogenannten Endlager beschleunigen ließe. Bei vielen, die den Prozess seit Jahren kritisch begleiten, schrillen die Alarmglocken. Denn „Beschleunigung“ klingt verführerisch – könnte aber auch bedeuten, dass Gründlichkeit und Transparenz auf der Strecke bleiben.

Hier ein kritischer Blick auf die wichtigsten teils offiziellen, teils inoffiziellen Vorschläge:

  • Lockerung der Standortkriterien

Statt wie gesetzlich vorgeschrieben, den „bestmöglichen“ Standort für das Endlager zu suchen, schlagen unter anderem Mitglieder der ESK und der frühere Atom-Manager Bruno Thomauske, der auch Mitglied der Endlagerkommission war, vor, dass stattdessen ein „möglicher“ Standort ausreichen soll. Die BGE müsste dann nicht mehr mühsam die Daten aller verbliebenen Regionen vergleichen, sondern könnte sich auf Regionen beschränken, zu denen bereits ausreichende Daten vorliegen. Das Ende der „weißen Landkarte“ würde zwar viel Zeit sparen. Wird allerdings nicht überall sorgfältig untersucht und verglichen, untergräbt das noch weiter die Akzeptanz des Ergebnisses. Kritiker*innen und Betroffene werden dann mit gutem Grund in Frage stellen können, warum der hochgefährliche Atommüll ausgerechnet bei ihnen landen soll, wenn andere, möglicherweise sogar sicherere Lagerorte gar nicht erst geprüft wurden. Nur ein transparent ermittelter, wissenschaftlich begründeter „bestmöglicher“ Standort kann Akzeptanz für die Entscheidung auch bei den Betroffenen schaffen.

  • Ausschluss von Gesteinsarten

Die ESK möchte eine der drei im Gesetz festgeschriebenen Gesteinsarten – kristallines Gestein (Granit) – am liebsten frühzeitig aus dem Verfahren streichen, um die Zahl der zu untersuchenden Standorte zu verringern. Das widerspricht dem gesetzlichen Auftrag, alle geeigneten Gesteinsarten gleichberechtigt zu prüfen, und schwächt die wissenschaftliche Grundlage der Standortsuche. Ein solcher Ausschluss würde wohl zu Recht als willkürlich empfunden und damit Akzeptanz und Vertrauen in das Verfahren untergraben.

  • Einschränkung von Beteiligungs- und Klagerechten

Weitere Vorschläge zielen direkt oder indirekt darauf ab, die ohnehin schon kargen Beteiligungsformate, die kaum vorhandenen Klagerechte oder die Entscheidungsrechte des Bundestages weiter einzuschränken. Dabei steht die Glaubwürdigkeit des Verfahrens schon jetzt auf der Kippe – und das liegt zu einem erheblichen Teil an der verpfuschten Beteiligung der Bürger*innen durch das BASE. Wird hier weiter gekürzt oder gestrichen, wird das Ergebnis nicht besser, die öffentliche Kontrolle aber schlechter und die Verankerung der Suche in der Gesellschaft weiter zerstört.

Bumerangeffekt

Grundsätzlich könnten die genannten Abkürzungsvorschläge das Verfahren tatsächlich beschleunigen – jedenfalls dann, wenn man nur auf die unmittelbare Wirkung schaut. Doch im weiteren Verlauf ist ein Bumerangeffekt zu befürchten: Schränkt man Beteiligungsrechte ein oder senkt wissenschaftliche Standards ab, werden Betroffene und die Öffentlichkeit das Verfahren eher als unfair oder undurchsichtig empfinden, was die gesellschaftliche Akzeptanz schwächt. Das wird zu Widerstand und Klagen führen. Möglicherweise müssten Entscheidungen später korrigiert oder Prozesse wiederholt werden, was das Verfahren insgesamt verlängert. So kann eine vermeintliche Zeitersparnis am Ende zu noch größeren Verzögerungen und Vertrauensverlust führen.

Kritik am Verfahren

Schon jetzt steht das Verfahren in der Kritik: .ausgestrahlt und andere Anti-Atom-Initiativen bemängeln insbesondere die unzureichende Beteiligung der Bürger*innen und sprechen von reiner Beteiligungssimulation. Auch an Transparenz fehlt es – die entscheidenden geologischen Daten darf die BGE wegen Einschränkungen durch das Geologiedatengesetz (GeolDG) bis heute nicht vollständig offenlegen, was echte Beteiligung unmöglich macht. Statt als offene Diskussion erleben viele die Beteiligungsformate des BASE als durchgestylte PR-Shows, in denen kritische Stimmen wenig Raum bekommen. Kein Wunder, dass zahlreiche Engagierte und Bürgerinitiativen bereits desillusioniert das Handtuch geworfen haben, weil ihre guten Vorschläge beim BASE auf taube Ohren stießen. Die im Gesetz festgeschriebenen Prinzipien – ein partizipatives, wissenschaftsbasiertes, transparentes und lernendes Verfahren  – bleiben so allzu oft auf der Strecke.

Vertrauen ist besser

Die Diskussion über Abkürzungen führt daher in die völlig falsche Richtung. BASE und BGE wären gut beraten, stattdessen das Vertrauen in ihre Arbeit und in das bestehende Verfahren zu stärken. Denn nur wenn dieses transparent, wissenschaftlich fundiert und fair ist, werden die Menschen bereit sein, auch unbequeme Entscheidungen mitzutragen. Wichtig wäre jetzt, sich wieder auf die zentralen Leitlinien des Verfahrens zu besinnen. Wer bei der Beteiligung spart, landet genauso in der Sackgasse wie mit einer unter Zeitdruck schlecht ausgeführten wissenschaftlichen Erkundung. Die Erfahrungen aus Asse, Morsleben, Schacht Konrad und Gorleben zeigen, wohin Nachlässigkeit bei der Standortauswahl führt: geradewegs in ein neues Endlagerdesaster. Gut möglich also, dass so entweder abermals ein ungeeignetes „Endlager“ durchgedrückt wird – oder es nach langen Auseinandersetzungen erneut heißt: „Alles auf Anfang!“

Quellen

1    ESK 2024.
2    BASE 2025.
3    BGE 2025.

Dieser Artikel erschien erstmals im .ausgestrahlt-Magazin 64 (Juni-September 2025)

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