Interview | Konstanze Schirmer über das von der .ausgestrahlt-Stiftung Atomerbe geförderte Projekt „Digitale Auffindbarkeit von Atomwissen"
Konstanze Schirmer
Konstanze Schirmer arbeitet seit 2020 als Archivarin für das Archiv Deutsches Atomerbe, dessen Gründungsmitglied sie außerdem ist. archiv-atomerbe.de
Frau Schirmer, worum geht es bei Ihrem Projekt „Digitale Auffindbarkeit von Atomwissen: Thema Endlagerung“?
Es geht darum, Menschen, die wenig oder kein Vorwissen haben, an das Thema Endlagerung heranzuführen, beziehungsweise ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu Fragen der Endlagerthematik zu informieren. Dafür haben wir wesentliche Unterlagen aus dem umfangreichen Bestand des Archivs zusammengetragen und überwiegend digitalisiert. Diese stellen wir jetzt auf einem Portal zur Verfügung. Wenn sich folgende Generationen hoffentlich für das Thema interessieren, gibt es einen Ort, an dem sie sich informieren können.
Wie ist das Projekt entstanden?
Ich arbeite für das Archiv Deutsches Atomerbe. Unser Archiv gibt es seit sieben Jahren. Und seit fünf Jahren, seit 2020, erschließen wir Material. Ich leite die Archivarbeit.
Letztes Jahr hat die Stiftung Atomerbe das Projekt angeregt und eine Teilzeitstelle für vier Monate für mich ermöglicht. Aus Spendengeldern des Archivs haben wir den Rest meiner Stelle finanziert. Ein Großteil der Arbeit, vor allem auch von meiner Kollegin Ursula Schönberger, ist aber ehrenamtlich passiert, sonst hätten wir das Projekt nicht realisieren können.
Wie sind Sie zum Archiv Deutsches Atomerbe gekommen, wie ist Ihr beruflicher Werdegang?
Ich bin archivfachliche Quereinsteigerin. Eigentlich bin ich Biologin. Ich wollte früher gern Bibliothekarin oder Archivarin werden. Die Anti-Atom-Bewegung liegt mir sehr am Herzen, ich bin da seit vielen Jahren engagiert. Und als ich von der Idee des Archivs erfuhr, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich konnte dann mit Spendengeldern an der Archivschule Marburg Fortbildungskurse machen.
Welche Arten von Wissen über Atommüll werden im Archiv erfasst? Was sind das für Dokumente?
Das ist alles Mögliche! Broschüren und „Informationsdienste“, eine Art gedruckte Newsletter aus der Zeit, als es weder Internet noch E-Mails gab, sehr viele Gutachten, Dokumente der Bundesregierung, Drucksachen, Protokolle – alles! Das sind Originaldokumente, die es zum Teil nur auf Papier oder auch nur bei uns im Archiv gibt. Wir haben ein online durchsuchbares Verzeichnis erstellt. Und wir haben uns bemüht, möglichst viele Dokumente auch digital bereitzustellen, damit die Leute schnell an das Material kommen können – das ist ja der Sinn des Projekts gewesen.
Wie muss man sich „digital bereitstellen“ konkret vorstellen?
Wir haben die entsprechenden Dokumente Seite für Seite mit einem professionellen Dokumentenscanner eingelesen. Der hat einen sehr schonenden Einzug, denn sie dürfen ja beim Digitalisierungsvorgang nicht kaputt gehen. Über die Scans läuft dann zusätzlich noch eine Texterkennungssoftware, damit sie nicht nur als digitales Faksimile vorliegen, sondern auch im Volltext elektronisch durchsuchbar sind.
Ist auch audiovisuelles Material dabei?
Ich hoffe, dass ich es auch noch schaffe, Audiodokumente zur Endlagerkommission zu erschließen. Da gab es Mitschnitte von den Kommissionssitzungen.
Ist das Projekt abgeschlossen?
Eigentlich schon. Aber wir können einfach nicht aufhören, weil wir immer noch Sachen finden und denken, das muss auch noch mit rein. Wir stellen jetzt ungefähr 400 Dokumente online zur Verfügung. Das ist aber nur ein Bruchteil dessen, was wir gesichtet und erschlossen haben.
Und alle kann man nun online finden? Wie?
Auf unserer Internetseite. Das Ganze ist als eine Art Findbuch dokumentiert, das ist ein Begriff aus dem Archivwesen. In Findbüchern werden Dokumente zu einem bestimmten Thema kompakt dargestellt und kommentiert. Wir werden also nicht nur die Titeldaten und gegebenenfalls die Dokumente selbst bereitstellen, sondern immer auch einleitende Texte dazu. Und die Metadaten zu dem Material, also zum Beispiel, dass es sich um eine Broschüre handelt, die soundsoviel Seiten hat.
Warum ist es wichtig, Wissen über Atommüll nicht nur zu sammeln, sondern auch langfristig verfügbar zu machen?
Das klingt jetzt zwar abgedroschen, aber: weil das ein Thema ist, das die nächsten Generationen beschäftigen wird, und weil es wichtig ist, einen Ort zu haben, an dem sie sich informieren können. Denn in Zukunft werden ja viele der Menschen, die heute noch Wissen dazu weitergeben könnten, nicht mehr da sein.
Welche Zielgruppen haben Sie mit dem Projekt im Blick?
Das Projekt richtet sich an Interessierte ohne Expert*innenwissen. So haben wir versucht, es zu konzipieren. Dass Leute eingeladen werden, sich die Informationen abzuholen, und dass es sie nicht abschreckt. Aber da sind natürlich auch Unterlagen dabei, die anspruchsvoller und für Fachleute von Interesse sind.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag im Archiv konkret aus?
Ich fahre ein, maximal zwei Tage in der Woche ins Archiv und arbeite den restlichen Teil von zu Hause. Wir haben eine webbasierte Datenbank, auf die wir von überall zugreifen können. Wenn ich im Archiv bin, dann digitalisiere ich da hauptsächlich. Der Digitalisierungsprozess an sich ist eigentlich das, was am schnellsten geht. Es ist die Organisationsarbeit drumherum, die die eigentliche Arbeit ausmacht: die Metadaten eingeben etwa, die Verschlagwortung und die archivgerechte Verpackung der Originaldokumente.
Mit welchen besonderen Herausforderungen haben Sie es bei Ihrer Arbeit zu tun?
Es gibt Material, das schwer zu digitalisieren ist, weil zum Beispiel das Papier zu dünn ist. Manchmal machen Urheberrechte Probleme. Die eigentliche Herausforderung an dem Projekt war aber eine ganz andere, nämlich die konzeptuelle Arbeit. Zu überlegen, welches Material suchen wir denn jetzt eigentlich raus? Wer kommt und möchte dieses Material nutzen? Mit welchem Vorwissen? Wonach suchen die Leute überhaupt? Und was können wir im Rahmen der Projektzeit überhaupt erfassen? Welche sind die wesentlichen Unterlagen, die wir aus unserer Sicht zur Verfügung stellen müssen? Mit dem Projekt schaffen wir nun ein erstes Angebot. Und deshalb wäre für uns ein Feedback auch wirklich interessant. Wie empfinden die Leute das? Ist es niedrigschwellig genug? Ist es das, wonach sie suchen? Ist es praktikabel?
Das heißt, Ihnen würde es helfen, wenn die Leute Ihre Seite ausprobieren und Ihnen Feedback geben?
Ja, unbedingt!
Was motiviert Sie persönlich an dieser Arbeit?
Es ist die Kombination aus Archivarbeit und der politischen Arbeit für die Anti-Atom-Bewegung. Ich finde meine Tätigkeit unheimlich sinnvoll. Ich brenne für dieses Projekt und ich möchte auch nichts anderes mehr machen.
Kommen dabei auch skurrile Geschichten zutage?
Schauen Sie mal auf archiv-atomerbe.de unter „Neues“ – „Fundstücke“. Gerade das von Juli lohnt sich besonders!
Interview: Sarah Lahl
Das Projekt
Die von .ausgestrahlt gegründete Stiftung Atomerbe hat im vergangenen Jahr das Projekt „Digitale Auffindbarkeit von Atomwissen“ angeregt und finanziell unterstützt. Durchgeführt hat es das Archiv Deutsches Atomerbe. Hier geht’s zum Projekt:
archiv-atomerbe.de/findbuch-endlagerung
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