Radioaktive Wolke über Europa: War es Majak?

04.12.2017 | Jan Becker

Es wird immer mysteriöser um den möglichen Atomunfall in Russland, der von offizieller Stelle weiterhin bestritten wird. Dabei wurde die höchste Radioaktivität in der Region um die berüchtigte Atomanlage Majak gemessen. Auf Satellitenfotos sind dort Veränderungen sichtbar. Nun hat Frankreich in aus Russland importierten Pilzen erhöhte Werte von Cäsium festgestellt.

Veränderung am Dach der Atomfabrik Majak (links: 23. August 2017, rechts: 10. Oktober 2017)
Foto: spiegel.de / https://twitter.com/simon_rp84
Veränderung am Dach der Atomfabrik Majak (links: 23. August 2017, rechts: 10. Oktober 2017)

Nachdem vor knapp acht Wochen erhöhte Werte von Ruthenium-106 in Europa gemessen wurden, hat Frankreich die Kontrollen bei Lebensmitteleinfuhren verstärkt. Nun wurden Pilze aus Russland entdeckt, die Spuren von Cäsium aufweisen. Die französischen Behörden vermuten, dass die Pilze von der radioaktiven Wolke kontaminiert wurden.

Ruthenium entsteht u.a. bei der Wiederaufarbeitung von Brennelementen und besitzt eine Halbwertzeit von etwa einem Jahr. Cäsium-137 hingegen ist erst nach 30 Jahren um die Hälfte zerfallen. Erhöhte Werte dieses Isotops werden deshalb Jahr für Jahr auch in Pilzen und Wildschweinfleisch in Bayern gemessen, ursächlich dafür ist der Super-GAU von Tschernobyl 1986.

Messungen weisen auf Majak hin

Vergangene Woche hatte der russische Wetterdienst bestätigt, dass Ende September und Anfang Oktober in der Messstation Argajasch im südlichen Ural in der Luft eine Ruthenium-106-Konzentration nachgewiesen worden sei, die das 1.000-fache des normalen Wertes überschritten habe. Argajasch liegt 30 Kilometer von der Atomanlage Majak entfernt.

In der „geschlossenen Stadt“, einem ehemals streng geheimen Ort des russischen Atomwaffenprogramms, befinden sich mehrere Reaktoren, eine Wiederaufarbeitungsanlage und zahlreiche Atommülllager. Unter katastrophalen Bedingungen wurde in der Vergangenheit strahlender Abfall in die Umwelt verklappt. Majak zählt zu den „am meisten verseuchtesten Stätten“ der Erde.

Sichtbare Veränderungen an einem Gebäude

Simon Proud, Postdoktorand des Physikinstituts der University of Oxford wertete Bilder von dem europäischen Satelliten Sentinel 2 aus. Unter Berücksichtigung von Schatten durch Wolken entdeckte er eine Veränderung in der Atomanlage Majak: Dort, wo im August noch ein helles Dach zu sehen war, zeigte sich im Oktober ein deutlich dunklerer Bereich. „Das Lagerhaus scheint einen Teil seines Daches verloren zu haben“, kommentierte Proud auf Twitter. Die beiden Vorkommnisse – der Verlust des Daches und die erhöhten Ruthenium-106-Werte – könnten im Zusammenhang stehen. Natürlich könnten aber auch Bauarbeiten der Grund für die Veränderung sein, so der Wissenschaftler.

„Ungeplanten Abgabe“

Das Radioisotop Ruthenium-106 ist unter normalen Umständen in der Atmosphäre nicht nachweisbar. Die Atomlobby in der Schweiz räumt ein, dass es sich deshalb um eine „ungeplanten Abgabe“ handeln muss.

Das russische Staatsunternehmen Rosatom, Betreiber der Anlage in Majak, erklärte in einer Stellungnahme vom 22. November 2017, die jüngste Freisetzung von Ruthenium-106 stamme nicht aus einer seiner Anlagen. Die russische Sicherheitsbehörde Rostechnadsor kontrolliere insbesondere den Uranaufarbeitungskomplex Majak der Rosatom und habe keine erhöhten Konzentrationen festgestellt.

Aus der Anlage selbst wurde mitgeteilt, dass 2017 gar kein Ruthenium-106 erzeugt worden sei. Außerdem hätten schließlich die Emissionen in der Atmosphäre „innerhalb der gesetzlichen Grenzwerten“ gelegen.

Ein neuer Fall von Vertuschung?

1957 ereignete sich in Majak einer der schlimmsten Atomunfälle. Ein Tank mit Plutonium explodierte, nachdem die Kühlung ausgefallen war. Der sog. „Kyschtym-Unfall“ verseuchte eine Fläche von etwa 20.000 Quadratkilometern. Tausende Menschen wurden verstrahlt. Erst nach Wochen folgte eine Evakuierung. Die russischen Behörden und Anlagenbetreiber vertuschten den Vorfall bis in die 1970er Jahre. Die Regierung gestand die Geschehnisse erst 1989 offiziell ein.

Bisher war immer die Rede davon, dass Anfang Oktober „nur“ Ruthenium-106 festgestellt worden sei. Weil andere Isotope wie zum Bespiel Cäsium fehlten, schlossen europäische Behörden einen Störfall in einem Atomkraftwerk aus. Die Verstrahlung direkt um den Unfallort müsse dennoch „massiv“ gewesen sein.

Auch wenn die russischen Behörden mauern: Es handelt sich ganz offensichtlich um einen relevanten atomaren Störfall. Um die Gesundheit der Menschen zu schützen, müssen dringend umfassende Informationen preisgeben werden.

weiterlesen:

  • Pannen, Lecks und ein mysteriöser Störfall
    13.11.2017 - Für die Menschen in Europa bestehe keine Gefahr. Der Ursprungsort des Rutheniums-106 hätte aber „großräumig evakuiert“ werden müssen, berichten jetzt Fachleute zu den erhöhten Strahlungsmessungen von Anfang Oktober.

Quellen (Auszug): deutschlandfunk.de, n-tv.de, diepresse.com, 20min.ch, spiegel.de, de.wikipedia.org, nuklearforum.ch; 28./29./30.11.2017

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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