„Die ganze Welt drückt die Snooze-Taste“

16.09.2020 | Anna Stender
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Leona Morgan, 39, ist Diné (Navajo) und lebt in New Mexico nahe der selbstverwalteten Navajo Nation. Seit Jahren klärt sie die Menschen vor Ort über die Folgen der Strahlenexposition durch verlassene Uranminen auf und setzt sich gegen neue Atomprojekte ein

Meine Großeltern lebten in einem Gebiet, wo in den 1950er bis 1980er Jahren viel Uran abgebaut wurde. Im Laufe der Jahre bekamen viele Verwandte Krebs und andere Krankheiten und wir wussten nicht, woher das kam. Als ich an der Uni war, erkrankte auch meine Großmutter an Lungenkrebs. Ich besuchte sie oft im Krankenhaus, bevor sie schließlich starb.

Erst später beschäftigte ich mich mit Uran, Zerfallsketten und den Folgen von Strahlungsexposition. Vorher war mir nicht einmal bewusst, dass in New Mexico so viel Uran abgebaut worden war – alleine auf der Navajo Nation gibt es mehr als 500 verlassene Uranminen und keine einzige wurde bisher vollständig saniert. Hier sind aber noch viele andere Atomanlagen: eine Urananreicherungsanlage von Urenco, zwei Atomwaffenzentren, ein riesiges Atomwaffenarsenal und ein havariertes tiefengeologisches Lager für Atommüll aus der Waffenproduktion. Auch der erste Atomwaffentest der Welt fand hier statt. Außerdem gibt es immer wieder neue Vorhaben. Gleichzeitig leisten zahlreiche, oft kleine Organisationen Widerstand. Wegen der vielen Krebserkrankungen, der Kontamination des Trinkwassers und anderer Probleme hatte die Regierung der Navajo Nation mit der Unterstützung lokaler Gruppen den Uranabbau bei uns 2005 untersagt. 2012 verbot sie auch den Transport radioaktiver Materialien über unser Land.

„Alleine auf der Navajo Nation gibt es mehr als 500 verlassene Uranminen. Keine einzige wurde bisher vollständig saniert.“

Um 2006/2007 schoss der Uranpreis in die Höhe, die Atomindustrie wollte neue Uranvorkommen erschließen. Auch die alten Minen waren für sie wieder interessant. Ich wehrte mich damals mit den „Eastern Navajo Diné against Uranium Mining“ gegen ein geplantes In-situ-Leaching-Vorhaben (ISL) nahe der Navajo Nation. Bei dieser dem Fracking ähnlichen Technik werden Chemikalien in den Untergrund gepresst, die das Uran aus dem Gestein lösen, und die strahlende Brühe dann nach oben gepumpt. Ich war beunruhigt wegen der langfristigen Folgen eines erneuten Abbaus von Uran in der Region, zum Beispiel einer Kontamination des Grundwassers. Das wollte ich verhindern. Allerdings gab es auch Diné, die dafür waren, wegen der Arbeitsplätze. Es war also nicht nur ein Kampf gegen das Minenunternehmen, es gab auch Konflikte mit Nachbar*innen, mit Verwandten und mit unserer eigenen Regierung, die dem Unternehmen eine Ausnahme von dem Transportverbot gewährten. Wir setzten uns dafür ein, diese Gesetzeslücke wieder zu schließen und waren 2014 erfolgreich. So bin ich zum Protest gekommen.

Ich sprach regelmäßig auf Zusammenkünften von Ältesten unserer Navajo-Selbstverwaltung über diese Themen, aber ich merkte, dass auch sie nicht richtig verstanden, wie die Strahlung in ihren Körper gelangte und sie krank machte. Es war schwer zu erklären, dass man es mit dem menschlichen Körper nicht wahrnehmen kann.

Aus dieser Erfahrung heraus entstand das Radiation Monitoring Project. Zusammen mit zwei meiner besten Freunde wollten wir medizinische und wissenschaftliche Informationen für alle kostenlos und auf gut verständliche Art und Weise zugänglich machen, besonders für die unmittelbar Betroffenen. Die Leute sollten die Zusammenhänge zwischen Strahlung und Krebserkrankungen besser verstehen, es musste für sie greifbarer werden. Wir sammelten also Geld für etwa 30 Geigerzähler. Gleichzeitig organisierten wir Schulungen, bei denen die Leute von Fachleuten lernten, wie sie die Geräte benutzen konnten. Außerdem vermittelten wir Grundwissen über Strahlung und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit.

Es gibt heute keine aktiven Minen auf der Navajo Nation. In den USA gibt es aber viele Orte, an denen indigene Gruppen, nicht nur Diné, gegen den Uranabbau kämpfen. Oft haben sie keinen Rechtsanspruch auf ihr Land, weil es ihnen von der US-Regierung weggenommen wurde. Ein Beispiel ist unser heiliger Berg. Er liegt außerhalb der Navajo Nation und ein Unternehmen will dort Uran abbauen. Ähnliche Probleme gibt es nicht nur in den USA, sondern überall in der Welt.

Die Zusammenhänge sind nicht immer so offensichtlich, aber als indigene Frau habe ich den Kampf gegen den Uranabbau bei uns immer auch als einen Kampf gegen Rassismus gesehen. In den USA ist systemischer Rassismus weit verbreitet, das zeigt sich schon daran, wie dieses Land gegründet wurde. Dass wir als Diné heute noch auf dem Land unserer Vorfahren leben, ist eine Ausnahme. Viele indigene Völker wurden ermordet oder in abgelegene Gebiete vertrieben. Damals wusste man nicht, dass dort riesige Vorkommen an Kohle, Öl, Gas und Uran liegen. In New Mexico stellen People of Color, vor allem Indigene und Menschen mexikanischer Abstammung, die Bevölkerungsmehrheit dar, und wenn ein Ort nicht im Fokus der Öffentlichkeit steht, dünn besiedelt ist und man sich nicht persönlich betroffen fühlt, kann man Probleme leichter ignorieren. Für mich ist das Umweltrassismus. Wenn die Bodenschätze unter dem Land von Weißen läge oder unter New York oder Berlin, würde man sie nicht abbauen.

„Werden die Aktivitäten von RWE und Urenco in Deutschland gestoppt, dann hilft das auch uns in New Mexico.“

Unter dem Clown, der sich unser Präsident nennt, nehmen die USA gerade viele Gesetze zum Schutz der Umwelt zurück. Trump will das Land unabhängig von Energieimporten machen und drängt darauf, dass mehr Öl und Gas gefördert und gefrackt und mehr Uran abgebaut wird. Mit der Anti-Atom-Aktion „Don’t Nuke the Climate“ kämpfe ich mit Menschen aus aller Welt dagegen, dass die Atomenergie als „saubere“ Energie anerkannt wird – wofür die Atomlobby ja kräftig wirbt. Für mich als Frau of Color war es besonders traurig, dass selbst die progressive Politikerin of Color Alexandria Ocasio-Cortez sich vor Kurzem in die Richtung geäußert hat, dass man mit Atomkraft die CO2-Emissionen senken könnte. Viele Menschen hatten so große Hoffnungen darauf gesetzt, sie in einer Führungsrolle zu sehen!

2016 gründeten wir die Nuclear Issues Study Group. Wir sind etwa 10 Leute, fast alle unter 40, und unser Ziel ist es, Informationen zum Thema Atom auf leicht verständliche Art und Weise zugänglich zu machen, die Leute zu informieren und aufzuklären und vor allem mehr junge Leute zum Mitmachen zu motivieren – in den USA sind es bis heute meist ältere weiße Männer, die sich in der Anti-Atom-Bewegung engagieren.

Das drängendste Thema für uns sind gerade die Pläne für ein geplantes „Zwischenlager“ in New Mexico für den gesamten Atommüll aus allen US-amerikanischen Reaktoren. Nachdem der Standort Yucca Mountain aufgegeben wurde, sollen die Abfälle aus den US-Atomkraftwerken jetzt nach New Mexico gebracht werden. Dabei werden am geplanten Standort viele Rohstoffe gefördert und abgebaut, die Bedingungen sind also geologisch sehr ungünstig. Außerdem befürchten wir, dass der Müll dort am Ende doch dauerhaft gelagert wird. Aktuell kann die Öffentlichkeit Stellungnahmen einreichen zum Entwurf des Umweltverträglichkeitsberichts zu dem Vorhaben, aber wegen der Covid-19-Pandemie gibt es viele Einschränkungen. Unter diesen Umständen ist es nicht leicht für uns, den Widerstand zu organisieren. Beim Thema Atommüll macht die Welt seit Jahrzehnten, was ich morgens bei meinem Wecker mache: Immer wieder auf die Snooze-Taste drücken.

Wir  müssen überall auf der Welt die gesamte atomare Brennstoffkette bekämpfen, vom Uranabbau über Waffen und Atomenergie bis hin zum Atommüll. Die Atomwirtschaft hängt ja weltweit zusammen: Das Uran wird in verschiedene Länder geliefert, angereichert und so weiter. Werden die Aktivitäten von RWE und Urenco in Deutschland gestoppt, dann hilft das auch uns in New Mexico. Das Wichtigste ist es, neue AKW und Atomwaffen zu verhindern, zum Beispiel mit dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag, und mit dem Uranabbau aufzuhören. Damit bekämpfen wir auch Rassismus, Imperialismus und Kapitalismus.

Protokoll: Anna Stender

Dieser Artikel erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 49 (Nov/Dez 2020 / Jan 2021)

 

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Anna Stender

Anna Stender kommt aus Münster und hat bereits in den Neunzigerjahren gegen Castortransporte nach Ahaus und Gorleben demonstriert. Sie ist studierte Fachübersetzerin und hat sich nach Stationen in Berlin, Köln, Bangalore, Newcastle-upon-Tyne und Jülich entschieden, in Hamburg zu bleiben. Seit 2020 ist sie als Redakteurin bei .ausgestrahlt, wo sie vor allem für den Print-Bereich schreibt.

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