Atomstrom fürs Schlachtfeld

05.05.2021 | Armin Simon
Prototyp ML-1 (hier: originalgroße Attrappe) eines mobilen militärischen Mini-AKW der US-Armee. Das Projekt wurde wegen zahlreicher technischer Probleme nach wenigen hundert Betriebstunden 1965 eingestellt
Prototyp ML-1 (hier: originalgroße Attrappe) eines mobilen militärischen Mini-AKW der US-Armee. Das Projekt wurde wegen zahlreicher technischer Probleme nach wenigen hundert Betriebstunden 1965 eingestellt
Foto: US Army

Kleine, modulare Reaktoren sind vor allem fürs Militär interessant. Das nutzt sie seit Jahrzehnten als U-Boot-Antrieb – und träumt zum wiederholten Mal von mobilen Mini-AKW. Diese sollen nicht nur Stützpunkte und Militärlager versorgen, sondern auch Strom für neuartige Waffen liefern.

Die Hoffnungen waren schon damals groß. Mobile, autarke Mini-Atomreaktoren, schwärmte in den 1950ern ein US-Generalleutnant, könnten aus militärischer Sicht ein „strategischer Game Changer“ werden. Acht Prototypen folgten. Wegen technischer Probleme, Unzuverlässigkeit und/oder immenser Kosten wurden sie bis 1977 allesamt eingemottet.

50 Jahre später jedoch ist dasselbe Thema wieder en vogue. Von einer „disruptiven Technologie“ spricht eine vom stellvertretenden Stabschef der US-Armee in Auftrag gegebene Studie, und die Träume fliegen wieder hoch: Ein AKW nicht größer als ein Standard-Container und damit zu Wasser, zu Land und durch die Luft transportierbar soll es sein, ausgeliefert „ready to use“, befüllt mit Brennstoff für mindestens ein Jahrzehnt (und daher entsprechend hoch angereichert). „Plug and Play“-Fähigkeit und automatische Lastanpassung wünscht sich die Army, das Modul-Kraftwerk soll ohne große Spezialkenntnisse und mit minimalem Equipment zu bedienen sein und außerdem nicht nur unfall- und kernschmelz-, sondern sogar angriffssicher. Derlei Technik, wirbt die Studie, könnte nicht nur den heutigen, sondern auch künftigen zusätzlichen Strombedarf an der Front decken, etwa für neuartige Waffen, die mit Hochenergielasern, Mikrowellen oder elektromagnetisch beschleunigten Projektilen arbeiten.

Auftrag aus dem Verteidigungsministerium

Im März 2020 beauftragt das US-Verteidigungsministerium drei Firmen, zwei Jahre lang Konzepte für einen solchen Reaktor zu entwerfen. Hält das Ministerium diese für realisierbar, soll ein Auftrag zum Bau eines Prototypen folgen, angepeilte elektrische Leistung: 1 bis 5 Megawatt. (Heutige AKW sind 1.000 bis 300 mal so groß.) Ein schlachtfeldtauglicher mobiler Mini-Reaktor, begründet die US-Regierung, würde eine „Expansion und Fortdauer von [Militär-]Operationen über längere Zeiträume überall auf der Welt ermöglichen“.

Der US-Vorstoß reiht sich ein in eine ganze Reihe von Projekten im Bereich „Small Modular Reactors“ (SMR, kleine modulare Reaktoren), die militärischen Interessen dienen. Neben den erwähnten mobilen Schlachtfeld-Kraftwerken geht es vor allem um nukleare U-Boot-Antriebe und eine netzunabhängige Stromversorgung stationärer Militärstützpunkte. So hofft die US-Armee bereits in wenigen Jahren ein auf bestehender Reaktortechnik basierendes stationäres Mini-AKW testen zu können. Sie will damit Stützpunkte im In- und Ausland autarker versorgen, um gegen – auch durch Sabotage verursachte – Stromnetz-Ausfälle gewappnet zu sein. Nukleare U-Boot-Antriebe hingegen sind in der Logik der Militärs zwingend, um die weltweite Zweitschlagfähigkeit einer Atommacht zu sichern. Nur ein solcher Antrieb erlaube es mit Atomraketen bestückten U-Booten, unsichtbar und damit unangreifbar durch die Weltmeere zu kreuzen. Allerdings warnte der British American Information Council (BASIC) schon 2016 in einem Report, dass neue Technologien die Meere in absehbarer Zeit quasi durchsichtig und jedes U-Boot damit auffindbar machen könnten.

U-Boot-Antriebe sind der eigentliche Ursprung aller SMR-Ideen und im Prinzip der einzige Bereich, in dem Reaktoren dieser Größe bisher zum Einsatz kommen – Wirtschaftlichkeit spielt hier bekanntlich keine Rolle. Kein Wunder also, dass auch die allermeisten SMR-Ideen und -Projekte heute einen Link zur U-Boot-Industrie oder eine sonstige militärische Komponente haben (siehe Artikel Atomkraft, Kriegsspielzeug und Klima-Blabla). Ob dabei am Ende militärische Entwicklungen als zivile Projekte getarnt und entsprechend finanziert werden, wie es in Großbritannien und Frankreich scheint, oder ob genau umgekehrt, wie in den USA diskutiert, Gelder aus dem Verteidigungsetat einer darbenden Reaktorindustrie das Entwickeln neuer ziviler Anwendungen ermöglichen sollen, bleibt offen. Klar ist nur: Die in der Wunschliste für den mobilen „Schlachtfeld-Reaktor“ genannten Anforderungen beschreiben ein AKW ohne die Risiken eines AKW – und haben, insbesondere was die Unfall- und Angriffssicherheit betrifft, mit der Realität nicht das Geringste zu tun. Selbst der Bericht des US-Militärs räumt ein, dass ein solcher Reaktor einem direkten Beschuss nicht standhalten könne. Was nicht ausschließt, dass er am Ende doch gebaut werden und zum Einsatz kommen könnte.

Anreicherungstechnologie aus Deutschland

Eine Schlüsselrolle für die US-Pläne kommt dem deutsch-britisch-niederländischen Urenco-Konzern zu, an dem auch RWE und Eon beteiligt sind. Urenco ist Betreiber mehrerer Urananreicherungsanlagen, auch der in Gronau, und über seine Tochtergesellschaft U-Battery selbst SMR-Entwickler. Denn die vom Militär ins Auge gefassten Reaktoren sollen mit bis knapp unter 20 Prozent angereichertem Uran (HALEU, high-assay low-enriched uranium) betrieben werden – das ist nötig, um die Anlagen kompakt zu halten und die angestrebte lange Zyklusdauer zu erreichen. HALEU gilt nach internationaler Definition gerade noch als „niedrig angereichert“, ist aber deutlich leichter auf einen waffenfähigen Anreicherungsgrad zu bringen als konventionelles Reaktoruran, das nur 3 bis 5 Prozent Spaltstoff enthält (siehe Artikel Proliferationsrisiken „neuer“ Reaktoren). Urenco hat angekündigt, in seiner Anreicherungsanlage in New Mexico in die Produktion von HALEU einzusteigen. Die dafür nötigen Ultrazentrifugen soll vermutlich die Urenco-Tochter Enrichement Technology Company (ETC) aus Jülich liefern.

 

weiterlesen:

  • Bombenrisiko Atomkraft
    Zivile und militärische Nutzung der Atomenergie lassen sich nicht eindeutig trennen. Atomkraftwerke, Forschungsreaktoren, Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen sind immer auch ein Weg, an die zum Bau einer Atombombe nötigen Materialien zu gelangen und militärische Atomprogramme zu kaschieren.
  • Proliferationsrisiken „neuer“ Reaktoren
    6.5.2021: „Neue“ Reaktorkonzepte, etwa der „Generation IV“, oder kleine modulare Reaktoren vergrößern die Gefahr der Weiterverbreitung von radioaktivem Material.
  • Atomkraft, Kriegsspielzeug und Klima-Blabla
    4.5.2021: Hinter zahlreichen Projekten für den Bau neuer AKW und die Entwicklung neuer Reaktoren stehen handfeste militärische Interessen. Die Verquickung zwischen zivilem und militärischem Sektor zieht sich bis auf die Personalebene.
  • Auf dem Weg in den Krieg: Urenco expandiert
    7.3.2019: Bislang galt der Anreicherungsgrad von 5 Prozent als Beleg dafür, dass die Urananreicherungsanlagen für „rein zivile Nutzung“ produzieren. In den USA will Urenco den Anreicherungsgrad vervierfachen - und durchbricht damit eine „sicherheitspolitische Barriere“, warnen Atomkraftgegner*innen.
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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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