Atomlobby hofft auf Wasserstoff

18.05.2021 | Timo Luthmann
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Foto: JohnAlexandr / iStock

In einem klimaneutralen Europa wird Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen. Doch setzt sich die Atomlobby durch, könnte der für die Wasserstoff-Erzeugung benötigte Strom am Ende nicht nur aus erneuerbaren Energien stammen – sondern auch aus AKW.

Wasserstoff gilt als Schlüssel, um insbesondere in der Stahlindustrie, Grundstoff- und Chemieindustrie sowie bei Schwerlasttransporten und Schifffahrt fossile Brenn- und Rohstoffe zu ersetzen. Entscheidend ist dabei, auf welche Weise die dafür benötigten großen Mengen Wasserstoff gewonnen werden. Dafür gibt es verschiedenfarbige Bezeichnungen: „Grauer“ und „blauer“ Wasserstoff wird durch Umwandlung von Erdgas gewonnen, „grüner“ Wasserstoff mit Strom aus Erneuerbaren Energien und „gelber“ Wasserstoff mit Strom aus Atomkraft.

Der Streit um die Förderung der Atomkraft in der EU spiegelt sich deshalb auch in der Auseinandersetzung um die europäische Wasserstoffstrategie wieder. Die EU-Staaten teilen sich dabei grob in zwei Lager auf: Die einen wollen nur „grünen“ Wasserstoff, der ausschließlich aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, unterstützen. Die anderen wollen alle „CO2-armen“ Techniken zulassen – worunter in ihren Augen sowohl „gelber“ Wasserstoff aus Atomenergie als auch „blauer“ aus Erdgas zählt, bei dem das anfallende CO2 energieaufwändig abgeschieden und unterirdisch gelagert wird (CCS). Dieses Greenwashing von Atomkraft und fossilem Erdgas hätte fatale Folgen.

Längere Laufzeiten und neue AKW?

Als großtechnologischer Entwurf bietet die Wasserstoffstrategie verschiedenste technische Anknüpfungspunkte und neue Legitimierungs- und Finanzierungsmöglichkeiten für die Atomkraft. So können Atomkraftwerke ihre Leistung nur sehr begrenzt regeln, weswegen sie mit den dynamischen Erneuerbaren Energien inkompatibel sind. Für die Atomindustrie wäre die Wasserstoff-Produktion aus Atomstrom deshalb eine sehnsüchtig herbeigesehnte Krücke: Nicht benötigter Atomstrom könnte dann in Wasserstoff umgesetzt und gespeichert werden. Dies könnte die Rentabilität von AKW und die finanzielle Liquidität der Atomkraftbetreiber verbessern. Unterm Strich könnten damit sowohl Laufzeitverlängerungen als potenziell sogar neue AKW ökonomisch attraktiver werden. Entscheidend dafür ist Zweierlei: Ob Atomkraft innerhalb der EU-Taxonomie als nachhaltig eingestuft (siehe Artikel Kampf um die Pfründe) und ob Wasserstoff aus Atomkraft als förderfähige Technologie im Rahmen der EU-Wasserstoffstrategie anerkannt wird; beides würde sich wechselseitig verstärken. Daneben spielt eine Rolle, ob und wie schnell sich der Wasserstoffmarkt entwickelt. Insbesondere Länder mit einem großen Atomkraftwerkspark wie Frankreich haben deshalb ein großes Interesse an einer schnellen europäischen Umsetzung der Wasserstoffstrategie: Sie hoffen auf neue Einnahmequellen für ihre überschuldete staatliche Atomindustrie. Kein Wunder also, dass Frankreich als erstes Land in Europa überhaupt eine nationale Wasserstoffstrategie beschlossen hat. Diese schließt, im Gegensatz zu der in Deutschland diskutierten, die Wasserstoffgewinnung aus Atomstrom mit ein. Auch osteuropäische Länder wie die Slowakei, Ungarn, Tschechien, Polen und Rumänien setzen beim Wasserstoff auf Atomstrom.

Atom-Subventionen durch die Hintertür

Bis jetzt gibt es keinen „gelben“ Wasserstoff. Die ehrgeizigen Förderpläne für Wasserstoff in der EU, aber auch von Staaten wie Frankreich und Deutschland, lassen jedoch aufhorchen. Da die deutsche Stahlbranche und die chemische Industrie ein großes Interesse an enormen Mengen Wasserstoff haben, besteht in Zukunft die Gefahr, dass sie mit „gelbem“ Wasserstoff beliefert werden, der etwa mit französischem Atomstrom erzeugt wurde. Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, wie sich die deutsch-französische Wasserstoff-Allianz ausdifferenziert und welche „Projekte von besonderem europäischen Interesse“ (IPCEI-Projekte) beim Bundeswirtschaftsministerium eingereicht werden. Bei IPCEI-Projekten sind staatliche Subventionen möglich, was für die Atomindustrie besonders wichtig ist.

Das Thema der europäischen Wasserstoffstrategie, und welche Rolle gelber Wasserstoff dabei spielen soll, wird beim Treffen der EU-Energieminister*innen im Juni 2021 auf der Agenda stehen. Die Bundesregierung muss dabei jeder Förderung von gelbem Wasserstoff und der damit verbundenen indirekten Förderung der Atomkraft eine deutliche Absage erteilen. Ebenso muss sie ein Importverbot für „gelben“ Wasserstoff erlassen. Voraussetzung dafür ist eine eindeutige und verbindliche Klassifizierung von Wasserstoff, die seine Herstellungsart transparent macht.

weiterlesen:

  • Gelber Wasserstoff als potentielle Krücke der europäischen Atomkraft
    23.3.2021: In der EU wird darum gestritten, welche Rolle Atomkraft und fossiles Gas in der europäischen Wasserstoffstrategie spielen. Doch was hat es eigentlich mit diesem Wasserstoff-Hype auf sich, wo liegen die Gefahren aus atomkritischer Perspektive und was muss passieren, damit das ganze nicht im Greenwashing endet?

 

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Timo Luthmann

Timo Luthmann hat sich in der Anti-Atombewegung Ende der 1990er Jahre politisiert und war in vielen verschiedenen sozialen Bewegungen aktiv. Seit 2009 hat er die Klimagerechtigkeitsbewegung mit aufgebaut und sich seit 2017 im Bereich Klimagerechtigkeit und Landwirtschaft engagiert. Er hat das "Handbuch Nachhaltiger Aktivismus" geschrieben.

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