Garching fehlt medizinischer Nutzen: Grundlage für Reaktorbetrieb obsolet

19.06.2020 | Jan Becker

Das bayerische Umweltministerium hält den Forschungsreaktor Garching für „wichtig“ und „unverzichtbar“, besonders für die Medizin. Doch das ist ein Märchen und mit Zahlen widerlegt.

Forschungsreaktor München-2
Foto: unter CC BY-SA 3.0 DE von Mario Schmalfuß aus Wikimedia Commons

Mitte Mai waren wegen einer Panne mehr radioaktive Stoffe aus dem Reaktor „FRM-II“ bei München ausgetreten, als es der Jahresgrenzwert erlaubt. Der Meiler steht seit März still, erst wegen der Corona-Pandemie, nach dem Störfall muss nun die Politik über die weitere Zukunft entscheiden.

Doch anstatt den Betreiber für die Panne, die wiederholt auftrat und vermeidbar war, zu kritisieren und Konsequenzen zu ziehen, startete das bayerische Umweltministerium eine Kampagne für ihren „Lieblingsreaktor“: Ein Sprecher nannte eine ganze Palette von Gründen, u.a. dass der Reaktor „hochkarätige technische und medizinische Forschung“ ermögliche, es würden „wichtige Beiträge zur medizinischen Versorgung geleistet“. Wegen des aktuellen Stillstands würden „mehr als 800 Forscher*innen in der Warteschlange“ stehen, untermauert der Betreiber die „Wichtigkeit“ des Meilers. Bei den wartenden Aufträgen nannte er die Stichworte „Corona-Forschung“ und „Impfstoff“.

Angeblicher medizinischer Nutzen dient nur der öffentlichen Darstellung

Immer wenn es für den umstrittenen Reaktorbetrieb in der Öffentlichkeit kritisch wurde, schob der Betreiber den medizinischen Nutzen in den Vordergrund. So wurde schon vor der Inbetriebnahme mit der Bestrahlung von Krebspatient*innen geworben, ein sehr emotionales Argument, das natürlich schnell und einfach Befürworter*innen findet. Als der FRM-II im März 2004 angefahren wurde, warb die Staatsregierung damit, dass dort „bei Teilauslastung bis zu 120 Patient*innen pro Woche“ geholfen werden könne.

Antworten auf einen Fragenkatalog an das Wissenschaftsministerium des Landes Bayern offenbaren jetzt hinsichtlich dessen eine „blamable Pleite“. Diese Bestrahlungsanlage war nämlich nur von 2007 bis 2015 in Betrieb und steht heute still. Weil sich die Medizintechnik „weiterentwickelt habe“, sagt der Betreiber und verspricht, dass ab 2021 wieder Hirntumore behandelt werden könnten.

Doch diese Ankündigung lenkt von der Tatsache ab, dass die Öffentlichkeit über den angeblich unverzichtbaren „medizinischen Nutzen“ getäuscht wurde: In den wenigen Betriebsjahren der Spezialanlage wurden insgesamt nur 126 Patienten behandelt. An nur 24 Tagen im Jahr haben Bestrahlungen stattgefunden – damit liegt der Wert mindestens 95 Prozent unter dem von der Landesregierung angekündigten.

Forschungsaufträge aus aller Welt konzentrieren sich hingegen auf die in Garching produzierten Neutronen. „Bildgebung“ für wissenschaftliche Anliegen sei eine „wesentliche Nutzung“ und werde „sehr stark nachgefragt“, sagt der Betreiber. Die vorhandenen Messstellen seien von der Archäologie über Physik bis zur Medizin nachgefragt. Mithilfe der Neutronen könnten Wissenschaftler*innen beispielsweise „das Innere einer Batterie durchleuchten, ohne dass sie aufgebrochen wird“.

Forschung rechtfertigt Gefährdung nicht

Kritiker*innen fordern den endgültigen Stopp des Reaktors, weil er mit hochangereichertem, atomwaffen-tauglichem Uran betrieben wird. Eine mit der Betriebserlaubnis gekoppelten Umrüstung auf anderen Brennstoff hat der Betreiber - unterstützt von der Landesregierung - ignoriert. Es handelt sich seit Jahren um einen „illegalen Betrieb“, belegte letztes Jahr ein kritisches Rechtsgutachten. Der Bund Naturschutz hat deswegen kürzlich Klage eingereicht. Die Landesregierung unterstützt den Weiterbetrieb hingegen durch Tatenlosigkeit.

Die falschen Prognosen zur Krebsbehandlung seien ein „Musterbeispiel der leeren Versprechungen der TU München“, betonen die Grünen in Bayern. Die anderen Forschungsarbeiten in Garching rechtfertigen keinesfalls die Gefährdung der Menschen in der Umgebung des Atomreaktors. Auch wenn es sich um einen vergleichsweise kleinen Meiler handelt: Ein schwerer Unfall mit Freisetzung des radioaktiven Inventars hätte katastrophale Folgen für die ganze Region. Jeder Reaktorbetriebstag produziert Atommüll, für den es keine Lösung gibt - wegen des angereicherten Urans ist der Müll aus Garching sogar eine besonders komplizierter Sonderfall.

weiterlesen:

  • Betriebsverbot für Forschungsreaktor beantragt
    09.06.2020 - Nicht etwa die Freisetzung von Radioaktivität größer als es der Jahresgrenzwert erlaubt ist die Grundlage für eine Klage, mit deren Hilfe der Betrieb des Forschungsreaktors im bayerischen Garching verboten werden soll.

  • Garching muss aus bleiben!
    18.05.2020 - Der Forschungsreaktor FRM II in Garching wird illegal betrieben. Nun wurde auch noch unbeabsichtigt mehrere Tage lang Radioaktivität freigesetzt. Der Meiler ist derzeit vom Netz – das muss er bleiben!

Quellen (Auszug): sueddeutsche.de, bayerische-staatszeitung.de, br.de, de.wikipedia.org

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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