Echte Beteiligungsrechte bei der Standortsuche

04.08.2021 | Jochen Stay
None

Die Konsultationsrechte im Standortauswahlgesetz reichen nicht aus. Es braucht echte Mitbestimmungsrechte, damit eine gesellschaftliche Verständigung gelingt und damit berechtigte Einwände der Betroffenen nicht übergangen werden können.

Die Standortsuche für einen dauerhaften unterirdischen Lagerplatz für den hochradioaktiven Müll geht ihren Gang – aber kaum jemand bekommt etwas davon mit. Nach der Veröffentlichung der vorgeblich für die weitere Suche günstigen „Teilgebiete“ letzten September – diese umfassen noch 54 (!) Prozent des Bundesgebietes – soll Anfang August der dritte und letzte Beratungstermin der sogenannten „Fachkonferenz Teilgebiete“ stattfinden. Diese soll den Eindruck von Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz des Verfahrens erwecken. Die Realität sieht anders aus. Einige Schlaglichter:

Wer macht überhaupt noch mit?
Das Atommüll-Bundesamt verkündete stolz die Zahl von 1.500 Angemeldeten beim zweiten Beratungstermin der Teilgebiete-Konferenz im Juni (pandemiebedingt wieder nur online). Teilgenommen haben allerdings (alles Durchschnittswerte über die drei Veranstaltungstage) nur 371 Personen, an Abstimmungen beteiligten sich sogar nur 247. Ganze 27 Anwesende kamen noch aus gesellschaftlichen Organisationen wie Umweltverbänden, Initiativen, Parteien und anderen Verbänden. Die organisierte Anti-Atom-Bewegung hat sich bis auf ganz wenige Ausnahmen aus der Konferenz zurückgezogen. Dominiert wurde die Veranstaltung von Angestellten aus Kommunalverwaltungen, die deutlich mehr als die Hälfte der Teilnehmenden stellten. 40 Prozent der Anwesenden waren weder bei der Auftaktveranstaltung im Oktober noch beim ersten Beratungstermin im Februar dabei. Das bedeutet einerseits, dass sich die meisten Teilnehmer*innen der besser besuchten ersten Termine inzwischen verabschiedet haben. Andererseits saß erneut ein Großteil eher mit dem Interesse vor dem Rechner, informiert zu werden – und nur ein Bruchteil wollte sich aktiv an Debatten um den „Zwischenbericht Teilgebiete“ beteiligen. Das aber sollte ja eigentlich Zweck der Veranstaltung sein.

Funktioniert das Online-Format?
Im Vorfeld der Konferenzen hatten zahlreiche Akteur*innen davor gewarnt, auf Online-Veranstaltungen zu setzen, und stattdessen vorgeschlagen, zu warten, bis die Pandemie-Situation wieder Präsenzveranstaltungen zulässt. Bundesregierung und Atommüll-Bundesamt wollen die Sache aber unbedingt durchziehen. Nun schließt das Online-Format per se schon Personen ohne vernünftige Internetverbindung, geeignete Endgeräte oder technischen Sachverstand aus. Doch selbst diejenigen, die teilnehmen wollten, waren mit unzähligen technischen Problemen konfrontiert. Teile des Programms fielen ganz aus, weil über vier Stunden der Server zusammengebrochen war. Viele hatten Probleme mit der Tonqualität oder der Bildübertragung, flogen mehrfach aus der Veranstaltung raus oder konnten nicht an Abstimmungen teilnehmen. Eingeblendete Texte, etwa von Anträgen, waren durchgehend extrem unscharf und damit kaum lesbar. Zudem war im Konferenztool nicht sichtbar, wer überhaupt gerade anwesend ist. Und schließlich begünstigt das Online-Format eine restriktive Moderation, die wenig Interesse an echter Beteiligung hat.

Wie entstehen Konferenz-Ergebnisse?
Die Teilgebiete-Konferenz soll den Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) erörtern. Die Ergebnisse sollen dieser übermittelt werden. Schon unter normalen Umständen wäre es eine riesige Herausforderung, in einer großen, wild zusammengewürfelten Gruppe ohne bewährte gemeinsame Arbeitsstruktur innerhalb von drei Terminen gemeinsame Ergebnisse zu produzieren, die der Komplexität des Themas gerecht werden. In Online-Formaten während einer Pandemie, so viel ist inzwischen erwiesen, funktioniert es nicht. Ein Beispiel aus den Arbeitsgruppen (AG), die nun vor der dritten Konferenz die Entwürfe für das Abschlussdokument schreiben sollen:

Zur Vorbereitung der AG zu Steinsalz wurden die Wortprotokolle der bisherigen Konferenztermine nach Aussagen zu diesem Gestein durchsucht und dann von zwei Personen geclustert. So entstanden fünf Oberthemen mit jeweils etwa einem halben Dutzend Unterpunkten. An der Online-AG-Sitzung nahmen etwa 30 Personen teil, die sich nun in Unterarbeitsgruppen zu den fünf Themen aufteilen sollten. Zustande kamen jedoch lediglich zwei Untergruppen. Der Rest entfiel. In einer Untergruppe meldeten sich während der ganzen Diskussion nur drei Personen zu Wort, die aber auch nur zu sehr kleinen Teilbereichen eher Fragen als Diskussionsbeiträge vorbrachten. Am Ende wurde für die gesamte AG Salzgestein eine Kleingruppe bestimmt, die nun den Entwurf für das Abschlussdokument schreiben soll. Sie besteht aus einem Grünen-Politiker, der als Landesminister das Suchverfahren mitentwickelt hat und aktuell aussichtsreich für den Bundestag kandidiert (der nun aber meint, er könne die „Zivilgesellschaft“ vertreten), einer Verwaltungswissenschaftlerin und einem AfD-Politiker, der im Pro-Atom-Verein „Nuklearia“ aktiv ist.

Zurück zum Allgemeinen: Das Abschlussdokument der Konferenz wird von einem kleinen Kreis zufällig zusammengewürfelter Personen geschrieben, die versuchen, dort hauptsächlich ihre eigenen Steckenpferd-Themen unterzubringen. Klar: Theoretisch ist die Möglichkeit auch für andere offen, dort mitzuarbeiten. Aber diese anderen sind entweder nie bei der Konferenz angekommen oder unterwegs längst verlorengegangen.

Wie geht es weiter?
Der dritte Beratungstermin Anfang August, ursprünglich für vier Tage geplant, wird nun an zwei halben Tagen durchgezogen. Dort soll das Abschlussdokument beschlossen werden. Die BGE hat dieses laut Gesetz „zu berücksichtigen“, was nicht mehr bedeutet, als es zur Kenntnis zu nehmen.

Derweil arbeitet sie längst weiter. Der Forderung der Konferenz, einen gesetzeskonformen Zwischenbericht vorzulegen, in den alle von den Bundesländern gelieferten Daten einbezogen sind und in dem Gebiete gesondert ausgewiesen werden, für die es keine ausreichende Datengrundlage gibt, möchte die BGE nicht nachkommen.

Sie legt sich bisher auch nicht fest, ob sie, wie die Konferenz es fordert, in den nächsten Jahren regelmäßig Zwischenergebnisse mit Gebietsausschlüssen veröffentlichen oder nur über ihre Methoden informieren wird. Es wird wahrscheinlich noch drei bis vier Jahre dauern, bis der nächste Auswahlschritt abgeschlossen ist und die konkret zu untersuchenden Standortregionen benannt werden, die dann nur noch etwa ein Hundertstel der Fläche der jetzigen Teilgebiete umfassen. Die Betroffenen werden dann aus allen Wolken fallen.

Die Teilgebiete-Konferenz hat auf ihrem zweiten Beratungstermin beschlossen, dass sie sich ein Folgeformat wünscht, in dem Zwischenergebnisse der BGE diskutiert werden können. Dieses „Beteiligungs“-Format soll, so der Wunsch, die gleichen Rechte haben wie die Fachkonferenz – also eigentlich keine. Doch selbst hier ist bisher offen, ob das zuständige Atommüll-Bundesamt dieser Bitte nachkommt.

To-do: Für echte Beteiligung und Transparenz sorgen
Bundesregierung und Atommüll-Bundesamt betonen bei jeder Gelegenheit, die Standortsuche sei ein lernendes Verfahren. Wenn dem tatsächlich so ist, dann sollte der nächste Bundestag das Standortauswahlgesetz dringend ändern, um für umfassende Transparenz und echte Mitbestimmungsrechte der Betroffenen zu sorgen. Wird der jetzt eingeschlagene Weg fortgesetzt, ist ein Scheitern des Verfahrens nur noch eine Frage der Zeit.
 

weiterlesen:

  • weiterführende Informationen im Infoportal Standortsuche
  • Ist Deine Region betroffen? Karte "Potentielle Standorte"
  • Fragen und Antworten - Die wichtigsten Fragen und Antworten zur langfristigen Lagerung von hochradioaktivem Atommüll.
  • Der unglückliche Start der Teilgebiets-Konferenzen
    4.2.2021: Am Wochenende wird als reine Online-Veranstaltung der erste Beratungstermin der „Fachkonferenz Teilgebiete“ durchgezogen – trotz Corona-Pandemie und eines mangelhaften Zwischenberichts zur Standortsuche. Echte Partizipation sieht anders aus.
  • Das große Nebelwerfen
    9.11.2020: Der erste Zwischenbericht zur Standortsuche für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager verklärt mehr, als dass er erhellt. Denn über viele Gebiete, die er ausweist, ist so gut wie nichts bekannt. Und sie sind so zahlreich, dass niemand sich betroffen fühlt – selbst dort nicht, wo es dringend angebracht wäre.
  • Gorleben lebt
    5.11.2020: Das jahrzehntelange, beharrliche Engagement Zehntausender Atomkraftgegner*innen bringt das geplante Atommüll-Lager im maroden Salzstock Gorleben zu Fall. Die Entscheidung korrigiert einen alten, eklatanten Fehler. Die des neuen Suchverfahrens aber bleiben.
« Zur Blogübersicht
Jochen Stay Profil-Bild

Jochen Stay

Jochen Stay, Jahrgang 1965, ist seit seinem 15. Lebensjahr aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, seit Wackersdorf 1985 in der Anti-Atom Bewegung und seit 2008 Sprecher von .ausgestrahlt.

blog via e-mail abonnieren
RSS-FEED
Blog als RSS-FEED abonnieren.
abonnieren »