"ASTRID ist tot" - ein schwerer Schlag für die Atom-Lobby

17.09.2019 | Jan Becker

Mit Unterstützung durch Euratom-Gelder sollte in Frankreich ein spezieller Prototyp-Reaktor gebaut werden, der als „inhärent sicher“ und „nachhaltig“ angepriesen wurde. Nun ist das Projekt tot.

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Transport eines Prototypreaktors in den 50er Jahren, USA

Bei „ASTRID” (Advanced Sodium Technological Reactor for Industrial Demonstration) sollte es sich um eine geplante Demonstrationsanlage handeln, einen prototypischen 600 Megawatt natriumgekühlten Brutreaktor der „Generation IV“. Mit ASTRID sollte „die Machbarkeit eines neuartigen Reaktorkonzeptes untersucht und demonstriert werden“, schreibt der „Wissenschaftliche Dienst“ der Bundesregierung 2018. Das Projekt werde im Rahmen von „Horizon2020-Euratom“ gefördert und befasse sich „mit Teilaspekten neuartiger Reaktorkonzepte“. Als Nachfolge-Projekt des gescheiterten Schnellen Brüters Superphénix wurde ASTRID als „inhärent sicher“, „nachhaltig“ und natürlich für den Klimaschutz „nötig“ angepriesen.

„Um die Akzeptanz der Kernenergie in der Öffentlichkeit zu verbessern und ihre zukünftige Rolle in Europa zu sichern, muss die deutlich höhere Sicherheit neuer Reaktoren im Vergleich zu herkömmlichen Reaktoren nachgewiesen werden“, heißt es in der Zielsetzung von ASTRID.

Im Juni 2012 waren 500 Personen an dem Projekt ASTRID unter Federführung des schweizerischen Paul Scherrer Instituts beteiligt. Bis Ende 2017 wurden rund 740 Millionen Euro investiert. Das Budget für die Jahre 2017 bis 2021 betrug 9,9 Millionen Euro aus dem Euratom-Topf. Damit stammt dieses Geld teilweise auch aus Deutschland, das trotz des Atomausstiegs weiter an der Lobbyvereinigung „Europäische Atomgemeinschaft“ (EURATOM) beteiligt ist. Erklärtes Ziel von EURATOM ist die Förderung der Atomindustrie, begründet 1957 durch die Römischen Verträge von Frankreich, Italien, den Beneluxstaaten und der Bundesrepublik Deutschland.

ASTRID sollte am Atomstandort Marcoule gebaut werden. Marcoule ist eines der größten Atomzentren Frankreichs, auf dem Gelände befinden sich drei abgeschaltete Meiler, darunter der Brutreaktor-Prototyp Phénix. Entstanden ist es in den 50er Jahren, um Plutonium für das französische Atomwaffenprogramm herzustellen. Heute handelt es sich um die nach La Hague zweitgrößte Anlage zur Behandlung von Atommüll, dort wird eine Wiederaufarbeitungsanlage und die MOX-Brennelementefabrik „MELOX“ betrieben. Die MELOX liefert die umstrittenen Plutonium-Uran-Brennelemente auch nach Deutschland.

Über den Bau des ASTRID-Reaktors sollte ursprünglich 2020 entschieden werden, 2025 ein erster Prototyp in Betrieb gehen. Ende August veröffentlichte das französische Kommissariat für Atomenergie und alternative Energien (CEA) allerdings, dass „ein Prototyp kurz- und mittelfristig nicht geplant“ sei. Stattdessen wolle man sich „in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts“ wieder damit befassen. Mit anderen Worten: Das Projekt ist tot.

„Generation IV“ - schöne neue Reaktorwelt?

Reaktorkonzepte der „Generation IV“ sollen die ungeliebte Atomkraft wieder salonfähig machen. „Sicher, sauber, billig“ lautet das Versprechen. Dazu gehört der schnelle Brüter, der statt Wasser brennbares Natrium im Kühlkreislauf hat. Sein Prototyp in Kalkar ging wegen schwerwiegender Sicherheitsprobleme nie in Betrieb, heute ist es die teuerste Bauruine Deutschlands. Der französische Schnellbrüter „Superphénix“, gelistet als kommerzieller Reaktor, lag in seinen elf Betriebsjahren die meiste Zeit still.

Bis heute gibt es kein einziges funktionierendes AKW der Generation IV. Die immensen materialtechnischen Probleme der meisten Reaktortypen sind völlig ungelöst. Mit dem Ende von ASTRID ist ein weiterer Versuch gescheitert, der Atomenergie neues Leben einzuhauchen.

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Quellen (Auszug): infosperber.ch, de.wikipedia.org, bundesregierung.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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