Zurück auf Los?
Reaktorkonzepte der „Generation IV“ sollen die ungeliebte Atomkraft wieder salonfähig machen. „Sicher, sauber, billig“ lautet das Versprechen. Tatsächlich lösen die Nuklearvisionen keines der zahlreichen Atom-Probleme. Und die meistgehypten neuen AKW-Modelle liefern sogar Rohstoff für Atombomben frei Haus
Der Präsident des deutschen Atomforums nahm kein Blatt vor den Mund. Deutschland, forderte Ralf Güldner unlängst auf einem Treffen der Atombranche, müsse sich auch nach Abschalten des letzten AKW weiter „an der Reaktorentwicklung beteiligen“. Reaktorentwicklung? Neue Reaktoren? Geht das alles nochmal los?

Es gibt nicht wenige, die genau daran glauben. Magazine und Fernsehsender berichten darüber. Über Startups, die Reaktoren planen. Über Atomkraft ohne Atom-Probleme. Keine Gefahr, kein gefährlicher Müll, keine horrenden Kosten, dafür ganz viel Energie. Dank der neuen wellenkugeldualfluidbrüterflüssigsalzmolekularen Superdupermeiler „Generation IV“. Es sind dieselben Versprechungen, welche die Atomlobby schon in den 1950er-Jahren machte. Tatsächlich war die erste Generation der Atommeiler von alldem weit entfernt, die zweite – die heute laufenden Reaktoren – ebenso: Tschernobyl und Fukushima lassen grüßen. „Generation III“, zu der etwa der „Europäische Druckwasserreaktor“ EPR zählt, der in Finnland und Frankreich schon beim Bau wegen gravierender Sicherheitsmängel und exorbitanter Kosten für Schlagzeilen sorgt, bricht die inzwischen jahrzehntealten Versprechen noch immer. Ausgerechnet „Generation IV“ aber soll sie nun erfüllen. Jedenfalls beteuern das all jene, die auf einen neuen Atom-Boom setzen.
Alte Ideen, neu aufgelegt
Im „Generation IV International Forum“ (GIF) haben sie sich im Jahr 2000 zusammengeschlossen, 13 Staaten sind inzwischen Mitglied, darunter die USA, Frankreich, Russland, China und Großbritannien, dazu noch Euratom. Aus den unzähligen theoretisch denkbaren Reaktortypen haben sie eine Handvoll Ideen ausgewählt, die sie weiter verfolgen wollen.
Neu sind die allerdings alle nicht. Der Flüssigsalzreaktor etwa, eines der am meisten gehypten Modelle, stammt aus den 1950er-Jahren. Ziel damals war ein atomarer Flugzeug-Antrieb; so weit aber kam es nie: Erfolgsversprechender schienen auch den Atomjet-Entwickler*innen bald andere Reaktormodelle (deren gigantische Prototypen sie am Ende auf einen Parkplatz in der Wüste von Idaho verfrachteten; siehe Foto). Ein stationärer Flüssigsalzreaktor lief immerhin zwei Jahre. Danach war klar: Das Salz verursacht immense Korrosionsprobleme, zudem ist die Strahlenbelastung aufgrund der vielen Spaltprodukte hoch und es entstehen große Mengen radioaktiven Tritiums, die unaufhaltbar in die Umgebung entweichen. Die US-Regierung stoppte das Projekt.

Oder der Kugelhaufenreaktor, dessen Exemplare in Jülich und Hamm-Uentrop es mit gravierenden Störfällen zu zweifelhafter Berühmtheit gebracht haben. Nachdem ein Wiederbelebungsversuch der Technik in Südafrika scheiterte, hat nun China einen – 30 waren angekündigt – 250-Megawatt-Meiler in Bau. Aus Kostengründen haben die Konstrukteur*innen darauf verzichtet, ihn mit einer Schutzhülle (Containment) zu versehen.
Oder der schnelle Brüter, mit brennbarem Natrium im Kühlkreislauf. Sein Prototyp in Kalkar ging aufgrund schwerwiegender Sicherheitsprobleme nie in Betrieb. Die teuerste Bauruine Deutschlands beherbergt heute den Freizeitpark „Kernwasser-Wunderland“, der Strom verbraucht statt erzeugt. Der französische Schnellbrüter „Superphénix“, gelistet als kommerzieller Reaktor, lag in seinen elf Betriebsjahren die meiste Zeit still.
"Dual-Myth-Reaktor: Das Illusionskraftwerk"
Die Jünger*innen der neuen Atom-Technik ficht das alles nicht an. Bis heute gibt es kein einziges funktionierendes AKW der Generation IV, nicht mal einen Prototyp-Reaktor – bloß Skizzen, Konzepte und, ja, zwei Baustellen. Die immensen materialtechnischen Probleme der meisten Reaktortypen sind völlig ungelöst. Dennoch will etwa das US-Energieministerium bis 2050 AKW der Generation IV mit zusammen 75 Gigawatt im Land am Netz sehen – das wäre mehr als die komplette AKW-Kapazität Frankreichs.
Reaktoren vom Fließband
Noch einmal so groß soll der US-Kraftwerks-park aus „Small Molecular Reactors“ (SMR) werden, dem aktuell zweiten Branchenhype: kleine, modulare Reaktoren, die sich quasi am Fließband fertigen und dann als komplette Einheit per Schwertransport ausliefern lassen. Den bisherigen Trend der Reaktorbauer, immer größere Meiler zu konstruieren, um die Kosten zumindest einigermaßen in den Griff zu kriegen, dreht das genau um. Nicht mehr groß, sondern klein soll nun billig sein. Ob diese Rechnung wirklich aufgeht, ist zwar offen. Klar ist aber, dass sie kaum ohne nennenswerte Abstriche an Sicherheitssystemen aufgehen kann – diese sind es schließlich, die die Kosten für neue Reaktoren so in die Höhe treiben.
Erstaunlich viele Firmen kaprizieren sich auf das SMR-Modell; die britische Regierung hat gar einen millionenschweren Wettbewerb dazu ausgerufen. Sie will die Entwicklung von drei bis vier entsprechenden Reaktorkonzepten fördern und so die heimische Atomindustrie wieder exportfähig machen. Mit an Bord ist neben dem U-Boot-Reaktorbauer Rolls-Royce und einigen Atom-Startups auch ein Ableger des Urananreicherers Urenco, an dem RWE und Eon Anteile halten.
Was die Größe der modularen Anlagen angeht, ist die Spannbreite groß. U-Battery etwa, der Urenco-Ableger, plant ein mehr oder weniger autark zu betreibendes 4-Megawatt-„Mikro-AKW“, das US-Startup Nuscale hingegen ein 60-Megawatt-Modul, von dem bis zu zwölf in Serie geschaltet die Turbinen eines großen Kraftwerks antreiben sollen. In der Diskussion als modulare kleine Anlage sind alle möglichen Reaktortypen; die konkreteren Projekte jedoch sind letztlich herkömmliche Druckwasserreaktoren. Das schwimmende russische AKW Akademik Lomonosov etwa, das Ende April in See stach, ist ein Schiffsreaktor, wie er auf russischen Atom-Eisbrechern seit Jahrzehnten im Einsatz ist. Andere, wie der von NuScale geplante oder das in Bau befindliche argentinische AKW Carem‑25, sind sogenannte integrierte Meiler, bei denen etwa die Dampferzeuger und der komplette Primärkreislauf im Reaktordruckbehälter stecken, was sicherheitstechnische Vorteile bieten soll. Sowohl die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO als auch die Atomenergie-Agentur der OECD (NEA) halten jedoch fest, dass die SMR ihre angeblich besonders hohe Sicherheit und Zuverlässigkeit erst einmal im Betrieb demonstrieren müssten. Und das Öko-Institut weist in einer Studie zu den neuen Reaktorkonzepten darauf hin, dass für die sogenannten passiven Sicherheitssysteme, die ohne Energiezufuhr von außen funktionieren sollen, zunächst Methoden entwickelt werden müssen, mit denen ihre angebliche Zuverlässigkeit beurteilt werden kann – vor allem auch in Extremsituationen.
Reaktorentwicklung in Karlsruhe
Zentrum der Forschung an „Generation IV“-Reaktoren in Deutschland ist Karlsruhe: Auf dem Gelände des früheren Kernforschungszentrums unterhält die Europäische Kommission beziehungsweise Euratom ein „Joint Research Center“ (JRC) der Atomforschung. Dieses forscht unter anderem daran, wie sich Uran‑233, das in mit Thorium betriebenen Flüssigsalzreaktoren entsteht, aus dem Reaktorkreislauf entfernen lässt. Dies ist Voraussetzung für den Betrieb solcher Reaktoren, stellt aber zugleich eine immense Proliferationsgefahr dar, denn das dabei gewonnene Uran‑233 ist besonders einfach waffenfähig (siehe Interview unten).
„Wer auf Thorium setzt, kann gleich Atombomben verteilen“, drückt es Thomas Partmann aus. Der pensionierte Wissenschaftler setzt sich im „Karlsruher Bündnis gegen neue Generationen von Atomreaktoren“ dafür ein, den Schleier über der Atomforschung in Karlsruhe zu lüften und insbesondere die Gefahren der hier verfolgten Thorium-Technologie öffentlich bekannt zu machen.
Die Euphorie mancher Presseberichte über die schöne neue Reaktorwelt teilen die Autoren der Öko-Institut-Studie nicht. Zwar könnten einzelnen Konzepte in einzelnen Aspekten unter Umständen besser abschneiden als die bisherigen Reaktoren. Erkauft werde das in der Regel aber mit Nachteilen bei anderen Aspekten. Den selbst formulierten Anspruch der „Generation IV“-Verfechter*innen, Reaktoren zu entwickeln, die sicherer, sauberer und billiger sind als die bisherigen, könne jedenfalls keine der diskutierten Techniken einlösen.
Armin Simon
Dieser Artikel erschien ursprünglich im .ausgestrahlt-Magazin Nr. 40, August 2018
„Nur auf dem Papier“
Reaktorexperte Christoph Pistner über Propaganda und Realität neuartiger Reaktorkonzepte und warum auch Transmutation, selbst wenn sie je großtechnisch funktionieren sollte, das Atommüllproblem nicht löst.
Herr Pistner, neuartige Atomreaktoren, so kann man in letzter Zeit in vielen Medien lesen, sollen angeblich nicht mehr gefährlich sein und obendrein noch unseren ganzen Atommüll unschädlich machen können. Stimmt das?
Nein. Die meisten der Konzepte, die da diskutiert werden, sind eigentlich Entwicklungen, die bereits in den 1940er, 1950er, 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts diskutiert wurden. Keines dieser Systeme ist auch nur annähernd marktreif, zumeist sind sie noch nicht einmal technisch verfügbar. Und wir sehen auch überhaupt nicht, dass eines dieser Systeme alle Probleme der Atomkraftnutzung grundsätzlich lösen würde.
Der letzte Hype in dieser Richtung ist der sogenannte „Dual Fluid Reaktor“, den eine kleine Firma aus Berlin ersonnen hat …
Der gehört zu den Salzschmelze-Reaktoren – Konzepten also, die in den USA schon in den 1960er-Jahren einmal betrachtet worden sind –, mit einem kleinen Unterschied, weil er zwischen Kühl- und Brennstoffkreislauf noch unterscheidet. Detaillierte Analysen zu genau diesem Reaktorkonzept liegen uns nicht vor. Aber dass es eines wäre, das konkreter vor der Realisierung stünde oder realistischer wäre als die anderen unter dem Schlagwort „Generation IV“ diskutierten Systeme, das sehe ich nicht.
Was ist denn überhaupt von der Idee zu halten, neue Reaktoren zu nutzen, um Atommüll unschädlich zu machen?
Die Grundidee, den abgebrannten Brennstoff fein säuberlich in seine unterschiedlichen Bestandteile aufzutrennen, um dann zumindest einen Teil der langlebigen Nuklide sortenrein in geeigneten Reaktoren in kurzlebigere Nuklide zu verwandeln, ist keineswegs neu. Das Atommüll-Problem vollständig lösen wird das aber nicht.
Warum nicht?
Die Verfahren kommen typischerweise nur für einen Teil der Abfälle überhaupt in Frage. Andere, etwa die in Glaskokillen eingeschmolzenen hochradioaktiven Rückstände aus der Wiederaufarbeitung und die in den abgebrannten Brennstoffen enthaltenen langlebigen Spaltprodukte, bleiben außen vor. Ein tiefengeologisches Atommüll-Lager wird also durch Transmutation in keinem Fall überflüssig. Auch wird es sowohl bei der Auftrennung des Mülls als auch der Umwandlung im Reaktor immer technologische Verluste geben.
Das bedeutet?
Dass am Ende selbst von den Bestandteilen des Atommülls, die ich auf diese Weise eliminieren will, noch ein relevanter Anteil übrig bleiben dürfte. Denn die Effektivität solcher Verfahren ist noch völlig offen – alle diese Technologien existieren nur auf dem Papier oder bestenfalls im Labormaßstab.
Für die Auftrennung des Atommülls wären in jedem Fall Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) nötig – die dreckigsten und gefährlichsten Atomanlagen, die wir kennen. Atomkraft-Fans preisen nun ein neues Verfahren, angeblich unter anderem erforscht mit Mitteln des Wirtschaftsministeriums.
Auch das ist keine neue Idee: Die bisher üblichen wässrigen Wiederaufarbeitungsverfahren arbeiten schlicht nicht trennscharf genug. Die angedachten elektrochemischen Verfahren aber, das muss man ganz klar sagen, existieren noch nicht. Im kerntechnischen Bereich sind sie bisher noch nirgendwo großtechnisch eingesetzt worden. Es gibt theoretische Untersuchungen und kleine Versuche im Labormaßstab, aber nicht mal eine Prototyp-Anlage.
Die hochradioaktiven Stoffe müssten, um sie auf diese Weise zu trennen, in heiße, aggressive Chlorsalze umgewandelt werden – klingt nicht gerade ungefährlich.
Aus guten Gründen gibt es das ja für radioaktive Abfälle bisher auch nicht. Wenn man gerade die besonders radiotoxischen Stoffe großtechnisch abtrennen will, muss man auch mögliche Unfallgefahren genauestens untersuchen, um zu sehen, wo schwere Unfälle möglich sind. Dies gilt für die Trenn-Verfahren, aber natürlich vor allem auch für die Transmutationsreaktoren.
Neben bisher nur auf dem Papier existierenden Reaktorkonzepten verweisen Atomlobbyist*innen dafür gern auf sogenannte „schnelle Brüter“.
Auch die als schnelle Brüter bezeichneten Reaktoren sind keine kommerziell verfügbare und etablierte Technologie, schon gar nicht als Transmutationsreaktor. Selbst das „Generation-IV-Forum“ sieht in seinem 2018 durchgeführten letzten Update zum Forschungs- und Entwicklungs-Bedarf noch erheblichen Entwicklungsaufwand.
Wie erklären Sie sich, dass die Idee solch angeblicher Wunderreaktoren medial gerade wieder so viel Widerhall findet?
So eine Welle an Schlagzeilen kommt leider immer wieder: Anfang der 2000er war das so, dann Anfang der 2010er und jetzt eben wieder. Die tatsächlich erzielten Fortschritte bei der Entwicklung der Reaktorkonzepte allerdings sind jeweils relativ gering.
Interview: Armin Simon