„Mikro-Meiler“ - made in Germany

21.12.2021 | Jan Becker
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Foto: klimaalarm-ms.de

„Mikro“ klingt sehr klein und sehr harmlos. Die Pläne der Atomlobby, die ganze Welt mit „kleinen Atomreaktoren“ zu überziehen, sind es aber überhaupt nicht. Ausgerechnet im westfälischen Gronau wird wohl an solchen Konzepten gearbeitet – und damit der deutsche Atomausstieg untergraben.

Unser Atomausstiegs-Fahrplan wurde kürzlich erst wieder von der neuen Bundesumweltministerin Steffi Lemke bekräftigt: Er sei „unumkehrbar“, in einem breiten Konsens beschlossen, wird von der Bevölkerung begrüßt, ein „großer Erfolg für den Schutz von Mensch und Umwelt“ und mache das Land sicherer.

In Gronau wird offenbar an dem Gegenteil gearbeitet. Einerseits reichert der Konzern Urenco dort täglich und zeitlich unbefristet Uranbrennstoff für die Herstellung von Brennelementen an. Andererseits soll dort Forschung an neuen „Reaktorkonzepten“ betrieben werden, berichtete der neue Geschäftsführer von Urenco Deutschland, Dr. Jörg Harren, in einem Interview in den Gronauer Nachrichten vom 4. Dezember. Es handle sich dabei um „Uranbatterien und mikromodulare Reaktoren“, die unter anderem in der Industrie, im Bergbau und „an entlegenen Standorten“ eingesetzt werden könnten.

Urenco baut also nicht „small“, sondern „mikro“ - das klingt noch harmloser. Ist es aber gar nicht: sollte (!) dem Klimawandel ernsthaft mit diesen „Mini“ oder „Mikro“-Kraftwerken begegnet werden, bräuchte es davon (zehn-)tausende, die über die ganze Erde verteilt gebaut werden müssten. Auch wenn das Risiko schwerer Unfälle durch geringeren Leistung und damit verbunden niedrigeren Brennstoffgehalt gegenüber den „großen“ Atomkraftwerken reduziert werden könnte, dann wird die Gefahr des Missbrauchs von Atombrennstoff allgegenwärtig.

Aber wie auch immer, ob „small“ oder „mikro“: Mit dieser Atomforschung beteiligt sich die Urenco in Gronau konkret an der Vorbereitung zum Bau neuer Reaktoren weltweit, das mahnen eine Reihe von Anti-Atom-Organisationen an. Bislang seien AKW-Pläne von Urenco in Großbritannien, den Niederlanden, den USA und Kanada bekannt geworden. Die Gronauer Beteiligung daran sei aber neu. Urenco untergrabe so den Atomausstieg in Deutschland, warnt das Gronauer BBU-Vorstandsmitglied Udo Buchholz. NRW-Landes- und Bundesregierung müssen Urenco „klare Grenzen aufzeigen“, fordert er.

Die Konzepte sind gar nicht neu

Insbesondere im Zusammenhang mit dem Vorstoß Frankreichs, Atomenergie in das EU-Nachhaltigkeitsprogramm („Taxonomie“) aufzunehmen, wird breiter über die „neuen Mini-Meiler“ diskutiert. Neu ist daran nichts, außer die neue Debatte.

Urenco zum Beispiel arbeitet seit 2008 an der Entwicklung der „U-Battery“, ein auf 4 Megawatt ausgelegter „SMR“ für den Einsatz in „abgelegenen Gebieten“. Ein Prototyp soll angeblich 2028 in Kanada in Betrieb gehen. Die Idee, mit diesen „kleinen Meilern“ dem Klimawandel zu begegnen, ist noch nicht so alt wie die militärischen Interessen daran. Manche SMR-Hersteller werben neben U-Boot-Antrieben gar für ein per Tieflader transportables Atomkraftwerk, das Kriegstruppen mit Energie und Wärme versorgen solle. Eine wahnwitzige Idee, ausgerechnet mit einem Reaktor auf ein Schlachtfeld zu ziehen...

Dass solche Ideen eigentlich schon in der Frühzeit der Atomenergie entstanden, davon berichtet Christoph Pistner vom Öko-Institut Freiburg im Deutschlandfunk. Auch in den 50er-, 60er-Jahren gab es Entwicklungen zu mobilen Atomreaktoren, die zum Beispiel für den Antrieb von Schiffen oder gar von Flugzeugen gedacht waren. Auch in den 80er-Jahren seien die SMR wieder in der Diskussion gewesen – doch die Ansätze seien immer wieder mangels Wirtschaftlichkeit gescheitert. Heute seien sie eben als „Retter“ des Klimas wieder da – und als Retter der Nuklearbranche, so Pistner.

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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