Atomausstieg: Da fehlt noch was

12.12.2019 | Jan Becker

Mit der endgültigen Abschaltung des AKW Philippsburg-2 zur Jahreswende geht es mit dem deutschen Atomausstieg zwar voran. Dennoch fehlt noch viel - zwei Beispiele.

Belgien / Tihange: Menschenkette Juni 2017
Foto: publiXviewing.de
Protestaktion gegen den Weiterbetrieb der AKW

Die Katastrophe von Fukushima brachte bekanntlich die Wende: Es wurde ein neuer Atomausstieg vereinbart, bis Ende 2022 sollen die letzten Atomreaktoren vom Netz sein. Die Forschungsreaktoren wurden bei dieser Vereinbarung jedoch ausgeklammert.

Zählt man Umbauten und kleinere Versuchsanordnungen mit, dann umfasst die Liste 45 Forschungsreaktoren, die in Deutschland betrieben wurden - oder werden. Der erste stand bis zur Entlassung aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes am 19.09.2019 im sächsischen Kernforschungszentrum Rossendorf, zwischen 1956 bis 1991 in Betrieb.

In den 60/70er Jahren war es üblich, dass sich Universitäten einen kleinen „Unterrichtsreaktor“ in den Keller stellten, davon gab es einmal zwölf Stück. In Betrieb sind davon noch vier: in Dresden, Stuttgart, Furtwangen und Ulm. Größere Forschungsreaktoren befinden sich in Garching bei München (FRM-II) und in Mainz. Am Mittwoch (11.12.19) wurde der BER-II in Berlin endgültig abgeschaltet. Insgesamt sind derzeit damit noch sechs Forschungsreaktoren in Betrieb, die Atommüll produzieren und ein Risiko für die Bevölkerung darstellen.

Doch nicht nur das Ausklammern vom Atomausstieg ist Grund für Kritik: Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace weiß, dass die „Forschung das gesteigerte Interesse der 1950er und 1960er Jahre an Atomkraft längst verloren habe“. Für Foschungsreaktoren werde Geld verschwendet, da die „Forschung an Reaktoren auf alten Konzepten basiere“. Es gebe andere Möglichkeiten, mit Neutronen zu forschen oder Materialforschung zu betreiben, so Smital.

Klare Stellungnahme fehlt

Es fehlt dieser Tage auch eine klare Stellungnahme der neuen EU-Ratsvorsitzenden Ursula von der Leyen, bekanntlich aus Deutschland, die gemeinsam mit uns allen aus der Nutzung der Atomenergie aussteigt.

Zwischen den EU-Staaten gibt es Streit um eine einheitliche Definition für „nachhaltige Finanzprodukte“. Frankreich, Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Rumänien und Bulgarien wollen durchsetzen, dass Atomkraft als „nachhaltig“ eingestuft wird - und so im Kontext von Klimaschutz und Energiewende massiv subventioniert werden dürfte. Viele der genannten Länder wollen neue AKW bauen, was sich aber nur mit staatlichen Zuschüssen überhaupt rechnet.

Die Entscheidung über die Einstufung der Atomkraft wurde nun auf später verschoben. Parallel strebt Ursula von der Leyen einen „Green Deal” an, der „Klima und Umwelt schützen“ soll. Bis 2050 soll demnach die Europäische Union „klimaneutral“ werden. Im Zentrum dafür stehen massive Investitionen in „nachhaltige Finanzprodukte“ - dazu gehören auch neue Kraftwerke.

„Ich sehe die große Gefahr, dass Atomkonzerne versuchen werden, die nun zur Verfügung stehenden Fördermittel in Milliardenhöhe zu nutzen, um ihre wirtschaftlich unrentablen Kraftwerkspläne doch noch zu realisieren“, warnt etwa der Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch (SPD).

Mit einem unmissverständlichen Bekenntnis zur Politik im eigenen Land, nämlich der Abschaltung der Atomkraftwerke, muss sich Frau von der Leyen der Atomlobby mit aller Macht entgegenstellen. „Nachhaltig“ sind ausschließlich Erneuerbare Energien und nicht Reaktoren, die Atommüll produzieren, uns dem Risiko schwerer Atomkatastrophen aussetzen und dem effektiven Klimaschutz gar nicht nützen können.

 

weiterlesen:


  • 19.11.2019 - Während die Atomlobby die Illusion von neuen Meilern predigt, hat diese Ansage Gewicht: Die weltgrößte Ratingagentur Standard and Poor’s Corporation (S&P) rät dem Finanzmarkt von Investitionen in den Ausbau der Atomenergie ab.


  • 08.08.2019 - Eine aktuelle Berechung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die absolute Bankrott-Erklärung für alle Atomkraftwerke. Die Meiler dienen weder dem Klimaschutz noch laufen sie, um Energie herzustellen.


  • 26.06.2019 - Eine Studie der Schweizerischen Energie-Stiftung zeigt „klare Nachteile gegenüber neuen erneuerbaren Energien wie der Photovoltaik“ auf: Der Ausbau der Atomenergie für wirkungsvollen Klimaschutz wäre zu teuer, dauert zu lange und würde eine massive staatliche Unterstützung benötigen.

  • „Jeder Tag mehr kostet die Gesellschaft Geld“
    20.06.2019 - Interview | Der Wirtschaftswissenschaftler Christian von Hirschhausen über die Laufzeiten von AKW, über Kohlefans, die für Atomkraft werben, und über effektiven Klimaschutz.

  • Atom-Fans wittern Morgenluft - Atomkraft? Nicht schon wieder!
    Seit einigen Monaten erleben wir, dass die Atom-Fans angesichts der Klima-Debatte Morgenluft wittern. Zwar sind Atomkraftwerke denkbar ungeeignet für den nötigen radikalen Umbau des Energiesystems. Aber das scheint die Pro-Atom-Fraktion nicht zu stören.

  • Warum die Atomkraft keine Option für den Klimaschutz ist
    08.02.2019 - Die Diskussion um Klimawandel und Kohleausstieg bringt auch diejenigen wieder auf den Plan, die es für eine gute Idee halten, mit Atomkraftwerken das Klima zu retten. Doch das klappt weder durch Neubauten noch durch Laufzeitverlängerungen der alten Reaktoren. Die Atom-Option ist zu langsam, viel zu teuer, und mit einem modernen Stromsystem nicht vereinbar.

Quellen (Auszug): atommuellreport.de, deutschlandfunknova.de, faz.net, ejz.de, watson.de

« Zur Blogübersicht
Jan Becker Profil-Bild

Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

blog via e-mail abonnieren
RSS-FEED
Blog als RSS-FEED abonnieren.
abonnieren »