Atomkraft? Nicht schon wieder!

06.06.2019 | Jochen Stay

Seit einigen Monaten erleben wir, dass die Atom-Fans angesichts der Klima-Debatte Morgenluft wittern. Zwar sind Atomkraftwerke denkbar ungeeignet für den nötigen radikalen Umbau des Energiesystems. Aber das scheint die Pro-Atom-Fraktion nicht zu stören.

In den letzten Tagen und Wochen werden die Stimmen pro Atom aus Politik, Wirtschaft und Medien immer lauter und prominenter. Hier eine kleine Zusammenstellung:

Laut der „Zeit“ zeigt sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) verhalten offen für eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke. Deutschland sollte "ein bisschen vorsichtig sein, wenn wir meinen, wir müssten es anders machen als alle anderen". VW-Chef Herbert Diess meint: „Wenn uns der Klimaschutz wichtig ist, sollten die Kernkraftwerke länger laufen.“ Der „Schrauben-Milliardär“ Reinhold Würth erklärt in einem Titel-Aufmacher der Bild-Zeitung: „Auch die Rückkehr zur Atomkraft muss eine Option sein.“ Der konservative CDU-Zweig „Werte-Union“ fordert „angesichts des drohenden Scheiterns Deutschlands bei der Erreichung der Klimaziele und der immer weiter steigenden Energiepreise bei sinkender Versorgungssicherheit eine Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken. Dadurch kann der geplante Kohleausstieg deutlich vorgezogen werden.“ Ähnlich die neue Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrats, Astrid Hamker: Sie kritisiert den Atomausstieg als „Kurzschlussreaktion“ und meint: „Es ist keinem zu erklären, warum Deutschland seine weltweit sichersten Atomkraftwerke abschaltet und dann Atomstrom aus dem Ausland einkauft. Ein Fehler ist auch, einen Atomausstieg und einen Kohleausstieg durchzuziehen.“ Wolfgang Reitzle, früher BMW-Chef und jetzt Aufsichtsratsvorsitzender des DAX-Konzerns Linde und Aufsichtsratsmitglied bei Axel Springer meint: „Die Kernenergie sollte weiter Bestandteil unserer Energiepolitik bleiben, weil nur sie grundlastfähig, billig und CO2-frei ist.“ Der nationale Alleingang habe Deutschland „in eine sündteure Sackgasse geführt“. Heute nennt die Bild-Zeitung in einem Kommentar den Atomausstieg „Hysterie statt Politik“ und hält ihn für „klimapolitisch falsch“. Und der Spiegel lässt in letzter Zeit immer öfter Pro-Atom-Aktive zu Wort kommen …

So, jetzt höre ich mal auf, bevor es Dir beim Lesen schlecht wird. Obwohl, eines muss ich noch loswerden: Ein Aktivist, der bei Demonstrationen engagiert Unterschriften gegen Atomkraft sammelt, schrieb mir die Tage: 

„Was mir aber sehr schwer zu schaffen macht: die Restituierung der Pro-Atomkraft-Lobby, die Zunahme der Atomkraft-Befürworter auch unter den Klima-AktivistInnen und damit die drohende potenzielle Spaltung unserer Umweltbewegung. Das wäre in meinen Augen der Super-Gau! Ich habe in den letzten Wochen auch mit SchülerInnen und StudentInnen, die auf die Straße gehen, gesprochen und immer wieder die These gehört, für sie käme Atomkraft als (vermeintlich) CO2-neutrale und saubere Technologie als Option in Frage, wenn dadurch auf die Verbrennung fossiler Energieträger verzichtet werden könne. Ich höre genau die Argumente, wie sie seit Jahrzehnten vom Deutschen Atomforum in Hochglanzmaterial propagiert werden: von der sauberen Atomenergie als Klimaretter bis zur Unverzichtbarkeit von Atomstrom wegen der ‚Stromlücke‘.“

Nun hat der Tagesspiegel gestern gemeldet, die AKW-Betreiber hätten gar kein Interesse an Laufzeitverlängerungen. Er schreibt: „Das neue Firmenmotto der Stromversorger lautet: Atomkraft - nein danke!“, denn „übereinstimmend lehnen die drei Betreiber Eon, RWE und EnBW (…) den Vorschlag ab, aus Klimaschutzgründen und wegen des Kohleausstiegs die Laufzeiten über 2022 hinaus zu verlängern. Sie sind nicht einmal bereit, sich auf eine Diskussion darüber einzulassen.“ In der Bild-Zeitung von heute klingt das schon verhaltender: „Wir nehmen diese Stimmen natürlich mit Interesse zur Kenntnis“, heißt es von der Eon-Atom-Tochter PreussenElektra. Der Atom-Ausstieg bleibe aber „gesetzlich fixiert“.

Ich bewerte das so: Für die Stromkonzerne wäre es viel zu riskant, sich jetzt mit Forderungen nach Laufzeitverlängerungen aus der Deckung zu wagen. Sie warten lieber ab, wie sich die gesellschaftliche Debatte weiter entwickelt. Spannend wird es ja erst dann, wenn sie aus der Politik gebeten werden sollten, doch noch länger mit ihren AKW Geld zu verdienen. Denn der Tagesspiegel schreibt auch: „Laufzeitverlängerungen wären rein ökonomisch betrachtet wohl hochattraktiv.“ So würde etwa das Atomkraftwerk Isar 2 bei einem Strompreis von derzeit knapp fünf Cent pro Kilowattstunde, dem derzeitigen Großhandelsniveau, jährliche Erlöse von etwa 500 Millionen Euro erzielen können. Und: „Durch die Verknappung des Angebots auf dem Strommarkt aufgrund des Kohleausstiegs könnte die Profitabilität in Zukunft noch ansteigen.“

Man kann die Positionierung der AKW-Betreiber auch als Aufforderung an alle Anti-Atom-Aktiven verstehen, alles dafür zu tun, dass sie von ihrer jetzt geäußerten Haltung nicht mehr abweichen. Denn ich denke, dass genau dies jetzt nötig ist: Gegen die wachsende Pro-Atom-Stimmung anzugehen. Mit Leser*innenbriefen, Kommentaren auf Webseiten und in den sozialen Medien, Verteilen von Flyern, Diskussionen im persönlichen Umfeld und auf der nächsten Klimademo (auf die Du auch unbedingt Deine Anti-Atom-Fahne mitnehmen solltest).

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Dieser Text erschien ursprünglich als .ausgestrahlt-Newsletter am 06.06.2019

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Jochen Stay

Jochen Stay, Jahrgang 1965, ist seit seinem 15. Lebensjahr aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, seit Wackersdorf 1985 in der Anti-Atom Bewegung und seit 2008 Sprecher von .ausgestrahlt.

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