Das wird ein zweites Żarnowiec

13.09.2021 | Jan Becker
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Foto: Michał Kotas / wikimedia

Es ist riskant, unwirtschaftlich und hilft nicht, das Klima zu schützen. Polen will trotzdem Atomkraftwerke bauen. Diese Idee ist nicht zum ersten Mal gescheitert.

Um die vereinbarten Klimaschutzziele zu erreichen, setzt Deutschland vor allem auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. Beschlossen ist auch, dass das letzte Atomkraftwerk Ende 2022 endlich abgeschaltet wird. Die polnische Klimastrategie sieht hingegen vor, dass bis 2040 (also in den kommenden 20 Jahren!) mehrere Atomkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 6.000 bis 9.000 Megawatt (MW) gebaut werden sollen. Der erster Meiler mit einer Leistung von bis zu 1.600 MW soll schon 2033 in Betrieb gehen. Dabei handelt es sich dann um die größten, derzeit auf dem Markt erhältlichen Modelle, etwa den Europäischen Druckwasserreaktor EPR. Dessen französischer Hersteller EDF weihte kürzlich symbolträchtig im Beisein hoher diplomatischer Vertreter beider Länder eine neue Dependance in der polnischen Hauptstadt Warschau ein. Beim US-Konkurrenten Westinghouse laufen angeblich schon „konkrete Planungen“, es gebe ein „vorläufiges Abkommen“ über die Lieferung von sechs Reaktorblöcken, das kurz vor der Abwahl des ehemaligen US-Präsidenten Trump zustande gekommen war.

Nachdem lange Ungewissheit zur Standortfrage herrschte, werden jetzt Lubiatowo-Kopalino und das geschichtsträchtige Żarnowiec favorisiert. Beide befinden sich in unmittelbarer Nähe zueinander unweit der Ostsee, 50 Kilometer nordwestlich von Danzig, wo eine halbe Million Menschen leben. Bis Berlin sind es keine 500 Kilometer, bis zur Grenze knappe 150 Kilometer. Im Falle eines Reaktor-GAUs würden Teile Deutschlands radioaktiv verseucht, GAU-Szenarien gehen von 1,8 Milllionen Menschen aus, die im ungünstigsten Fall evakuiert werden müssten. Es soll bislang weder eine Folgenabschätzung für die Umwelt im Nachbarland Deutschland noch einen Plan für eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung geben.

In Żarnowiec befindet sich die Ruine des ersten Versuchs, in Polen ein AKW zu errichten. Die Pläne reichen in die 1970er Jahre zurück, der Bau von zwei Kraftwerksblöcken begann 1982 und wurde nach Tschernobyl gestoppt. Danach gab es immer wieder Versuche für einen Neustart. Nach massiven Protesten kam es 1989 zu einer Überprüfung des Vorhabens, die Ergebnisse - wie eine unzulässige Erhöhung der Temperatur des Kühlwassersees - unterstrichen das endgültige Aus. 2007 nahm die Regierung unter Premierminister Tusk die atomaren Pläne wieder auf, 2010 hieß es, das erste Atomkraftwerk solle 2022 in Betrieb gehen, das zweite 2023.

Kürzlich haben auch noch zwei der reichsten Männer Polens, Michał Sołowow und Zygmunt Solorz-Żak, angekündigt, eigene Atompläne zu verfolgen. Es sei ein Joint Venture beschlossen worden, um in Zentralpolen „auf Basis der modernsten und sichersten amerikanischen Technologien“ vier bis sechs kleine „Small Modular Reactors“ (SMR) zu bauen. „Wir brauchen billige und saubere Energie“, so Solorz-Żak laut BILD-„Zeitung“.

Polen hängt erheblich von fossilen Brennstoffen ab, etwa 70 Prozent des Stroms stammt aus Kohle. Das soll sich bis 2049 grundlegend ändern. Doch erneuerbare Energien etablieren sich deutlich langsamer als in Deutschland. Polen will die atomare Strategie – und setzt dabei auf Bündnispartner in Europa. Die EU entwickelt aktuell eine „Taxonomie": Kriterien, anhand derer die Nachhaltigkeit von künftigen Finanzinvestitionen bestimmt werden soll. Es geht um sehr viel Geld und eine Weichenstellung. Auch Atomkraft könnte als nachhaltig klassifiziert werden, wenn sich die entsprechenden politischen Kräfte und Lobbygruppen – darunter Polen - durchsetzen. Eine Entscheidung wurde mehrfach verschoben und steht weiter aus, denn der Gegenwind aus ganz Europa ist gewaltig.

Absage vom Finanzmarkt

Vor knapp zwei Jahren schon hat die weltgrößte Ratingagentur Standard and Poor’s Corporation (S&P) dem Finanzmarkt von Investitionen in den Ausbau der Atomenergie abgeraten: Die globale Atomindustrie stehe vor Herausforderungen im Zusammenhang mit Sicherheitsbedenken, der Verschärfung der Vorschriften nach Fukushima, der Ausstiegspolitik in mehreren Ländern, der Alterung der Anlagenbestände, den zunehmend volatilen Energiemärkten und dem Wettbewerb mit erneuerbaren Energien. „Wir sehen wenig wirtschaftliche Gründe für neue nukleare Bauten in den USA oder Westeuropa, da massive Kostensteigerungen und die Kostenwettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien zu einem wesentlichen Rückgang der nuklearen Stromerzeugung bis 2040 führen sollten“, erklärte S&P.

Eine Investition in ein Atomkraftwerk sei „stets privatwirtschaftlich unrentabel, egal welche plausiblen Werte für den zukünftigen Strompreis, die spezifischen Investitionen und die Kapitalkosten angenommen werden“, urteilte im August 2019 das Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Das Forum Nachhaltige Geldanlagen e.V. (FNG), dass über 220 Mitglieder aus der nachhaltigen Finanzwirtschaft repräsentiert und sich seit 20 Jahren für Wachstum, Transparenz und Qualitätssicherung nachhaltiger Geldanlagen einsetzt, warnte kürzlich in einem offenen Brief: Die Klassifizierung von Atomkraft als „nachhaltige Energieerzeugung“ gefährde die Erreichung des Ziels des EU-Aktionsplans Finanzierung nachhaltigen Wachstums und der EU-Strategie zur Umlenkung von Finanzströmen in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. Nicht erst seit Fukushima stehe Atomkraft im Widerspruch zur Nachhaltigkeit – und müsse in der EU-Taxonomie ausgeschlossen werden.

Absage an Klimaschutz

Ein kürzlich von zahlreichen deutschen NGOs veröffentlichtes „Positionspapier gegen Klimascheinlösungen“ bringt es auf den Punkt: Auch wenn die CO2-Emissionen durch Atomkraft im Vergleich zu fossilen Energieträgern geringer sind, überwiegen bei dieser Technologie die Nachteile und Risiken. Kein Land der Erde hat bisher ein „Endlager“ für Atommüll in Betrieb genommen. Risiken sind Reaktorunfälle, die Möglichkeit, der Nutzung von Spaltprodukten für Atomwaffen, sowie die lokalen Belastungen durch den Uranbergbau, die vor allem Menschen im globalen Süden und indigene Gemeinschaften betreffen.

Warum uns die Atomkraft in der Klimakrise nicht hilft, beantwortet auch ein aktueller Beitrag des Medienmagazins FAKT. Die jahrzehntelange atomare Stromerzeugung wird uns noch viele Jahre belasten und hinterlässt einen immensen Aufwand und Kosten für die kommenden Generationen.

Absage an „Small Modular Reactors“

Eine klare Absage an „kleine, modulare Reaktoren“, die unter anderem von Bill Gates erforscht werden, erteilt Mycle Schneider, der jährlich den World Nuclear Industry Status Report herausgibt. Bill Gates biete „Powerpoint-Reaktoren an und die Welt kauft“, so Schneider. Die sogenannten Small Modular Reactors (SMR) seien nicht neu, mit solchen kleinen Modellen fing die Geschichte der Atomkraft überhaupt an. Gates habe seine Atomfirma 2008 gegründet und habe bis heute nichts vorzuweisen, kein Prototyp, kein genehmigtes Design, nicht einmal ein Design im Genehmigungsverfahren irgendwo auf der Welt. Für solche Fantasiegebilde habe die Erde keine Zeit. Beim Klimaschutz gehe es um die Frage, wie man „so schnell und günstig wie möglich den Ausstoß von CO2 verringern kann“, so Schneider in der ZEIT. Es sei deshalb „bedeutungslos, wenn ein sehr teures Atomkraftwerk in 20 Jahren CO2-Ausstoß vermeidet. Wir können die Treibhausgasemissionen viel schneller und billiger reduzieren“.

Der Bau von Atomkraftwerken dauert Jahre. Ökostrom hilft dem Klima sofort

Greenpeace Energy hat vor zwei Jahren in einer Studie belegt, dass Investitionen in die erneuerbare Stromerzeugung Polens bei gleicher Versorgungssicherheit günstiger wären als der Bau eines neuen Atomkraftwerkes. Würden Nachbarn wie Polen und Tschechien zusammenarbeiten, „könnten die Kosten weiter sinken“.

Eine Bevölkerungsmehrheit für den Ausbau der Atomkraft gibt es in Polen aktuell nicht: In Meinungsumfragen sprechen sich trotz aller staatlichen Werbekampagnen seit Jahren konstant knapp 50 Prozent dagegen aus.

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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