„Da kann immer mal etwas passieren“

04.12.2019 | Jan Becker

Während der Papst an der „Sicherheit“ des AKW-Betriebs zweifelt und die Abschaffung der Atomwaffen fordert, wollen führende Politiker*innen der Christlich Demokratischen Union die Laufzeitverlängerung für alte Meiler.

Windkraft-Anlage mit Anti-Atom-Fahnen
Foto: Andreas Conradt / PubliXviewinG

Zweifel an der „Sicherheit“ der Atomkraftwerke äußerte Papst Franziskus kürzlich bei seinem Besuch in Japan. Bei einem Treffen mit Opfern der Atomkatastrophe von Fukushima stellte er die Nutzung von Atomenergie generell in Frage: „Da kann immer mal etwas passieren, das habt ihr doch erlebt“, sagte er zu einem japanischen Fragesteller. Außerdem mahnte er mehr Hilfe für die Opfer der Katastrophe an. Die Verantwortlichen würden den „Eindruck der Normalität“ vermitteln, etwa durch die Austragung der Olympischen Spiele. Doch Bewohner*innen fühlen sich „vergessen, obwohl sie weiter mit verseuchten Böden und Wäldern sowie den langfristigen Verstrahlungsfolgen leben müssen“.

Papst Franziskus besuchte zudem den Schauplatz des ersten Atombombenabwurfs. Hunderttausende Menschen kamen am 6. August 1945 ums Leben, als ein US-Bomber den tödlichen „Little Boy“ über der Stadt Hiroshima abwarf. Der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken sei „heute mehr denn je ein Verbrechen“, sagte der Papst am zentralen Gedenkort, der „Atombombenkuppel“: „Der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken ist unmoralisch, wie ebenso der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist, wie ich schon vor zwei Jahren gesagt habe. Wir werden darüber gerichtet werden!“ Der Einsatz von Atomwaffen sei eine „menschliche Grausamkeit“. Der Papst schlug vor, deren Abschaffung in den Katechismus (die Lehre der Katholiken) aufzunehmen.

Exkurs: Zivile und militärische Nutzung der Atomenergie lassen sich nicht eindeutig trennen. Noch immer ist die Option auf die Atombombe einer der bedeutendsten Gründe, warum Staaten auf die zivile Nutzung der "Kernenergie" setzen. - mehr erfahren

 

CDU für Laufzeitverlängerung

Aus der „Christlich Demokratischen Union“ (CDU) gibt es andere Töne: Der langjährige CDU-Politiker und scheidende EU-Kommissar Günther Oettinger fordert einen „offeneren Umgang mit Atomenergie“. Offizielle Ämter für die christliche Partei bekleidete er seit über 35 Jahren. Eine wesentliche Rolle als Fürsprecher der Atomkraft spielte er 2005 bis 2010 als Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, das am Betreiber EnBW der AKW Neckarwestheim und Philippsburg beteiligt ist. Oettinger äußerte sich sehr positiv zu den Laufzeitverlängerungen 2010 und wurde auch als Kommissar für Energie im Europäischen Parlament (2010-2014) nicht müde, Atomenergie zu unterstützen.

Er würde den deutschen Ausstieg zwar „respektieren“, glaube aber, „dass auf der Welt so viel Strom gebraucht wird, dass man im Grunde genommen nicht kategorisch auf irgendeine Technik verzichten wird können“, so Oettinger kürzlich.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet kritisierte vor einiger Zeit bereits Umweltverbände, dass sie hinsichtlich des Klimaschutzes „falsche Prioritäten“ setzen würden. Jetzt erneuerte er seine Kritik: Die „Reihenfolge“ bei Atom- und Kohleausstieg sei „falsch“ gewesen.

38 von 96 EU-Parlamentariern aus Deutschland, darunter die drei niedersächsischen CDU-Abgeordneten David McAllister, Lena Dupont und Jens Gieseke haben im Schulterschluss mit AfD und FDP dafür gestimmt, Atomkraft als „nachhaltigen Energieträger“ zu deklarieren und damit den Weg frei zu machen für entsprechende Förder- und Forschungsmittel der europäischen Atomgemeinschaft EURATOM.

„Wir fragen uns, ob Sie mit Ihrem Abstimmungsverhalten eher den auf Initiative Ihrer Kanzlerin zustande gekommenen Ausstiegsbeschluss des Deutschen Bundestages konterkarieren oder aber die gegenwärtige Endlagersuche effektiv torpedieren wollten“, heißt es von Seiten der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg.

Stimmungstests

Thomas Bareiß, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und seit Dezember 2018 Mitglied des CDU-Bundesvorstand, wird in seinen Absichten subtiler: Der Ausstieg aus der Atomkraft habe in Baden-Württemberg zu 7 Terawattstunden (TWh) Stromimporten aus Frankreich geführt, beklagt er.

Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group (EWG), rät in diesem Zusammenhang zu „höchster Wachsamkeit“, u.a. seien solche falschen Aussagen 2009 Wegbereiter für die schwarz-gelben AKW-Laufzeitverlängerungen gewesen. Von zunehmenden Importen durch den Atomausstieg könne keine Rede sein, so Fell. Der Nettostromimport aus Frankreich habe sich von 14 Terawattstunden in 2010 auf gut 8 Terawattstunden in 2018 deutlich verringert. Bareiß habe schon damals als energiepolitischer Sprecher „eine wichtige unterstützende Rolle in der CDU-Bundestagsfraktion“ gespielt und würde mit solchen Äußerungen „die Stimmung testen“.

Andere Töne aus Bayern

In seiner ersten Regierungserklärung hat dem entgegen der neue Wirtschaftsminister in Bayern, Hubert Aiwanger (Freie Wähler), sein Wohlwollen für den Atomausstieg unterstrichen. Zum Jahresende gehen im Süden zwei AKW vom Netz, eines in Philippsburg, das zweite steht in der Schweiz. Aiwanger kündigte an, dass die Versorgungssicherheit in Bayern auch nach der Stilllegung der letzten deutschen Meiler Ende 2022 „gesichert“ sei: „Das Licht geht nicht aus“. Spannend an dieser Aussage ist, dass Bayerns Regierung als bisheriges Atomstrom-Bundesland No. 1 eigentlich keinen Anlass ausließ, Fürsprecherin der Hochrisikotechnologie zu sein.

„Hochrisikotechnologie“: Bundesamt korrigiert Bundesamt

Einen Rüffel verteilte kürzlich zudem das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE). Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung einer Studie zur Risikowahrnehmung von Strahlung hatte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) Ende November statuiert, dass die „Risiken der Kernkraft in der Bevölkerung überschätzt“ würden.

„Die Bewertung der Risiken der Kernkraft kann und darf sich nicht auf die Betrachtung freigesetzter Radioaktivität im laufenden Betrieb der Kraftwerke erschöpfen“, heißt es vom BfE. Atomkraft sei „eine Hochrisikotechnologie“. Katastrophale Unfälle wie in Tschernobyl und Fukushima sowie die bis heute weltweit ungelöste Atommülllagerung von hochgefährlichen Abfällen „müssen Teil einer wissenschaftlich fundierten Risikobetrachtung sein“.

weiterlesen:

  • Finanzmarkt: Absage an AKW-Neubauten
    19.11.2019 - Während die Atomlobby die Illusion von neuen Meilern predigt, hat diese Ansage Gewicht: Die weltgrößte Ratingagentur Standard and Poor’s Corporation (S&P) rät dem Finanzmarkt von Investitionen in den Ausbau der Atomenergie ab.

  • „Jeder Tag mehr kostet die Gesellschaft Geld“
    20.06.2019 - Der Wirtschaftswissenschaftler Christian von Hirschhausen über die Laufzeiten von AKW, über Kohlefans, die für Atomkraft werben, und über effektiven Klimaschutz.

  • Laufzeitverlängerung für den Erhalt unseres Wohlstand?
    08.05.2019 - Es sei „Unsinn“, so der Betreiber des Atomkraftwerks Emsland, dass man eine Laufzeitverlängerung über 2022 hinaus plane. Doch die Stimmen aus der Wirtschaft werden lauter, den Atomausstieg umzukehren.

  • Das Glas vollmachen
    25.02.2019 - Noch fast vier Jahre bis zum angekündigten Atomausstieg: Das ist einerseits ein großer Erfolg der Anti-Atom-Bewegung, andererseits eine gefährliche Beruhigungspille. Und jedenfalls kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen.

  • Atomkraft ist kein Klimaretter - Die Diskussion um Klimawandel und Kohleausstieg bringt auch diejenigen wieder auf den Plan, die es für eine gute Idee halten, mit Atomkraftwerken das Klima zu retten. 

Quellen (Auszug): faz.net, de.wikipedia.org, augsburger-allgemeine.de, bund.bfe.de, pv-magazine.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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