Beteiligt werden oder beteiligt sein?

12.11.2018 | Dr. Dieter Kostka

Analyse | .ausgestrahlt publiziert eine umfassende Analyse von Dr. Dieter Kostka zur Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Standortsuche für ein langfristiges Atommüll-Lager. Daraus veröffentlichten wir in unserem Magazin 41 im Oktober dieses stark gekürzte Kapitel zum Begriff der „Beteiligung“.

„Öffentlichkeitsbeteiligung“ – das klingt vielversprechend und ist ein überwiegend positiv besetzter Begriff, der Hoffnungen auf Respekt und Mitsprache weckt. Bei näherer Betrachtung stellt man allerdings fest, dass damit eine ganze Reihe durchaus verschiedener Dinge gemeint sein können – und auch gemeint werden. Solche Missverständnisse können Illusionen erzeugen und dann, wenn diese zerplatzen, ihrerseits zu einer eigenen Konfliktquelle werden. Hier wird deshalb beleuchtet, mit welchen Haltungen und Erwartungen der Begriff „Beteiligung“ bzw. „beteiligen“ verbunden sein kann.

Beteiligen
„Beteiligen“ hat ein Subjekt und ein Objekt: Da beteiligt jemand irgendwen anderen an etwas – und dieser jemand ist in der Gesetzessprache die zuständige Behörde. Dahinter verbirgt sich ganz unscheinbar ein politisches Verständnis mit weitreichenden Folgen: Es überlegen nicht einfach interessierte und betroffene Menschen auf verschiedenen Seiten, wen man in die Lösung eines Problems einbeziehen sollte und wie, sondern handelndes Subjekt der Beteiligung ist allein eine Behörde, die vom Gesetz her zuständig ist. Bei der Standortauswahl für ein Atommüll-Lager ist das das neu gegründete Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE).

Die zuständigen Menschen in der Behörde müssen sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nun überlegen, wen sie wann zwecks „Beteiligung“ wie kontaktieren und mit welchem Angebot, und anschließend müssen sie die auf diese Weise erhaltenen Reaktionen irgendwie verarbeiten. Rechtlich geht es letztlich nicht darum, die Menschen, die beteiligt wurden, zu verstehen, oder gar darum, Bedenken auszuräumen bzw. Wünsche zu erfüllen, die im Rahmen der Beteiligung an die zuständige Behörde herangetragen werden. Es geht nur darum, denjenigen, die man vermutlich beteiligen muss, Gelegenheit gegeben zu haben, sich zu äußern, und diese Äußerungen im weiteren Verfahren zu „berücksichtigen“. „Berücksichtigen“ bedeutet dabei allerdings nur, sie in irgendeiner Weise zu verarbeiten, das heißt, sie nicht unbesehen völlig zu ignorieren. Sie bewusst zu verwerfen, reicht indes vollkommen aus, um der Berücksichtigungspflicht Genüge zu tun.

Nach traditioneller Verwaltungsauffassung ist die zuständige Behörde auch als einzige berechtigt (und verpflichtet), andere zu beteiligen. Forderungen nach Beteiligung von anderer Seite hören die Behörden aus dieser Haltung heraus tendenziell nicht gerne und weisen sie unter Umständen barsch zurück, weil sie sie als unzulässige Einmischung in ihre Befugnisse empfinden.

Beteiligt werden
Das ist die Kehrseite des eben geschilderten Beteiligens: Ich werde beteiligt, das heißt, ich werde von irgendwem – in der Regel von einer öffentlichen Stelle – eingeladen oder aufgefordert, mich zu einer Angelegenheit zu äußern. Wenn das in unangemessenem Ton geschieht, kann das auch befremden, normalerweise wird ein solches Beteiligt-Werden aber als freundlicher Akt der Anerkennung empfunden: Da interessiert sich anscheinend jemand, der etwas zu sagen hat, für meine Meinung, meine Erfahrungen oder meine Anliegen. Man möchte mich anhören! Damit verbunden ist normalerweise ausdrücklich oder unterschwellig die Hoffnung, dass meine Beteiligung den weiteren Verlauf und auch das Ergebnis des Verfahrens in meine Richtung beeinflusst – was aber keineswegs der Fall sein muss. Und wird die Hoffnung enttäuscht, kehrt sie sich schnell in Verdruss um.

Ulrike Donat weist pointiert darauf hin, dass „anhören“ etwas anderes ist als „zuhören“. Angehört zu werden heißt nicht, dass man gehört wird oder gar erhört. In Beteiligungsverfahren wird über weite Strecken nicht zugehört, sondern die geäußerten Meinungen der Beteiligten werden nur gesammelt, gesichtet und nach bestimmten Rastern ausgewertet; sie werden allenfalls zu Spiegelstrichen in Tabellen. Die dahinter stehenden Bürger*innen interessieren erst einmal nicht, jedenfalls nicht persönlich. Das alles reicht unterdessen, um bei hartnäckigeren oder tiefergehenden Beiträgen im Beteiligungsverfahren den jeweiligen Beteiligten sagen zu können: „Was wollt ihr denn noch? Wir haben euch doch schon beteiligt!“ Außenstehenden dann noch zu verdeutlichen, dass einem die Art, wie man beteiligt wurde, aber nicht ausreicht, weil man eben nur angehört, aber nicht gehört wurde, fällt sehr schwer; da entsteht leicht der Eindruck der Bürgerin oder des Bürgers als quengeligem Nimmersatt, die oder der sich mal nicht mehr so anstellen solle. Und das entwertet in der öffentlichen Debatte dann auch die besten Argumente – für den Vorhabenträger, der sein Projekt durchbringen möchte, recht vorteilhaft, für die Projektkritiker*innen ein Ansehensverlust! Als Trotzreaktion kann es dann wiederum zu erneutem Widerstand kommen gemäß dem Merksatz des Kommunikationspsychologen Friedeman Schulz‑von Thun: „Wer sich nicht erhört fühlt, benimmt sich un-erhört!“

Sich beteiligen
Sich zu beteiligen im Wortsinne, also ungefragt aus eigenem Antrieb heraus mit einem inhaltlichen Mitwirkungsanspruch, mag selbstverständlich erscheinen und in Zeiten von zunehmender Politikverdrossenheit sogar grundsätzlich begrüßt werden, ist in Verwaltungsverfahren aber nur zulässig, wenn das ausdrücklich in irgendeiner Rechtsnorm „vorgesehen“ ist. Das bedeutet zwar nicht, dass man sich nicht ohne Aufforderung äußern darf und nicht angehört wird – normalerweise lassen Behörden das bis zu einem gewissen, unverfänglichen Grad zu, und wenn sie einigermaßen bürger*innenfreundlich sind, reagieren sie auch darauf –, es bleibt dann jedoch völlig unverbindlich und kann von den Behörden jederzeit ignoriert oder ganz verwehrt werden. Einen Anspruch darauf, sich zu beteiligen, hat man nur, wenn der rechtlich verbrieft ist oder einem von der Behördenleitung aus politischen Gründen heraus ausnahmsweise zugestanden wird. In gewisser Weise wird man dann wieder beteiligt – siehe das vorangegangene Kapitel.

Versucht man dennoch, sich zu beteiligen, obwohl man keinen Rechtsanspruch darauf hat und die Behörden das nicht wollen, befindet man sich bereits in einer Machtprobe. Man bekommt Beteiligung entweder gewährt (rechtlich festgelegt oder politisch angeboten) oder muss sie sich erkämpfen.

Beteiligt sein
„Beteiligt sein“ ist ein Zustand, und für viele Bürger*innen ein wünschenswerter. Damit verbunden wird idealerweise nicht bloß, dass man irgendwo seine Meinung mitteilen darf, sondern dass man zu den Kreisen, die sich um ein Thema kümmern, als Person dazu gehört, Respekt genießt und auf Resonanz stößt. Dass man auf Augenhöhe behandelt wird und sich entsprechend einbringen kann, dass die eigene Meinung substanziell gehört und anerkannt wird, selbst dann, wenn die Mehrheit oder die Instanz, die letztlich zu entscheiden hat, sie im Ergebnis nicht teilt. Das kostet Zeit und manchmal auch Nerven auf allen Seiten. Dementsprechend kommt diese Art des Beteiligt-Seins im Verwaltungsverfahren oder auch in politischen Prozessen eher selten vor.

Wer viel und eng mit Vertreter*innen anderer Auffassungen zusammenarbeitet, entwickelt früher oder später ein gewisses Verständnis für diese und umgekehrt. Das ist die Grundvoraussetzung für die Entstehung von Konsens und von daher sehr wertvoll – sonst bekommt man keinen –, birgt jedoch die Gefahr, sich mit der Zeit zu sehr einbinden zu lassen und dabei dann gemeinsam „abzuheben“, das heißt mehr und mehr unzugänglich für Meinungen außerhalb des engen Kreises zu werden, ohne das selbst zu merken.

Wenn dieses an sich natürliche psychologische Phänomen schließlich bewusst politisch-strategisch instrumentalisiert wird, ist man bei der berüchtigten „Mitmachfalle“ angelangt und spricht von „strategischer Einbindung“, bei der Beteiligung sehr wirksam dazu benutzt werden kann, noch kritischere Positionen unter Hinweis auf die gemäßigteren Positionen der in der beschriebenen Weise eingebundenen Direkt-Beteiligten zu diskreditieren. „Beteiligt sein“ ist also ein ambivalenter Zustand: Man soll dabei sein, ohne sich zu verlieren – ein schwieriges Unterfangen.


Dr. Dieter Kostka

Dieser Text erschien ursprünglich im .ausgestrahlt-Magazin 41, Oktober 2018

 

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Dr. Dieter Kostka

Dr. Dieter Kostka ist Diplom-Verwaltungswissenschaftler und Mediator, hauptberuflich als behördeninterner Konfliktvermittler tätig und derzeit ehrenamtlicher Vorsitzender des bundesweiten Fördervereins Mediation im öffentlichen Bereich (FMöB) e.V.

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