Atomkraftwerk Neckarwestheim-1

Atomkraftwerk
Atomkraftwerk Neckarwestheim-1
Foto: Jens Gyarmaty
Status:
Abriss läuft
Standort:
Neckarwestheim
Kategorie:
Atomkraftwerk
Inbetriebnahme:
26. Mai 1976
Betriebsende:
06. Aug 2011

Das Atomkraftwerk Neckarwestheim-1 befindet sich in Baden-Württemberg und wurde nach dem GAU in Fukushima im März 2011 zwangsabgeschaltet.

Auf dem Gelände wurde ein zweiter Reaktorblock (Neckarwestheim-2) und ein Standortzwischenlager gebaut.

Die Pläne zur Errichtung eines Atomkraftwerks in Neckarwestheim reichen bis in die 70er Jahre zurück. Damals war es auch die heute noch beteiligte Deutsche Bahn, die Interesse an dem Reaktor hatte, um die Stromversorgung ihrer Schienen zu gewährleisten. Dafür wurde ein besonderer Bahnstromgenerator verbaut. Die elektrische Leistung betrug 840 Megawatt, davon etwa 150 Megawatt für das Netz der Deutschen Bahn. Damaliger Hersteller des Druckwasserreaktors der 2. Generation war die Kraftwerk Union AG (KWU), ein gemeinsames Tochterunternehmen von Siemens und AEG.

Eine Besonderheit im Bezug auf etwaige Einsprüche gegen das Atomkraftwerk wurde am 8. August 1972 festgelegt. Klagen durften nur Anwohner*innen aus einem Umkreis von zehn Kilometern um das Werk. Insgesamt gab es knapp 5.000 Einsprüche bis zum Baubeginn.

Bis zum Beschluss seiner Stilllegung nach dem Beginn der Fukushima-Katastrophe 2011 sorgte der Meiler für heftige Auseinandersetzungen.

Gemäß des rot/grünen Atomausstiegs von 2000 wären rechnerisch Ende 2008 die zugeteilten Strommengen verbraucht gewesen. Doch Betreiber EnBW taktierte seit Anfang 2008 und zögerte die Abschaltung mithilfe diverser Stillstände und Leistungsreduktionen im Betrieb heraus. Eine bereits 2006 beantragte Übertragung von Strommengen aus dem Nachbarblock 2 sollte den Betrieb bis 2017 sichern, wurde aber vom damaligen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel am 12.06.2008 „aus Sicherheitsgründen“ abgelehnt.

Im Herbst 2010 standen Bundestagswahlen an, CDU und FDP versprachen pauschale Laufzeitverlängerungen für alle AKW um etwa acht Jahre – und gewannen die Mehrheit im Parlament. EnBW konnte sein Kraftwerk weiterbetreiben.

In einer Studie schrieb Wolfgang Renneberg 2010: „GKN 1 gehört nach den Untersuchungen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit zu den gegen einen terroristischen Flugzeugangriff am wenigsten geschützten Anlagen in Deutschland.“

Nach dem Beginn der Reaktorkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 wurde die Laufzeitverlängerungen für die „besonders unsicheren“ Alt-Meiler politisch aufgekündigt und damit auch ein sofortiges Ende für Neckarwestheim-1 beschlossen. Der Reaktor wurde am 17. März 2011 für immer abgeschaltet.

Einsturzgefahr

Das Atomkraftwerk steht auf geologisch instabilem Grund. Eine Gipsschicht wird durch Grundwasser ausgelaugt, wodurch Hohlräume entstehen, die spontan einstürzen können. Ende 2002 kam es auf einem Acker nahe Besigheim ohne Vorwarnung zu einem 18 Meter tiefen Erdeinbruch, 4,5 km vom AKW entfernt und in geologisch vergleichbarem Untergrund. Die Atomaufsicht argumentiert zwar, dass die Bewegung des Untergrundes laufend durch empfindliche Messgeräte überwacht wird. Trotzdem wurden seit 1988 im Laufe der Zeit mehrere neue, bisher nicht bekannte Hohlräume im Untergrund unter den AKW entdeckt. Es ist daher zu befürchten, dass weitere Hohlräume entstehen oder bereits existieren, und die Standsicherheit der Anlage gefährden können. Ein Einbruch unter dem Reaktor oder anderen kritischen Bereichen könnte wichtige Komponenten massiv beschädigen und dabei auch mehrere der redundanten Sicherheitssysteme gleichzeitig betreffen.
Der Kühlturm (Bodendurchmesser 165 Meter) ist bereits um 14 cm abgesunken. Über mehrere Jahre wurde mit Hilfe von Beton-Einpressung in den Untergrund versucht, diesen zu stabilisieren.

Schwächen der Sicherheitskultur

Verschiedene Vorfälle der letzten Jahre deuten darauf hin, dass es deutliche Mängel im betriebsinternen Sicherheitsverständnis gibt. Es wurden wiederholt Verstöße gegen die Vorschriften des Betriebshandbuches bekannt.

Seit Inbetriebnahme wurden ca. 450 meldepflichtige Ereignisse registriert.

1997 wurde während dem Anfahrprozess des Reaktors 1 der vorgeschriebene Füllstand in allen vier Flutbehältern des Notkühlsystems 16 Stunden lang unterschritten und drei der Flutbehälter falsch als verfügbar deklariert. Dieser Vorfall wurde vom Betreiber nicht gemeldet und wurde erst bekannt, nachdem 2001 im AKW Philippsburg ein ähnlicher Fall aufgedeckt worden war.

1999 fiel Block 1 durch wiederholte Störfälle an den Hauptkühlmittelpumpen, deren Funktion für die Sicherheit entscheidend ist, auf. Im Mai führte der Ausfall einer Hauptkühlmittelpumpe zur Schnellabschaltung des Reaktors.

Im Oktober 2005 kam es zu einem Brand an einer Hauptkühlmittelpumpe und zu einer Schnellabschaltung, als heißes Öl aus der Pumpe tropfte und sich entzündete. Eine eigentlich vorgesehene Leckölsammeleinrichtung war an der Pumpe nicht montiert.

2008 wurde bei Mannheim eine Konzentration von 16 Bequerel pro Liter Flußwasser Tritium gemessen. Als Verursacher der relativ hohen Tritium-Konzentrationen im Neckar machen Bürgerinitiativen das Atomkraftwerk Neckarwestheim aus. Der Wert lag bei 48,9 Bequerel pro Liter, die gesetzliche Obergrenze liegt bei 100 Bequerel.

Große Protestaktion

AKW Neckarwestheim: Blockadeaktion 2012
Foto: contratom
AKW Neckarwestheim: Blockadeaktion 2012

Im Februar 2011 besetzten Greenpeace-Aktivisten den Kühlturm des AKW, um gegen Sicherheitsmängel im Block 1 zu demonstrieren. Dabei entrollten sie Transparente und malten einen Totenkopf mit dem Spruch „Atomkraft schadet dem Ländle“ an den Kühlturm.

Am 12. März 2011, einen Tag nach Beginn des Super-GAU von Fukushima, bildeten 60.000 Menschen eine 45 Kilometer lange Menschenkette von Neckarwestheim bis in die Landeshauptstadt Stuttgart und forderten den Atomausstieg. Wenige Tage später wurde Neckarwestheim-1 für immer abgeschaltet.

Abriss

Von Mai bis September 2012 wurden die nicht unter das Atomrecht fallenden Zellenkühlereinheiten demontiert. Am 3. Februar 2017 erteilte das baden-württembergische Umweltministerium die 1. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung für Block 1. Beim Abriss sollen ca. 331.000 Tonnen Material anfallen. Atomkraftgegner*innen kritisieren, dass ein Großteil des schwachradioaktiven Mülls „freigemessen“ werden soll und so wieder in den Wertstoffkreis zurückgelangt.

Castortransporte per Binnenschiff

Als absolutes Novum in Deutschland wurden 2017 die hochradioaktiven Brennelemente aus dem AKW Obrigheim mithilfe eines Binnenschiffs in das 50km entfernte Zwischenlager am AKW Neckarwestheim transportiert. Atomkraftgegner*innen warfen dem Betreiber RWE vor, sich aus Kostengründen den Bau einer Lagerhalle in Obrigheim zu sparen - und die Bevölkerung dem unnötigen Risiko der Transporte auszusetzen. Zahlreiche Protestaktionen begleiteten die Schiffstransporte.

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