Warum die Gaskrise keine Stromkrise ist und AKW weder Dünger noch Fernwärme erzeugen

Update: 21. Juli 2022

Wofür wird wie viel Gas in Deutschland verbraucht?

Die Hälfte (51 %) des in Deutschland verbrauchten Erdgases dient zur Beheizung von Wohnungen und anderen Gebäuden. Weitere 37 % nutzt die Industrie als chemischen Rohstoff (etwa zur Düngemittelherstellung) oder zur Wärmeerzeugung (etwa bei der Glasherstellung). Ganze 12 % des Erdgases wurden 2021 zur Stromerzeugung verwendet – oft in Kraftwerken, die zugleich Fernwärme erzeugen (Kraft-Wärme-Koppelung, BHKW) oder eine besondere Funktion zur Stabilisierung des Stromnetzes haben (siehe unten).

Wieso wird noch immer Gas in Kraftwerken verfeuert?

Die seit Herbst 2021 stark gestiegenen Gaspreise führen bereits dazu, dass aktuell weniger Gas zur Stromerzeugung verwendet wird als zuvor.
Viele Gaskraftwerke nutzen jedoch die bei der Stromerzeugung anfallende Abwärme, um zugleich Gebäude und Stadtviertel mit Fernwärme zu versorgen (Kraft-Wärme-Koppelung/KWK, Blockheizkraftwerke/BHKW); dies nutzt den Brennstoff besonders gut aus. Werden solche Anlagen stillgelegt, fehlt unter Umständen Wärme im Fernwärmenetz.
Andere Gaskraftwerke haben, eben weil sie sich so gut regeln lassen, die Aufgabe, für Stabilität im Stromnetz zu sorgen. Werden solche Anlagen stillgelegt, muss diese Systemdienstleistung anderweitig bereitgestellt werden, was im bestehenden Kraftwerkspark teilweise aufwändig und deshalb technisch nicht eingeplant ist.
Darüber hinaus laufen in einigen Industriebetrieben Gaskraftwerke, um industriell benötigten Dampf und nebenbei Strom zu erzeugen. Andere dienen dazu, kurzfristig hohe Strombedarfe des Betriebs zu decken, was diesem die sonst anfallenden besonders hohen Netzentgelte erspart.

Können AKW Gaskraftwerke ersetzen?

AKW erzeugen lediglich Strom, keine Fernwärme. Zudem sind AKW nur sehr eingeschränkt regelbar. Atomkraftwerke können deshalb (Gas‑)Kraftwerke, die zugleich noch die Aufgabe haben, Fernwärme zu erzeugen oder als sehr flexible Anlage das Stromnetz auszuregeln, nicht ersetzen.

Wie kann Gas auch bei der Stromerzeugung eingespart werden?

Als Vorsorgemaßnahme für eine Gasmangellage hat die Bundesregierung eine Reihe von aus dem Markt genommenen oder zur Stilllegung vorgesehenen Kohle- und Ölkraftwerken befristet in eine Gasersatzreserve überführt. Das bedeutet, dass sie in Bereitschaft gehalten werden und nach einer entsprechenden Ministeranordnung kurzfristig Gaskraftwerke ersetzen können. Aufgrund der Marktmechanismen ist zu erwarten, dass diese Ersatzkraftwerke jeweils nur so viel laufen werden, wie tatsächlich Bedarf besteht. Da sowohl die Klimaziele Deutschlands als auch das Ziel eines Kohleausstieges bis 2030 bestehen bleiben, muss der durch ihren Einsatz verursachte zusätzliche CO2-Ausstoß in den Folgejahren kompensiert werden, etwa durch einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien. Bisher ist die Gasersatzreserve noch nicht zum Einsatz gekommen.

Wird der Strom knapp, wenn das Gas knapp wird?

Nein. Es stehen – auch ohne AKW – genügend erneuerbare Energien und andere Kraftwerke bereit und in Reserve, die die Stromversorgung zuverlässig sichern können. Das hat eine aktuelle Prüfung der Übertragungsnetzbetreiber von Mitte Juli 2022 bestätigt. Gaskraftwerke, die aus den oben genannten Gründen nicht durch andere Kraftwerke ersetzt werden können, gehören zu den privilegierten Verbrauchern und werden auch bei einer Gasmangellage weiter versorgt, etwa mit Gas aus Norwegen. Kommt der Gasimport aus Russland zum Erliegen, verstärkt das die Gaskrise – es ist keine Stromkrise.

Was steckt hinter den aktuellen Forderungen einiger Politiker*innen und Atomlobbyist*innen nach mehr Atomkraft?

Politiker*innen insbesondere von CDU, CSU, FDP und AFD versuchen die drohende Gaskrise und die damit einhergehende Verunsicherung vieler zu nutzen, um mit ihrer populistischen Forderung nach mehr Atomkraft zu provozieren, mediale Aufmerksamkeit zu bekommen oder politisch zu punkten – ungeachtet der Realität. Viele davon wollen den Atomausstieg kippen und die Energiewende erneut blockieren oder nehmen dies billigend in Kauf. Es sind dieselben Personen und Parteien, die in den vergangenen zwölf Jahren (in denen sie häufig selbst an der Regierung waren) alles getan haben, um den Ausbau der Erneuerbaren zu bremsen, um Hunderttausende Arbeitsplätze in der Erneuerbaren-Branche zu zerstören und zahlreiche Firmen dort zur Aufgabe zu zwingen. Sie haben die Kohleverstromung gefördert, sich gegen einen zügigen Kohleausstieg gesperrt und diejenigen verhöhnt, die seit Jahren und Jahrzehnten darauf drängen, die Abhängigkeit von fossil-nuklearen Rohstoffen schnellstmöglich zu verringern. All dies spricht nicht dafür, ihre heutigen Vorschläge und Forderungen als qualifiziert anzusehen.