Atomkraft in der Schweiz

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Neubaupläne gestoppt, aber selbst für Uraltmeiler kein Abschaltdatum

Bis zum März 2011 lief für die Schweizer Strombarone alles nach Plan. Emsig bereiteten sie das Terrain für den Bau neuer Atomkraftwerke vor. Der Plan lautete Verunsicherung, das Szenario „Stromlücke“. Die Angstmacherei vor dem großen Lichterlöschen sollte die Befürchtungen der Bevölkerung vor den Gefahren der Atomenergie in den Hintergrund drängen. Tschernobyl schien zu lange her, als dass eine Volksabstimmung mit einer millionenschweren (Des-)Informationskampagne nicht zu gewinnen wäre.

Und dann kam Fukushima. Die Katastrophe hat die behagliche politische Landschaft in der Schweiz wachgerüttelt und alte Strukturen aufgebrochen. Auch die breite Öffentlichkeit hörte nun, was Umweltorganisationen und die Anti-Atom-Bewegung seit Jahren anprangern. Eklatante Sicherheitsmängel kamen ans Licht, Lügen und Vertuschungsversuche der AKW-Lobby und der mit ihr verbandelten staatlichen Kontrollbehörden. Mittlerweile zweifelt wieder eine breite Mehrheit der Bevölkerung an den Schönwetterparolen der AKW-Betreiber.

Auch langjährigen AtombefürworterInnen, namentlich Energieministerin Doris Leuthard, ist klar geworden, dass eine eidgenössische Volksabstimmung zum Bau neuer AKW in naher Zukunft nicht mehr zu gewinnen ist. Unter dem Druck der Öffentlichkeit hat die Regierung im Sommer 2011 deshalb den Atom-Ausstieg verkündet und sich in der sogenannten „Energiestrategie 2050“ zum Umstieg auf erneuerbare Energien bekannt.

Profit vor Sicherheit

Allerdings spielen die Regierung, die wirtschaftsnahen Parteien und die Stromkonzerne auf Zeit. Die fünf bestehenden Schweizer AKW sollen so lange wie irgendwie möglich am Netz bleiben. Ein verbindliches Abschaltdatum fehlt in der Regierungsvorlage, die derzeit in der Vernehmlassung (Gesetzgebungsverfahren mit Anhörung diverser Interessengruppen) ist.

Besonders riskant sind die Uralt-Meiler Mühleberg bei Bern, baugleich mit Fukushima, sowie die beiden Druckwasserreaktoren Beznau I und II, keine zehn Kilometer südlich der Grenze bei Waldshut (D). Alle drei Reaktoren sind seit über 40 Jahren in Betrieb – obwohl sie ursprünglich nur für eine Laufzeit von maximal 30 Jahren konzipiert wurden. Beznau I (Inbetriebnahme 1969) ist der dienstälteste Reaktor der Welt! Entsprechend lang ist die Mängelliste: Korrosionsschäden, Risse im Reaktordeckel, katastrophale Notstromversorgung – um nur einige Punkte zu nennen. Mit Nachrüstungen will die Betreiberfirma Axpo die beiden Reaktoren bis zu 60 Jahre in Betrieb halten – ein weltweit einmaliges Experiment.

Wenig besser steht es um das AKW Mühleberg, das zweitälteste der Schweiz. Neben Rissen im Kernmantel macht hier vor allem das Überflutungsrisiko in Zusammenhang mit dem oberhalb des Kraftwerks gelegenen Wohlensee-Staudamm (Baubeginn 1917!) Sorgen. Anwohner und AKW-Kritiker haben mit einer Beschwerde gegen die unbefristete Betriebsbewilligung erste Erfolge erzielt; das Bundesgerichts-Urteil, ob der Reaktor 2013 vom Netz gehen muss, soll in den nächsten Monaten ergehen.

Ein klares Abschaltdatum

Umweltverbände und die Anti-Atom-Bewegung setzen sich vehement dafür ein, dass ein baldiges Abschaltdatum für alle Schweizer AKW gesetzlich verankert wird. Damit soll nicht nur ein Mindestmaß an Sicherheit garantiert werden, das definitive AKW-Aus schafft zudem Planungssicherheit für Investitionen in erneuerbare Energien. Hier hinkt die Schweiz aufgrund einer zögerlichen Förderpolitik Deutschland um Jahre hinterher.

Damit die Energiewende jetzt an die Hand genommen wird, braucht es jedoch den anhaltenden Druck der Zivilgesellschaft. Doch die Anti-Atom-Bewegung ist im Aufwind. Im Frühjahr schlugen AtomkraftgegnerInnen ein Protestecamp vor dem Hauptsitz des Energiekonzerns BKW in Bern auf – sie blieben elf Wochen (www.akw-ade.ch, www.bernerbewegung.ch). Beim „MenschenStrom gegen Atom“ am Fukushima-Jahrestag zogen 8.000 zum AKW (www.menschenstrom.ch).

Autor: Theo Gubler

 

Dieser Text ist ursprünglich im .ausgestrahlt-Rundbrief Nr. 18 (Oktober 2012) erschienen.

 

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