Zurück aus Fukushima. Eine Reportage von Alexander Neureuter

12.06.2013 | Redaktion

Drei Wochen habe ich im Mai in Japan verbracht. Über 4.000 Kilometer bin ich in Japan gereist, um die beiden großen Atomkatastrophen des Landes – die Atombombe und die Fukushima-Kernschmelzen – zu begreifen. 87 Menschen, deren Leben durch die Atomkatastrophe von Fukushima dauerhaft verändert wurde, habe ich interviewt und teilweise in ihrem Alltag begleitet.

Und eine große Erkenntnis habe ich mitgebracht: In Fukushima läuft seit März 2011 der größte jemals gestartete Freiluftversuch zur Auswirkung radioaktiver Strahlung auf Menschen. 1,6 Millionen Menschen, darunter 300.000 Kinder, leben in der Präfektur von Fukushima in teilweise so stark kontaminierten Gebieten, dass sie in Tschernobyl als unbewohnbar erklärt und evakuiert worden wären. Und all das geschieht mit Wissen und Unterstützung der Regierung, der WHO, der IAEA und anderer treibender Kräfte der internationalen Atombande. Zentrale Erkenntnisse meiner Recherchen sind:

  • Sechs Überlebende der Atombombe von Hiroshima geben mir eine zentrale Botschaft mit auf den Weg: Atomwaffen und Atomkraft sind untrennbar mit dem Unrecht verbunden.
  • Ein Überlebender der Atombombe und bekannter Strahlenarzt beklagt, dass die jungen Ärzte vollkommen unkritisch an die von der Regierung propagierte Ungefährlichkeit der in Fukushima freigesetzten Strahlung glauben.
  • In der energiehungrigen Metropole Tokio scheinen die Lichter nicht auszugehen – auch wenn von den verbleibenden 50 Atomkraftwerken momentan nur 2 laufen. Nach Meinung der Hauptstädter ist Fukushima weit, weit weg und die vier durchgebrannten Atomreaktoren unter Kontrolle.
  • Nicht nur im ländlichen Bereich sondern auch in den großen Städten der Präfektur Fukushima ist die Kontamination von Straßen, Parks und Gärten weiterhin hoch: Das Abkratzen der oberen 5 Zentimeter Bodenschicht hat die Strahlung nur kurzfristig absenken können – Wind und Wetter bringen neuen Fallout von den Hügeln und Wäldern in die Städte.
  • Alle von mir angetroffenen amtlichen Messgeräte (ich habe 37 der über 1.300 Messgeräte gesehen) nehmen es mit den Strahlenwerten nicht so ganz genau und zeigen allesamt nur etwa die Hälfte der von meinem geeichten Messgerät festgestellten Strahlenwerte an.

    Strahlenwerte am Straßenrand| Photo: A. Neureuter

  • Am Straßenrand eines belebten Schulwegs in der Stadt Koriyama messe ich 14,88 Mikrosievert pro Stunde, vor dem Unfall gab es hier 0,04 Mikrosievert pro Stunde. In Tschernobyl wurden alle Bereiche über 3,7 Mikrosievert pro Stunde evakuiert.
  • Scheinbar planlos wird das abgetragene, kontaminierte Erdreich in riesigen Plastiksäcken – sogenannten BigBags – an Waldrändern und in einsamen Tälern zwischengelagert. Es gibt keinen Plan, mit diesem strahlenden Erdreich umzugehen.

    Big Bags mit verstrahltem Material| Photo: A. Neureuter

  • In allen großen Müllverbrennungsanlagen des Landes werden in aller Verschwiegenheit die radioaktiven Trümmer aus Fukushima verbrannt. Ohne besondere Filter, ohne besondere Instruktionen der Mitarbeiter. Und die strahlenden Verbrennungsrückstände werden auf normalen Deponien entsorgt.
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