Atomkraft in China

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Peking will den Bau Dutzender neuer Reaktoren durchdrücken – doch örtliche Proteste haben schon mehrere Atomprojekte gekippt

Chinas Liste der alternativen Energiequellen liest sich anders als erwartet: Wind, Wasser, Sonne – und Atom. Der kommunistischen Regierung gilt Atomkraft als sicherer, sauberer Weg aus der Abhängigkeit von der Kohle. Zwar hatte sie nach dem schweren Unfall im japanischen Fukushima die Blaupausen neuer AKW auf ihre Sicherheit prüfen lassen. „Doch nun müssen wir den Nuklearausbau wieder beschleunigen“, kündigte im Februar Xu Dazhe an, der Chef der chinesischen Atomenergiebehörde.

Der neue Energieplan setzt mehr denn je aufs Atom. China gehört damit zu den letzten Ländern, die diese Energieform auch weiterhin massiv ausbauen wollen. Mit nennenswertem Widerstand rechnet die kommunistische Regierung dabei nicht. Der Staat kontrolliert die Nuklearindustrie praktisch alleine. Sowohl die Stromversorger als auch die Reaktorbauer befinden sich in Hand der Regierung; die Überwachungsbehörden sind mit Parteigenossen besetzt. Die Partei erlaubt keine Vereine oder Organisationen, die sie nicht steuern kann. Die Bevölkerung wiederum mischt sich in politische Angelegenheiten nur ein, wenn sie direkt persönlich betroffen ist.

Prinzipielle Atomkraftgegner*innen gibt es daher kaum. Andererseits schlagen gerade in China die Wogen besonders schnell hoch, wenn Leute eine Gefahr für ihre Gesundheit oder die ihrer Familie wittern. Die Behörden geraten daher seit einigen Jahren regelmäßig unter Druck, wenn sie neue Atomprojekte in Angriff nehmen. Zwar stellen sich die Kommunisten nicht zur Wahl, doch sie wollen das Volk im Wesentlichen glücklich und zufrieden halten. „Wenn die Anwohner definitiv gegen ein Projekt sind, dann kippen wir es“, lässt sich ein Beamter der obersten Energiebehörde NEA zitieren.

Bei zwei wichtigen Vorhaben hat die Regierung bereits einen Rückzieher gemacht. So sollte in der Stadt Lianyungang in der Nähe von Shanghai eine 15 Milliarden Euro teure Wiederaufarbeitungsanlage entstehen. Als die Bewohner von Lianyungang im vergangenen Jahr von den Plänen erfuhren, gingen Tausende auf die Straße. Gerüchteweise hieß es zwischenzeitlich, dass die Polizei einen Demonstranten erschossen habe. Fest steht, dass Beamte die Versammlung mit Schlagstöcken auflösten. Dennoch erschien Peking das politische Risiko zu hoch: Was, wenn sich an dem Protest ein großflächiger Widerstand entzündete? Im August 2016 beschloss die Regierung deshalb, einen neuen Standort für die Plutoniumfabrik zu suchen.

Bereits 2013 cancelten die Behörden nach Protesten den Bau einer Brennelementefabrik in der Südprovinz Guangdong. Ein AKW in Pengzi in der Provinz Jiangzi provozierte ebenfalls Demonstrationen, ist jedoch noch nicht vom Tisch.

Derzeit deckt China mit seinen 37 Reaktoren dreieinhalb Prozent seines Strombedarfs. In den nächsten drei Jahren soll der Wert auf sechs Prozent steigen, wenn nach und nach 20 neue Reaktoren ans Netz gehen. Bis 2020 will China so 57 Reaktorblöcke betreiben. In den kommenden 50 Jahren sollen dem Langfristplan zufolge sogar rund hundert neue AKW entstehen.

Kritiker*innen betrachten diese Pläne mit wachsender Sorge. „Mit der steigenden Zahl der Meiler steigt das Risiko eines schweren Unfalls stark an“, sagt Physiker He Zuoxiu, einer der bekanntesten Atomkraftgegner des Landes. Ihn kann die Regierung nicht zum Schweigen bringen: He gehörte in den 1960er-Jahren zu dem Team, das Chinas erste Atombombe entwickelt hat. Heute argumentiert er mit mathematischen Methoden gegen die Atomkraft. Aus 23 Kernschmelz-Unfällen weltweit berechnet er eine Katastrophenwahrscheinlichkeit pro Reaktorbetriebsstunde – und kommt zu dem Schluss, dass mit der hohen Zahl der geplanten Kraftwerke in China eine Fehlfunktion mit schweren Folgen praktisch unausweichlich ist.

Peking will und muss weg von der Kohle – schon, um den Smog zu bekämpfen. Die Regierung sieht deshalb keine Alternative zum Atomausbau. Allerdings lässt die Entwicklungs- und Reformkommission auch Sonne, Wind und Wasser in Rekordgeschwindigkeit ausbauen. Im Jahr 2015 hat sie 110 Milliarden Euro in erneuerbare Energien gesteckt, bis 2020 sind Ausgaben in Höhe von 350 Milliarden Euro geplant. Insgesamt sollen dann Windkraft- und Solaranlagen mit einer Kapazität von 320 bis 400 Gigawatt am Netz sein plus mindestens 340 Gigawatt Wasserkraft. Spitzenreiter soll die Kohle bleiben, mit 1.100 Gigawatt. Atomkraft hingegen kommt dem Plan zufolge trotz aller Neubauprojekte nur auf 58 Gigawatt.

Autor: Finn Mayer-Kuckuk


Der Text erschien im .ausgestrahlt-Magazin 35, Frühjahr 2017

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Die Texte im .ausgestrahlt-Blog beschreiben die Situation zum Zeitpunkt ihres Erscheinens und werden nicht aktualisiert. Aktuelle Informationen zu atompolitischen Entwicklungen - aufgeschlüsselt nach einzelnen Ländern - gibt es im "World Nuclear Status Report" auf www.worldnuclearreport.org.

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