AKW-Neubau: Ungarn verletzt EU-Wettbewerbsrecht

24.11.2015 | Jan Becker

Die EU-Kommission beschäftigt sich mit der Finanzierung des ungarischen Atomkraftwerks Paks. Dort sollen mit kräftiger Hilfe aus Russland zwei neue Reaktorblöcke entstehen. Die Ausschreibung des Baus sei „intransparent“ gewesen und verstösst gegen geltendes Wettbewerbsrecht.

Neue Atomkraftwerke rechnen sich nicht mehr. Seit dem Beginn der Katastrophe von Fukushima lassen höhere Sicherheitsanforderungen die Kosten steigen. Globalisierte Strommärkte, auf denen zunehmend günstige Erneuerbare Energien verfügbar sind, lassen die teuren Reaktoren im Wettbewerb nicht mehr bestehen. Die Geldanlage „Meiler“ ist im Verruf: Internationale Investoren ziehen sich vermehrt aus dem Atomgeschäft zurück. Führenden Nuklearkonzernen wie Areva geht es finanziell schlecht.

Allen Fakten zum Trotz sollen in Ungarn am Standort Paks, wo bereits vier Reaktoren in Betrieb sind, zwei neue gebaut werden. Anfang 2014 schloss das Land einen Vertrag mit Russland. Rosatom soll die Blöcke und die Brennstäbe liefern, Moskau will einen Kredit im Wert von zehn Milliarden Euro bereitstellen. Die gesamten Baukosten werden auf etwa 12,5 Milliarden Euro geschätzt. Damit wäre der Bau das teuerste Projekt seit Ungarns Beitritt in die Europäische Union im Jahr 2004.

Für den Auftrag hatten sich auch andere Atomfirmen beworben, die französische Areva, der US-Atomkonzern Westinghouse sowie mehrere japanische und südkoreanische Firmen. Eine formale Ausschreibung, wie sie geltendes EU-Recht vorsieht, gab es jedoch nie. Im Gegenteil. Das ungarische Parlament beschloss Anfang März 2014, dass das Atomabkommen die nächsten 15 bis 30 Jahre nicht veröffentlicht werden darf.

Das hatte die EU bislang moniert und eine Untersuchung angekündigt. Nach Protesten von AtomkraftgegnerInnen erweiterte die Europäische Kommission diese nun um die Frage, ob eine mögliche Wettbewerbsverzerrungen vorliegt. Es gäbe Bedenken, dass der ungarische Staat zu „nicht marktwirtschaftlichen Bedingungen“ in den Bau investieren wolle. Die EU-Kommission will jetzt prüfen, ob ein privater Investor das Projekt zu vergleichbaren Bedingungen finanziert hätte.

Für staatliche Subventionen braucht es nach geltendem EU-Recht eine Genehmigung. Zwar kann gemäß des EU-Vertrags jeder Mitgliedstaaten seinen Energiemix frei festlegen. Doch die EU-Kommission hat dafür zu sorgen, dass etwaige öffentliche Mittel zur Unterstützung von Unternehmen im Einklang mit den EU-Beihilfevorschriften gewährt werden. Damit soll der Wettbewerb im Binnenmarkt erhalten bleiben. Um mit EU-Vorschriften vereinbar zu sein, muss eine Beihilfe im Hinblick auf die verfolgten Ziele angemessen sein und ein echtes Marktversagen beheben, wenn das Projekt nicht ausschließlich unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ohne staatliche Unterstützung durchgeführt werden könnte.

AtomkraftgegnerInnen begrüßen, dass die EU nun umfangreiche Untersuchungen anstrebt. Es sei „erfreulich, dass die EU-Kommission vor dem Orban-Putin-Projekt Paks II nicht in die Knie geht“, so Adam Pawloff, Anti-Atom-Sprecher bei Greenpeace in Österreich. Die Atomindustrie versuche in Europa neue Kraftwerksprojekte durchzusetzen und agiere dabei „derart verzweifelt, dass regelmäßig der Bruch von EU-Recht in Kauf genommen wird“.

weiterlesen:

  • Dubiose AKW-Neubaupläne in Finnland und Ungarn
    17. Juli 2015 — Extrem riskant, finanziell katastrophal und ernsthaft umweltschädigend: Unter dubiosen Umständen sollen in Finnland und Ungarn neue Atomkraftwerke gebaut werden. Unterlagen, die das Aus der Projekte bedeuten könnten, werden geheim gehalten.
  • „Ich PA(C)KS nicht“ – Kampagne gegen AKW in Ungarn
    12. Mai 2015 — Ungarn will den Ausbau der Atomkraft forcieren. Am einzigen AKW-Standort Paks sollen zwei russische Reaktorblöcke entstehen. Der Bauauftrag erfolgte ohne öffentliche Ausschreibung, viele Details sind geheim. Mit der Errichtung des weltweit neuen Reaktortyps würde der Ort quasi zu einem „Freilufttestgelände“.

Quellen (Auszug): spiegel.de, greenpeace-energy.de, global2000.at, oekonews.at, handelsblatt.com; 24.11.2015

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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