Sosnowy Bor – Tihange – Philippsburg: Sicher ist nur das Risiko

22.12.2015 | Jan Becker

„Bröckel-Reaktor“, „Klappriger Uraltmeiler“ oder „Schrottreaktor“: Es lassen sich viele Namen für die maroden Atomkraftwerke finden. Mehrere bestätigen in den vergangenen Tagen diese Bezeichnungen: In Russland wurde möglicherweise radioaktiver Dampf freigesetzt. In Belgien sorgt das AKW Tihange wegen eines Feuers weiter für Schlagzeilen.

Was ist in Philippsburg los? Seit mehreren Tagen gibt es in dem Reaktorblock 2 teilweise erhebliche (und ungewöhnliche) Leistungsschwankungen. Der Betreiberkonzern EnBW hat dazu bislang auf seiner Webseite nichts veröffentlicht:

Russland: War der Dampf radioaktiv oder nicht?

Im russischen Atomkraftwerk Leningrad / Sosnowy Bor, 80 Kilometer westlich von St. Petersburg, hat sich am vergangenen Freitag ein Störfall ereignet. Durch ein geplatztes Rohr war heißer Wasserdampf in eine Turbinenhalle gedrungen und so in die Umwelt gelangt. Der betroffene Block 2 wurde notabgeschaltet. Der Kraftwerksdirektor gab Entwarnung, es bestehe keine Gefahr, die Strahlenwerte lägen im „Normbereich“ und das Gefährdungspotential des entwichenen Dampfes sei „nur geringfügig“.

Trotzdem schickte er viele der Kraftwerks-Mitarbeiter nach Hause. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, zwei Tage lang im Haus zu bleiben und die Fenster geschlossen zu halten. UmweltschützerInnen bestätigen, dass keine erhöhten Strahlenwerte gemessen wurden. Ein russischer Ingenieur macht in der tageszeitung allerdings darauf aufmerksam, dass der betroffene Reaktor vom Tschernobyl-Typ RBMK über nur einen Kühlwasserkreislauf verfüge. Das ausgetretene Kühlmittel müsse daher mit Radioaktivität in Kontakt gekommen sein.

Feuer im belgischen AKW Tihange

Der belgische Atomkonzern Electrabel stand in den letzten Wochen in der Kritik, weil es den von Rissen durchzogenen Meiler Tihange-2 wieder in Betrieb genommen hatte. Nun ist der Standort erneut in den Schlagzeilen: Freitagnacht (18.12.2015) war gegen 22.35 Uhr in Block 1 ein Brand ausgebrochen. Das Feuer in einer Schalttafel im nicht-nuklearen Bereich der Anlage sei nach 20 Minuten unter Kontrolle gewesen. Durch das Ereignis wurde aber eine automatische Schnellabschaltung ausgelöst.

Kürzlich wurde auch der zweite von Rissen im Reaktorbehälter betroffene Meiler Doel-3 wieder in Betrieb genommen. Die Atomaufsicht sieht in den tausenden Anomalien in der Stahlbetonhülle kein Sicherheitsrisiko. Mehr als 170.000 Menschen hatten gegen die Neustarts protestiert. In Aachen findet am Dienstag eine Demonstration statt. Die Bundesregierung sieht „keine Handhabe“.

weiterlesen:

  • Havarie? Wirbel um Atomunfall in der Ukraine
    4. Dezember 2014 — Es sind die Erinnerungen an Tschernobyl, die gestern den großen Wirbel um einen vergleichsweise kleinen Störfall in Europas größtem Atomkraftwerk verursacht haben. Gegen Mittag sprach der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk von einer „Havarie“ im AKW Saporoschje, die sich später „nur“ als technischer Defekt und Notabschaltung entpuppte.

Quellen (Auszug): taz.de, wdr.de, netzfrauen.org, svz.de, 19./20.12.2015

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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