„Niemand spricht das deutlich genug aus“

30.03.2016 | Armin Simon

Former Chairman of the U.S. Nuclear Regulatory Commission
Foto: PD US Fed Gov
Gregory B. Jaczko

Gregory Jaczko, ehemaliger Chef der US-Atomaufsicht, über AKW-Unfälle, die Grenzen der Atomaufsicht und das große Missverständnis beim Wort „Sicherheit“.

Fukushima, Tschernobyl, Harrisburg – alle diese AKW galten bei ihren Betreibern und den Aufsichtsbehörden als „sicher“. Trotzdem kam es in allen dreien zu einem schweren Atomunfall. Wie konnte das passieren?

Gregory Jaczko, ehemaliger Chef der US-Atomaufsicht: Es passieren eben auch Dinge, die niemand vorhergesehen hat. Das liegt in der Natur von Unfällen – wenn man sie vorhersehen könnte, wären es keine Unfälle. Aber das eigentliche Problem, gerade wenn wir Three Mile Island [Harrisburg] und Fukushima anschauen, ist schlicht das Reaktordesign. Alle Reaktoren haben die Eigenschaft, dass sie im Fall eines Verlusts der Kühlung zu viel Hitze erzeugen, was letzten Endes dann zur massiven Freisetzung von Radioaktivität führt. Das ist alles weithin bekannt, aber vielleicht nicht weit genug. Man baut also zusätzliche Systeme ein, die die Wärmeabfuhr aufrecht erhalten sollen. Aber alle diese Systeme können ausfallen, sie sind nicht perfekt. Kein System ist perfekt. Es bleibt also immer eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Unfall kommt. Es redet bloß niemand darüber und spricht das deutlich genug aus.

Aufsichtsbehörden und Betreiber betonen vielmehr sogar explizit, die AKW seien „sicher“. Ist das alles ein großes Missverständnis?

Das sind unterschiedliche Definitionen des Begriffes „sicher“. Wenn Atomaufsichtsbehörden „sicher“ sagen, meinen sie, dass das AKW den für es geltenden Standards entspricht. Aber diese Standards sind nie so angelegt, dass sie jeden möglichen Unfall verhindern. Sie sind nur da, um sicherzustellen, dass die Anlagen in den meisten Fällen ohne Unfall laufen. Sie garantieren nicht – und können auch nicht garantieren –, dass es nie einen Unfall gibt. Das ist aber nicht das, was die Öffentlichkeit versteht, wenn sie das Wort „sicher“ hört. Was sie hört, ist, dass es nie einen Unfall geben wird, und alles immer gut ist. Es gibt also einen großen Unterschied zwischen dem, was die eine Gruppe sagt, und dem, was die andere Gruppe hört. 

Die meisten Leute erwarten von den für atomare Sicherheit zuständigen Behörden, dass diese Atomunfälle verhindern. Als ehemaliger Chef der Nuclear Regulary Commission (NRC), der US-Atomaufsicht – ist das eine realistische Erwartung? 

Ganz klar nein – mit Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima hatten wir ja schon drei große Unfälle in Atomkraftwerken. 

Es könnte ja sein, dass die Behörden in diesen Fällen einfach ihren Job nicht gut gemacht haben. 

Das ist sicher so. Es gibt immer so etwas, dass die Aufsichtsbehörden von einem Problem wussten und nichts getan haben, was den Unfall hätte vermeiden können. Aber selbst im besten Fall, selbst in einem Szenario, in dem die AKW-Betreiber und die Aufsichtsbehörden immer alles richtig machen, können manchmal Dinge passieren, die außerhalb der Kontrolle von allen sind. Das Design dieser Reaktoren ist so, dass es immer Szenarios geben kann, die zu einem schweren Unfall führen. Ich will die Atomaufsichten nicht entschuldigen. Aber in der Öffentlichkeit herrscht da manchmal eine Erwartung vor, die sie schlicht nicht erfüllen können. Letzten Endes sind es nicht die Atomaufsichtsbehörden, die die AKW betreiben. Sie sind nicht automatisch verantwortlich für deren sicheren Betrieb – das ist die Verantwortung der AKW-Betreiber selbst. Die Behörden sind nur dazu da, sicherzustellen, dass die Standards eingehalten werden. 

Sie selbst haben nach Fukushima gegen Genehmigungen zum Neubau von AKW in den USA gestimmt. Warum? 

Ich hatte nicht den Eindruck, dass wir Konsequenzen aus dem Unfall gezogen und entsprechende Änderungen verlangt hätten. Unter diesen Umständen hielt ich es nicht für angemessen, die Genehmigungen zu erteilen.

Damit konnten Sie sich aber nicht durchsetzen. 

Nein, die anderen Mitglieder der Kommission teilten meine Haltung nicht und überstimmten mich. Alle vier AKW erhielten eine Genehmigung. 

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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