Atomkraft-Renaissance? Fehlanzeige!

07.09.2018 | Jan Becker

Jahr für Jahr wirft eine Autor*innengruppe um Mycle Schneider einen kritischen Blick auf die Atomindustrie. Die neue Ausgabe des „World Nuclear Industry Status Report“ bestätigt den Niedergang des Nuklearsektors – fast ausnahmslos.

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Die weltweite „Renaissance der Atomkraft“ findet nicht statt, heißt es im Resümee des Reports. Ausnahme ist der „Sonderfall“ China. Die Statistiken der Internationalen Atomenergie Agentur (IAEA) weisen derzeit für 2018 sieben Inbetriebnahmen von AKW aus. Zwei in Russland und fünf in China.

„Wiedermal zeigt sich, neue Atomkraftwerke werden fast ausschließlich in diktatorisch regierten Ländern gebaut, deren Kraftwerke nicht im marktwirtschaftlichen Wettbewerb stehen und deren Regierungen ein Interesse daran haben, über die zivile Atomtechnik auch die Atomwaffentechnik zu fördern“, resümiert Raimund Kamm vom Verein FORUM – Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V."

Nur weil China im letzten Jahr Nuklearkapazitäten zulegte – ca. 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – ergab sich in der weltweiten Bilanz ein Anstieg der erzeugten Atomstrommenge von insgesamt einem Prozent. Betrachtet man allerdings alle anderen Länder der Welt in der Summe, reduzierte sich die Erzeugung von Atomstrom.

„Noch wird in China kräftig zugebaut, doch schon mittelfristig dürfte auch in dem asiatischen Land die Kurve abflachen.“

Seit Dezember 2016 wurde in China kein Neubau eines kommerziellen Reaktors mehr begonnen. Den weltweiten, rasanten Ausbau von Windkraft und Solar könne auch die Volksrepublik China nicht übergehen. Dort wurden alleine im Jahr 2017 eine Summe von 126 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien investiert. Parallel verlangsame sich der Anstieg der Stromnachfrage, während die Anforderungen an die nukleare Sicherheit und damit auch die Kosten steigen.

„Irreführende“ Statistiken

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Foto: IAEA/pris
Nuclear share Japan, 1998-2017

Waren Ende 2013 weltweit noch 68 Atommeiler in Bau, befinden sich derzeit nur noch 55 im Zustand „under construction“ – die meisten in China, Indien und Russland. Mindestens 33 der Baustellen liegen inzwischen (weit) hinter ihrem Zeitplan zurück, so auch die einzigen europäischen Neubauten in Flamanville (Frankreich) und Olkiluoto (Finnland).

Im letzten Jahr sank laut IAEA zudem die Anzahl an Reaktoren „in Betrieb“ auf 441 (2016: 447). Ein Blick nach Japan, wo seit dem GAU von Fukushima 2011 fast alle der Meiler stillstehen, relativiert diese offiziellen Zahlen allerdings erheblich. Eine Kritik, die die Verfasser*innen des Reports schon im letzten Jahr veranlasste, eine Korrektur der „irreführenden“ Zahlen zu fordern.

„Unplanned Capability Loss Factor“ steigt

Im Mittel sind die weltweit laufen Meiler inzwischen 30 Jahre alt. Fast jeder Fünfte hat die Marke von 40 Jahren schon überschritten. Lange Zeit galt diese Laufzeit als „technisch vertretbares Maximum“. Heute planen vereinzelte Reaktorbetreiber damit, die Meiler bis zu 80 Jahre in Betrieb zu lassen. Mit dem Alter nimmt allerdings der „Unplanned Capability Loss Factor“ zu, unplanmäßige Stillstände, in der Regel durch Störfälle verursacht. In den letzten drei Jahren wuchs der Faktor von 3,2 auf 4,8 Prozent. Besonders betroffen sind Indien, die Schweiz und Frankreich. Wegen umfangreicher, sicherheitsrelevanter Defekte standen zum Beispiel in Frankreich zahlreiche der 58 Meiler lange still, so dass nicht einmal 68 Prozent ihrer theoretisch möglichen Strommenge erzeugt wurde.

Anders als Deutschland streben viele Länder eine Laufzeitverlängerung bestehender Anlagen an. Die Exelon Generation Company in den USA hat zum Beispiel im August beantragt, ihre zwei Siedewasserreaktor-Einheiten Peach-Bottom-2 und -3 (je 1308 MW) 80 Jahre lang betreiben zu dürfen. Derzeit ist das Betriebsende 2033 bzw. 2034 festgelegt. Dass mit zunehmendem Alter der Atomanlagen auch das Risiko schwerer Störfälle stetig steigt, davor warnen Atomkraftgegner*innen seit Jahren. Im Gegensatz zu den millionenschweren Investitionen der Betreiber in Nachrüstungen und Modernisierungen können bestimmte Komponenten wie den durch Neutronenbeschuss spröde werdenden Reaktorbehälter nicht ausgewechselt werden.

Laufzeitverlängerung auf Kosten der Sicherheit

Wie sich die weltweite Atomstromerzeugung in den kommenden Jahren entwickeln wird, hängt daher von den politischen Entscheidungsträgern ab: Nehmen sie zugunsten von Konzerngewinnen ein immer größeres Risiko schwerer Unfälle in Kauf - oder werden Uralt-Meiler endlich abgeschaltet. Es gibt allerdings eine weitere Motivation, die Atomindustrie völlig unbeachtet ihrer Unwirtschaftlichkeit künstlich am Leben zu halten: Die Atombombe.

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Quellen (Auszug): pris.iaea.org, badische-zeitung.de, atommuell-lager.de, worldnuclearreport.org, nuklearforum.ch; 7.9.2018

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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