Begleitgremium für die Standortsuche neu besetzt

24.03.2020 | Jochen Stay

Mit fast zweijähriger Verspätung haben Bundestag und Bundesrat jetzt das Nationale Begleitgremium komplettiert. Neben sechs zufällig ausgewählten Bürger*innen sind nun zwölf „anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, wie es im Gesetz heißt, berufen worden. Die neue Zusammensetzung des Gremiums wirft eine Menge Fragen auf.

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Foto: Ruben Neugebauer / Chris Grodotzki

 

Das NBG wurde Ende 2016 gebildet, um die Standortsuche zu begleiten. Manche sehen in dem Gremium ein kritisches Korrektiv staatlichen Handelns. Ich sehe es eher als hochengagiertes Feigenblatt. So kann das NBG zwar laut Standortauswahlgesetz Empfehlungen abgeben. Doch bisher wurden diese Empfehlungen weitgehend ignoriert.

Mit fast zweijähriger Verspätung haben Bundestag und Bundesrat das Gremium jetzt komplettiert. Neben sechs zufällig ausgewählten Bürger*innen sind nun zwölf „anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, wie es im Gesetz heißt, berufen worden. Das sind die zwölf:

Dr. Günther Beckstein, CSU, 76, Ex-Ministerpräsident von Bayern, setzte sich damals schon dafür ein, dass ein tiefengeologisches Atommüll-Lager nicht nach Bayern kommt.

Dr. Dr. h.c. Markus Dröge, 65, Ex-Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg – schlesische Oberlausitz, Mitglied des Rates der EKD

Prof. Dr. Rainer Grießhammer, 66, Chemiker; Honorarprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Ex-Geschäftsführer des Öko-Instituts

Jo Leinen, 71, SPD, Ex-Umweltminister des Saarlandes und Ex-Mitglied des Europäischen Parlaments, in einem früheren Leben Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU)

Prof. Dr. Werner Rühm, 59, Vorsitzender der Strahlenschutzkommission, Institut für Strahlenmedizin am Helmholtz Zentrum München

Prof. Dr. Dr. h.c. Roland Sauerbrey, 67, Wissenschaftlicher Direktor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (Kernforschungszentrum), Professor für Quantenoptik an der Technischen Universität Dresden

Prof. Dr. Magdalena Scheck-Wenderoth, Anfang 50, Geologin; Direktorin „Geosysteme“ am Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum

Prof. em. Dr. Michael Succow, 78, Ex-Professor für Geobotanik und Landschaftsökologie an der Universität Greifswald; Träger des Alternativen Nobelpreises

Aus dem bisherigen NBG erneut berufen wurden:

Klaus Brunsmeier, ca. 61, Ex-Vorstandsmitglied des BUND
Prof. Dr. Armin Grunwald, 59, Karlsruher Institut für Technologie (Kernforschungszentrum), Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag

Dr. Monika Müller, Anfang 50, Studienleiterin für Naturwissenschaften, Ökologie und Umweltpolitik der Evangelischen Akademie Loccum

Prof. Dr. Miranda Schreurs, 56, Lehrstuhl für Environmental and Climate Policy an der Hochschule für Politik, München, ehem. Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen

Ausgeschieden sind von den bisherigen berufenen Mitgliedern Klaus Töpfer und Kai Niebert.

Was sofort auffällt: Obwohl im Standortauswahlgesetz steht, dass NBG müsse „pluralistisch“ zusammengesetzt sein, sind nun acht von zwölf berufenen Mitgliedern Professor*innen, drei weitere haben einen Doktortitel. Es sind neun Männer und nur drei Frauen. Der Altersschnitt ist hoch. So sieht also laut Bundestag und Bundesrat eine Vertretung der „Zivilgesellschaft“ aus.

Was weiter auffällt: Eine ganze Reihe von Mitgliedern sind gleichzeitig aktiv in anderen staatlichen Beratungsgremien, was Interessenkonflikte nicht ausschließt. Dazu kommen Personen, bei denen nicht ganz klar ist, wessen Interessen sie im NBG vertreten werden und wo ihre Loyalitäten liegen: mit Roland Sauerbrey der Leiter einer Atomanlage in Sachsen. Mit Rainer Grießhammer der ehemalige Geschäftsführer des Öko-Instituts, der bis vor wenigen Monaten noch sehr eng mit Beate Kallenbach-Herbert und Michael Sailer zusammengearbeitet hat, die nun beide für die „Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE)“ tätig sind, die das NBG ja eigentlich ein Stück weit kontrollieren soll. Mit Jo Leinen und Günther Beckstein zwei nach Proporz benannte Parteipolitiker.

Zudem finden sich auf der Liste einige Personen mit Öko-Image wie Grießhammer, Leinen und Succow. Das macht sich nach außen gut, könnte so doch der Eindruck entstehen, die Kritiker der Atommüll-Politik säßen mit am Tisch. Dabei haben sich die drei in den letzten Jahrzehnten mit dem Thema überhaupt nicht groß beschäftigt.

Eine Besonderheit gleich aus mehreren Gründen ist die Personalie Günther Beckstein: So erinnert seine Berufung an die Mitarbeit des ehemaligen sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Georg Milbradt in der Atommüll-Kommission. Der saß dort zwar offiziell als zivilgesellschaftlicher Vertreter der katholischen Kirche, vertrat aber hauptsächlich sächsische Interessen. Und da sich ja Bayern bisher am vehementesten gegen die Standortsuche sträubt, ist nicht auszuschließen, dass auch Beckstein als Ex-Ministerpräsident Landesinteressen nach vorne stellt. Schon in seiner Amtszeit setzte er sich vehement dafür ein, dass das Atommüll-Lager nicht nach Bayern kommt, sondern nach Gorleben. Und schließlich irritiert, was der „Tagesspiegel“ über die Personalie Beckstein schrieb: „In Bundestagskreisen war man sich schon vergangene Woche sicher, dass die NBG-Mitglieder Beckstein zum Vorsitzenden wählen.“ Das spricht dafür, dass im Bundestag entschieden wird, wer NBG-Vorsitzender wird und nicht im Gremium selbst. So viel zur Unabhängigkeit des NBG.

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Jochen Stay

Jochen Stay, Jahrgang 1965, ist seit seinem 15. Lebensjahr aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, seit Wackersdorf 1985 in der Anti-Atom Bewegung und seit 2008 Sprecher von .ausgestrahlt.

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