Deutschland beliefert Schrottmeiler mit Brennstoff

17.12.2020 | Jan Becker
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Protest vor der Atomanlage in Lingen, 10.12.2020
Foto: atomstadt-lingen.de

Brennelemente aus Lingen dürfen weiterhin in das umstrittene belgische Atomkraftwerk Doel geliefert werden. Eine laufende Klage eines Atomkraftgegners hat keinen Einfluss auf die „eiligen“ Atomgeschäfte, urteilte der hessische Verwaltungsgerichtshof. Kritiker*innen antworten mit Protest vor der Anlage.

Die Klage einer Aachener Privatperson vor dem Verwaltungsgericht in Frankfurt gegen die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) genehmigte Ausfuhr habe „keine aufschiebende Wirkung“, heißt es in der Begründung des Gerichts. Zuvor hatte sich der französische Atomkonzern EDF-Framatome / ANF als Betreiber der Anlage in Lingen für die Lieferungen der Brennelemente an die altersschwachen und störanfälligen belgischen AKW Doel 1 und 2 stark gemacht. Das Gericht befasste sich in seinem Urteil nicht mit den vom Kläger angeführten Sicherheitsbedenken, die von einem Weiterbetrieb der maroden AKW ausgehen. ANF darf nun 52 Brennelemente nach Belgien liefern, die den Weiterbetrieb von Doel für ein bis zwei Jahre sichern.

„Der Export der Brennelemente zum jetzigen Zeitpunkt schafft unwiderrufliche Fakten und erhöht massiv die Gefahr eines schweren Atomunfalls in Belgien“, kritisieren Aktivist*innen aus dem Münsterland.

Der Kläger fordert mit Unterstützung der Anwältin Dr. Cornelia Ziehm, dass BAFA und ANF die strengen Schutzmaßstäbe des Atomgesetzes einhalten. Doel 1 und 2 seien „ungewöhnlich störanfällig und für einen Betrieb über 40 Jahre hinaus nicht ausgelegt“, argumentierte die Anwältin Mitte Oktober. Deshalb sei es unzulässig, dass Deutschland die Transporte genehmige.

Schon 2018 wollten CDU/SPD laut Koalitionsvereinbarung einen grundsätzlichen Exportstopp für Brennstoffe an Meiler, deren Sicherheit in Zweifel steht. Doel gehört auch wegen bekannter Risse im Reaktorbehälter offiziell dazu. Anfang 2019 forderte der Bundesrat die Bundesregierung zu Taten auf. Ende 2019 legte das Bundesumweltministerium dann einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor.

„Die Bundesregierung muss das Atomgesetz dem Jahre 2020 anpassen, Bürger*innenrechte garantieren und die gefährlichen Brennelementexporte sofort politisch unterbinden“, fordert Dr. Angelika Claussen von der Ärzteorganisation IPPNW.

Der jetzige Beschluss aus Kassel „spiegle die Rechtsauffassung von 1958 wieder“, unterstreicht Gerd Otten vom Elternverein Restrisiko Emsland.

2 Jahre nach dem Brand

Neben dem Export-Skandal haben Aktivist*innen Anfang Dezember an das Risiko erinnert, welches von der Atomanlage ausgeht. Vor zwei Jahren hatte es in einem nuklearen Labor gebrannt. Der Betreiber versuchte vorerst, die Ausmaße zu vertuschen. Später wurde bekannt, dass radioaktives Material verloren gegangen sei.

„Die Zeit ist mehr als reif, dass auch die Brennelementefabrik in den Atomausstieg mit aufgenommen wird. Ein Ende der Brennelementeproduktion in Lingen ist spätestens mit der Stilllegung der letzten Atomkraftwerke in Deutschland problemlos möglich und zwingend erforderlich“, fordert Otten.

Protestaktion vor dem Werk in Lingen

Als Reaktion auf das unverständliche Urteil des Verwaltungsgerichts versammelten sich am vergangenen Wochenende Aktivist*innen vor der Atomanlage. Außerdem rufen sie zu Protesten gegen die Lieferungen nach Doel auf: Die Brennelemente werden per LKW geliefert, fünf bis sechs Fahrten seien nötig, die Abfahrt könnte unmittelbar bevorstehen.

Mehr als 350 Initiativen und Verbände unterstützen die Proteste und fordern mit der „Lingener Erklärung“ u.a. die sofortige Stilllegung der Brennelementefabrik.

weiterlesen:

  • Proteste gegen neue Brennelementlieferungen aus Lingen
    17.07.2020 - Wenige Tage nachdem das zuständige Bundesamt neue Brennstofflieferungen an ausländische Atomkraftwerke genehmigt hat, rollen offenbar die ersten Atomtransporte. Aktivist*innen antworten mit Protest gegen die „deutsche Beihilfe zum Weiterbetrieb maroder Meiler“.
  • Widerspruch gegen Brennstoffexporte
    24.04.2020 - Einen nächsten juristischen Schritt sind jetzt Atomkraftgegner*innen aus dem Münsterland gegangen: Weil die Bundesregierung den Export von deutschem Brennstoff an grenznahe marode Meiler nicht unterbindet, legten sie nun offiziellen Widerspruch dagegen ein.

Quelle (Auszug): atomstadt-lingen.de, eifelzeitung.de, sofa-ms.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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