GroKo "atompolitisch gescheitert": ANF setzt sich über den Rechtsstaat hinweg

Offenbar rechtswidrig wurden im Dezember Brennelemente von Lingen in das schweizerische Atomkraftwerk Leibstadt geliefert. Dem Betreiber drohen nun strafrechtliche Konsequenzen, die im Atomgesetz geforderte Zuverlässigkeit steht in Frage.
Die einzige Anlage der Bundesrepublik, in der Uran-Brennstoff zu Brennelementen verarbeitet wird, befindet sich im niedersächsischen Lingen. Die Anlage wurde vom Atomausstieg ausgeklammert, im Gegensatz zu den AKW (das letzte wird bekanntlich Ende kommenden Jahres stillgelegt) ist der Betrieb zeitlich nicht befristet. Zudem ist die Brennstofffabrik wegen ihrer Lieferungen an gefährliche Atomkraftwerke im Ausland für deren Weiterbetrieb (mit-)verantwortlich.
Schon 2018 wollten CDU/SPD laut Koalitionsvereinbarung einen grundsätzlichen Exportstopp für Brennstoffe an Meiler, deren Sicherheit in Zweifel steht. Doch bis heute haben die politischen Gremien nichts erreicht, die GroKo ist „atompolitisch gescheitert“, umschreibt es das Greenpeace-Magazin. Erst schmetterte das CDU-geführte Wirtschaftsministerium den Vorstoß der SPD, die Anlage zu schließen, ab. Gegen ein angekündigtes Gesetz, wenigsten besonders störanfällige und alte Meiler (Definition: Betriebsbeginn vor 1989) entlang unserer Grenzen nicht mehr beliefern zu dürfen, gibt es verfassungsrechtliche Bedenken. Aus dem Umweltministerium heißt es nun, man setze darauf, „dass die nächste Regierung die Brennelementefabrik schließt“.
Aus Protest gegen die Brennstoff-Lieferungen an die belgischen Meiler Doel, u.a. wegen Rissen im Reaktorbehälter in den Schlagzeilen, war ein Atomkraftgegner vor Gericht gezogen und klagte gegen bestehende Exportgenehmigungen. Der Betreiber der Urananlage, ANF, eine Tochter des französischen Framatome-Konzerns, machte Druck. Nachdem das Verwaltungsgericht in Frankfurt im Oktober 2020 den Eilantrag von Framatome/ANF noch zurückgewiesen hatte, sprach der Verwaltungsgerichtshof in Kassel dem Kläger im Dezember in zweiter Instanz die Befugnis ab, etwa eine aufschiebende Wirkung erlangen zu können. Er könne sich als Privatperson nicht auf das Atomgesetz berufen – und somit Einfluss auf „eilige“ Atomgeschäfte haben. Mit den Argumenten setzte sich das Gericht nicht auseinander.
Daraufhin zog der BUND Nordrhein-Westfalen, als anerkannter Umweltverband nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz klageberechtigt, mit einem Widerspruch gegen die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) im März 2020 erteilte Genehmigung zur Ausfuhr von 52 Urandioxid-Brennelementen nach Doel vor Gericht. Das Verfahren ist bisher nicht entschieden. Der BUND zeigte sich vor wenigen Tagen „optimistisch, den Brennelementeexport jetzt endgültig stoppen zu können“. Auf 26 Seiten wird die Gefährlichkeit der beiden Reaktoren Doel 1 und Doel 2 detailliert begründet. Der Widerspruch hat nach Aussage der Kläger*innen eine aufschiebende Wirkung.
Obwohl es keine richterliche Entscheidung über die Brennstoff-Exporte an alte Meiler gibt, schaffte ANF noch im Dezember Fakten: Zwei Lieferungen rollten von Lingen ins schweizerische Leibstadt. Das AKW ist seit 1984 in Betrieb – wird also von der Bundesregierung als „alt“ definiert. Das Unternehmen betont, es sei rechtmäßig vorgegangen, alle Unterlagen für die Lieferungen hätten vorgelegen. Bestätigt aber auch, dass „ein Teil der fraglichen Brennstoffe bereits vor Ende dieses noch laufenden Verfahrens in die Schweiz exportiert worden“ sei.
Kritiker*innen sehen einen Rechtsbruch. Selbst im Bundesumweltministerium herrscht Empörung über das Vorgehen des Unternehmens. Der Export sei „möglicherweise illegal“, so Staatssekretär Jochen Flasbarth. Der Vorgang sei zur Prüfung an die Staatsanwaltschaft abgeben worden.
„Dass sich ein Unternehmen in so einem sensiblen Bereich so offensiv gegen die Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörde und des Gerichts stellt, ist schon bemerkenswert“, meint Anwältin Cornelia Ziehm. „Vor diesem Hintergrund kann man auch die Frage nach der Zuverlässigkeit des Exporteurs stellen.“
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Baden-Württemberg hat Framatome angezeigt. Dem Lingen-Betreiber ANF und seinem Mutterkonzern drohen nun strafrechtliche Konsequenzen. Parallel haben zwei Atomkraftgegner*innen aus Lingen und Freiburg auch noch Widerspruch gegen Transporte der ANF innerhalb Deutschlands eingelegt. Ihre Begründung: Die im Atomgesetz geforderte Zuverlässigkeit des Betreibers sei nicht mehr gegeben.
„Es kann nicht sein, dass sich Framatome/ANF einfach über den Rechtsstaat hinwegsetzt“, so Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen. Als Oberaufsicht sei jetzt das Bundesumweltministerium dringend gefordert, aufzuklären und politische Konsequenzen zu ziehen.
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Quellen (Auszug): taz.de, sofa-ms.de, bund-nrw.de, greenpeace-magazin.de