Kundgebung zum Hiroshima-Tag 2021

10.08.2021 | Julian Bothe

Das Hamburger Friedensforum veranstaltete am 6. August - dem Jahrestag des Angriffes auf Hiroshima - in Hamburg eine Gedenkkundgebung anlässlich der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. .ausgestrahlt hat in einem Redebeitrag dargestellt, wie die militärische und die zivile Nutzung der Atomkraft zusammenhängen und warum Atomkraft die Klimakrise verschlimmert.

Wir dokumentieren hier die Rede von Julian Bothe.

 

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Rede anlässlich der Kundgebung zum Hiroshimatag, 6.8.2021, Hamburg

Liebe Freundinnen und Freunde,
76 Jahre nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki wird mal wieder über Atomkraft diskutiert – in Deutschland in diversen Zeitungsartikeln, in vielen Nachbarländern auch in mehr oder weniger konkreten Planungen für neue Atomkraftwerke. Wider jede ökonomische und technische Vernunft und unter Leugnung aller Gefahren kommen die alten falschen Versprechungen ein weiteres Mal in die Öffentlichkeit: Atomkraft sei die Lösung für die Klimakrise und obendrein günstig - und all das angeblich ohne schlimme Nebenwirkungen. Und wenn die aktuellen Reaktortypen dies nicht leisten, so kommt doch ganz bestimmt alsbald eine neue Reaktortechnik, die alles vollkommen anders machen soll.

Woher kommt es, dass diese Diskussionen immer wieder zurückkehren?

Mein Name ist Julian Bothe von der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt. Ich bedanke mich vielmals für die Einladung, hier zu sprechen, und ich möchte im Folgenden drei Aspekte hervorheben: Die Verschlimmerung der Klimakrise durch Atomkraft, die Faszination, die die Spaltung des Atoms immer noch hervorruft, und die Verquickungen von militärischen und zivilen Aspekten der Atomkraft.

Atomkraft und die Klimakrise
Es wird immer offensichtlicher: Die Energieerzeugung aus Öl, Kohle, Gas und Uran hat die Welt in die Klimakrise gebracht. Sie muss schnellstmöglich überwunden werden. Wir müssen, wollen und können sofort auf 100% erneuerbare Energien umsteigen. Die Anti-Atom-Bewegung hat einen großen Anteil daran, dass dies jetzt möglich ist – gegen große Widerstände der Energiekonzerne und der Politik.

Wie seit Jahrzehnten immer wieder, wird nun aber erneut Atomkraft als scheinbar einfache oder unverzichtbare Lösung propagiert. Die Stoßrichtung ist dabei –  ebenfalls seit Jahrzehnten – immer gleich: Erneuerbare Energien seien zu unzuverlässig, zu schwach oder zu hässlich, weswegen die Atomkraft angeblich noch gebraucht werde – mindestens als sogenannte „Übergangstechnologie“. Die Gefahren und Nebenwirkungen der Atomkraft werden völlig ausgeblendet, die Erneuerbaren dagegen klein geredet.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Erneuerbare Energien haben eine beispiellose Erfolgsgeschichte hinter sich. Während ihre Kosten immer weiter sinken, ist Atomkraft immer teurer geworden. Nur durch massive staatliche Subventionen werden noch neue Atomkraftwerke gebaut. Immer mehr Reaktoren werden aus ökonomischen Gründen stillgelegt. Selbst der Betrieb bestehender AKW ist teurer als der Ausbau erneuerbarer Energien. (1)

Die Atomindustrie ist weltweit im Niedergang. Beispiel Frankreich: Der Energieversorger EDF ist hoffnungslos verschuldet, die angestrebten Laufzeitverlängerungen ökonomisch kaum zu stemmen. Auch sogenannte „neue“ Reaktortypen werden nicht besser funktionieren – deren Ideen kursieren bereits seit Jahrzehnten und sind aufgrund technischer und ökonomischer Probleme nie realisiert worden.

Atomkraft verschlimmert die Klimakrise – nicht nur, weil sie falsche Hoffnungen weckt und technisch nicht kompatibel mit den Erneuerbaren ist, sondern auch, weil sie Ressourcen und Gelder bindet. Diese fehlen dann für den billigeren und schnelleren Ausbau der Erneuerbaren.

Die Faszination der Atomspaltung
Warum stoßen die Pro-Atom-Argumentationen dennoch immer noch auf so viel Resonanz?

Ein wesentlicher Grund liegt weiterhin in der seit langem bestehenden Darstellung der Atomkraft als angeblich „einfacher Lösung“. Diese Darstellung verfängt gerade angesichts der Größe der Klimakrise. In ihr lebt das modernistische Heilsversprechen weiter, dass die Atomkraft Energie „im Überfluss“ bereitstellen könne – und das Versprechen, dass diese zivile Atomkraft von der Atombombe und vom Militär getrennt werden könne. (2)

Das Versprechen einfacher Lösungen durch Atomkraft ermöglicht es Politik und Bevölkerung, dass trotz der Klimakrise ein einfaches „weiter so“ denkbar bleibt. Eine Zähmung der Macht des Atoms können sich viele Menschen immer noch einfacher vorstellen als eine Energieversorgung durch erneuerbare Energien. Es ist völlig egal, dass die Realität diese Visionen bereits seit langem widerlegt hat.

Militärische und zivile Nutzung der Atomkraft
Für viele Regierungen verspricht Atomkraft damit weiterhin Prestige, steht für Macht und Unabhängigkeit. In vielen Staaten ist dies verknüpft mit militärischen Interessen. Anders als von Pro-Atom-Kräften behauptet, gehörten die militärische und zivile Atomenergie immer schon zusammen. Auch heute zeigen sich die Verbindungen deutlich, wenn man nur einen Millimeter hinter die Fassaden schaut.

Dabei geht es nicht nur um die Atombombe. Mit dem Niedergang der Atomindustrie gewinnt ein  anderer Bereich an Bedeutung: Der Erhalt von Know-How und industrieller Kapazität für den militärischen Sektor. Besonders wichtig hier, der Bau und Betrieb von Antriebsreaktoren, wie sie beispielsweise in Atom-U-Booten verwendet werden. Atom-U-Boote sind in der Logik der Atomwaffenstaaten ein unverzichtbarer Bestandteil der nuklearen Abschreckung. (3)

Deutlich hat dies Frankreichs Präsident Macron im letzten Dezember formuliert, als er den Bau eines neuen atomgetriebenen Flugzeugträgers ankündigte: Die Nukleartechnik bleibe der „Eckpfeiler“ der französischen „strategischen Autonomie“ – in Form von Atomwaffen, aber eben auch durch die Atomantriebe von U-Booten und Flugzeugträgern. Dafür müsse das industrielle Know-How erhalten bleiben. (4)

In Großbritannien betonte ein großes Atominstitut bereits 2008, dass das Vereinige Königreich nicht in der Lage sei, das zivile und das militärische Atomprogramm getrennt zu entwickeln.  „Diese Verbindung“ - Zitat - „muss allerdings mit Vorsicht behandelt werden, um die Wahrnehmung zu vermeiden, dass das zivile und das militärische Atomprogramm ein und dasselbe sind.“ (5)  Zitat Ende.  

Ein wichtiger Player ist hier auch Rolls Royce.  Rolls Royce stellt seit langem Antriebsreaktoren für die britischen U-Boote her und möchte jetzt auch in die Entwicklung von neuen Leistungsreaktoren  einsteigen, den sogenannten SMR. 2017 schreibt die Firma in einer Broschüre: „ein ziviles SMR-Atom-Programm würde das Verteidigungsministerium von der Last befreien, die Entwicklung und den Erhalt von Fähigkeiten und Kompetenzen zu schultern.“ (6)

In den USA werden diverse Atom-Start-Ups dagegen auch durch den Verteidigungshaushalt finanziert. Diese Firmen verleugnen die militärische Komponente in der öffentlichen Werbung zwar durchgängig. Intern ist der militärische Nutzen dagegen ein wichtiges Argument für die Finanzierung. Erst letztes Jahr verfassten alte und neue Atomfirmen einen Brief an das US-Verteidigungs­ministerium (7) – darunter traditionelle Reaktorhersteller, vor allem aber Start-Ups wie das von Bill Gates propagierte Terrapower. In dem Brief bedanken sich die Firmen für die bisherige Förderung. Und sie bitten um weitere Mittel, da nukleare Neuentwicklungen neben der zivilen auch der militärischen Anwendung zugute kämen, die geopolitische Vorrangstellung der USA aufrechterhalten und die nationale Sicherheit stärken würden.

Was tun?
Was also tun? Wie seit Jahrzehnten ist Atomkraft auch heute teuer, umweltschädigend und gefährlich. Sie verschlimmert die Klimakrise, und sie widerspricht aller ökonomischen Vernunft.

Trotzdem wird sie immer wieder diskutiert. Ein wesentlicher Grund dafür ist der weiterhin bestehende Mythos, der Atomkraft als saubere, einfache Energie darstellt. Verschiedene alte und neue Atomfans erhalten die falschen Versprechungen aufrecht, während sie die militärischen Komponenten in der Öffentlichkeit verleugnen.

Als Anti-Atom-, als Klima- und als Friedensbewegung müssen wir bei beiden Dimensionen ansetzen: Die Interessen offenlegen, die in der Atompropaganda verborgen bleiben, den Atom-Mythen entgegentreten, und die Vorstellungskraft für eine 100prozentige Energiewende stärken.

Letztlich bleibt es dabei: Wirklicher Frieden ist nur in einer Welt ohne Atomkraft denkbar.

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Julian Bothe

Julian Bothe arbeitet bei .ausgestrahlt zum Thema Klimakrise und Atomkraft. Er ist ausgebildeter Geograph und beschäftigt sich seit langem mit Energiefragen. Seit seiner Jugend ist er aktiv in sozialen Bewegungen – für Bewegungsfreiheit, Energiedemokratie und Klimagerechtigkeit.

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